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Frieden statt KriegDas Leben in finsteren Zeiten

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Die supranationalen Organisationen wie die UN oder die OSZE haben an Bedeutung verloren. Muss das so bleiben? Und vor allem: Soll das so bleiben?

Der UN-Sicherheitsrat, dessen Abstimmung kaum das Chaos der Welt beherrschen können. Bild: reuters

L ibyen versinkt im Chaos, westliche Länder haben ihre Botschaften geschlossen. Im Norden Nigerias sind eine halbe Million Menschen auf der Flucht vor der Terrororganisation Boko Haram. Mehr als 2.000 Todesopfer sollen deren Verbrechen allein in diesem Jahr bereits gefordert haben. Die islamistischen IS-Milizen, die große Teile Syriens und des Irak kontrollieren, begehen systematische Menschenrechtsverletzungen und brüsten sich damit im Internet. Im Südsudan droht infolge des Bürgerkrieges eine Hungersnot.

Die Welt ist unübersichtlich geworden, und niemandem – nicht einmal hauptberuflichen Politikbeobachtern – gelingt es noch, einen Überblick über die verschiedenen Spannungsgebiete zu behalten und deren Bedeutung einzuschätzen. Manchmal reden Leute jetzt fast sehnsüchtig von der Zeit des Kalten Krieges: Da wusste man, woran man war, und das Gleichgewicht des Schreckens sei mehr Gleichgewicht als Schrecken gewesen. Ja, früher war auch mehr Lametta.

Für die meisten Menschen außerhalb Europas hat sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht viel geändert: Gewalt, Korruption, selbst sogenannte Stellvertreterkriege wurden und werden damals wie heute von den Großmächten hingenommen, sogar in manchen Fällen befördert, solange die jeweilige Bündnistreue von Herrschern nicht in Frage stand.

Die Vereinten Nationen und andere supranationale Organisationen waren als Regulative des zwischenstaatlichen Zusammenlebens nie so stark, wie das wünschenswert gewesen wäre. Aber im Angesicht der wechselseitigen apokalyptischen Bedrohung funktionierten sie wenigstens halbwegs.

Deswegen lag der DDR so viel an der UN-Mitgliedschaft, deshalb war die OSZE-Schlussakte von Helsinki ein bedeutendes Dokument. Das Völkerrecht war ein Referenzrahmen, den die Mächtigen zwar im eigenen Einflussbereich oft missachteten, aber wenigstens im Umgang miteinander respektierten.

taz.am wochenende

Angenommen man weiß, jemand wird mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit einen Mord begehen. Was macht man da? Ihn mit einer Drohne überwachen? Ein Gespräch mit den Science-Fiction-Autoren Marc Elsberg und Tom Hillenbrand über eine Zukunft, die wir immer besser kennen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 2./3. August 2014. Außerdem: Hoyerswerda hat wieder ein Asylbewerberheim. Kann die Stadt ihre Vergangenheit überwinden? Und: Helmut Höge über Waschbären. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Das ist heute nicht mehr so. Wenn der UN-Generalsekretär sich äußert, dann hat das inzwischen eine ähnliche Bedeutung wie eine Sonntagspredigt in einem säkularen Umfeld. Der Weltsicherheitsrat ist weniger wichtig für die Beilegung von Konflikten als die Entwicklung des DAX.

Muss das so bleiben? Nein, das muss nicht so bleiben – es darf nicht so bleiben. Das Völkerrecht und die UNO bedürfen dringend einer tief greifenden Reform. Bitte jetzt mal nicht lachen oder verächtlich die Mundwinkel senken.

Mit keiner anderen Forderung stellt man sich so leicht ins Abseits oder entblößt sich als naiv wie mit dieser. Augenrollen allerorten. Keine Chance, weiß sie das nicht?

Ich weiß, dass sich keine Veränderung der Weltordnung leicht durchsetzen lässt. Ich maße mir auch nicht an, eine Blaupause in der Schublade zu haben, die – würde sie nur umgesetzt – die Welt zu einem friedlichen Ort machen würde. Aber ich denke schon, dass gemeinsame intellektuelle und politische Anstrengungen zu Ergebnissen führen können, die Einzelne nicht zuwege bringen.

Was mich wirklich beunruhigt: Derzeit scheint es diese Anstrengungen nicht zu geben. Der Hinweis auf Chancenlosigkeit genügt zur Rechtfertigung von Tatenlosigkeit. Als seien der Westfälische Friede und die Gründung des Völkerbundes mühelos erreichbar gewesen, historische Spaziergänge sozusagen. Um mit Bertolt Brecht zu sprechen: Ich lebe in finsteren Zeiten.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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8 Kommentare

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  • Ja, ja, man soll den Frieden wieder entdecken.

     

    Nach einem Jahrzehnt von sicheren Kriegen gegen irgendwelche Araber und Afghanen, die nicht weh tun, ist der Krieg in Europa angekommen und wird für Deutschland Folgen haben.

     

    Man könnte somit sagen, es gibt eine journalistische Marktlücke und eine Chance sich als hochmoralisch zu verkaufen.

     

    Bis die anderen das begreifen, kann die TAZ einen sicheren Vorsprung KRIEGEN.

    • @Gregor Hecker:

      Wenn Moral Kriege verhindern könnte, was spräche dann dagegen?

      • @Rainer B.:

        Die gängige Friedensmoral Deutschlands macht in der letzten Zeit Kriege möglich.

        • @Gregor Hecker:

          Mit Friedensmoral meinen Sie dann wohl Waffenproduktion, Rüstungsexporte, Umbau der Bundeswehr zur Angriffstruppe und mehr oder weniger offene mediale Kriegshetze nach Auftragslage.

          • @Rainer B.:

            das ist nur die amoralische betriebliche Ausführung und ist ein Resultat des Schwachsinns der deutschen Friedensmoral.

            • @Gregor Hecker:

              Wenn es eine "deutsche Friedensmoral" gäbe, könnte ich Ihnen ja vielleicht noch folgen.

  • "Ich weiß, dass sich keine Veränderung der Weltordnung leicht durchsetzen lässt."

    Die Weltordnung , Frau Gaus , läßt sich schon deshalb nicht verändern , weil es keine Weltordnung gibt . Den Welt-Ist-Zustand als Unordnung zu bezeichnen würde schon voraussetzen , dass es eine "Welto r d n u n g geben könnte , die aber genau so unmöglich und illusionär ist wie eine "Weltregierung" .

    Die UNO ist bisher faktisch nicht über den Stand einer bloßen Summe der Einzelstaaten hinausgekommen . Sieht nichts danach aus , dass sich das ändern wird ...

    Als Pessimist halte ich es für wahrscheinlich , dass alles in den nächsten zehn , zwanzig Jahren noch wesentlich schlimmer kommen wird . Dazu bräuchte es "nur" einen Crash von Dollar und Euro "nebst" Realwirtschaft in den kapitalistischen Zentralen , welcher den Einbruch von 2008/2009 in den Schatten stellen würde .

  • Wenn es die UN oder die OSZE nicht gäbe, würde man sich wohl dieser Tage irgendwo daran machen, Ähnliches zu gründen. In Konflikten gehen den Beteiligten allzu leicht die Maßstäbe und der Blick auf das Danach verloren. Jeder kennt das selbst aus Konflikten in der Partnerschaft oder im Beruf und und und. Es ist immer hilfreich, wenn eine verständige und neutrale Instanz hinzugezogen wird, die schon vor einer Eskalation neue Wege aufzeigen und Denkblockaden auflösen kann.

    Die mulitnationalen Organisationen haben in der Vergangenheit diese Erwartungen nicht erfüllt, oder besser gesagt, sie haben die nicht mehr an sie gestellten Forderungen nicht aufgegriffen. Warum das so ist, bedarf zunächst einer gründlichen Analyse. Man wird dabei aus meiner Sicht u.a. auch auf mangelnde Kompetenz und vor allem auf mangelnde Neutralität stoßen. Gewiß ist auch die Säure Korruption zu nennen, die immer und überall jeden noch so guten Ansatz auflöst.

    Nach wie vor sind immer noch erstaunlich viele Menschen der Meinung, Länder könnten mit militärischen Gewaltakten tragfähige Konfliktlösungen erzielen. Für diese Annahme gibt es keinen Beweis. Das trägt eher Züge schon von Schwachsinn. Auf der Suche nach dem Warum kommt man auch an den Medien nicht vorbei, die lieber von Kriegen berichten als darüber, wie Menschen bei allen Unterschieden ihr Leben gemeinsam friedlich bewältigt haben.

    Die Israel/Gaza -Kiste zeigt mir überdeutlich, wie hilflos unfähig beide Parteien zur Konfliktlösung aus eigener Kraft sind. Ausser Fatalismus und Haß bleibt da nichts.

    Da wünscht man sich doch täglich eine multinationale Instanz, die solchem Treiben wirkungsvoll Einhalt gebieten könnte, auch im Interesse kommender Generationen und zukünftiger Denkmuster. Es gibt sie leider nicht, weil die meisten denken, sie lebten in Frieden, solange es nur woanders bröckelt und die eigenen Wände noch stehen.