Fridays for Future an der Uni: Examen in Weltrettung
Die Klimakrise treibt junge Menschen an. Wie machen sie ihren Aktivismus zum Beruf? Und sind sie zufrieden mit ihren Studiengängen?
Ab April kann Hanstein Vorlesungen zum Abbau chemischer Stoffe in der Umwelt besuchen, Seminare zur Mensch-Umwelt-Beziehung aus politikwissenschaftlicher Sicht belegen oder sich für den Schwerpunkt Nachhaltigkeitsmanagement entscheiden. Auch Kurse zum Umweltrecht, zur Umweltethik oder Umweltphysik stehen zur Wahl.
So verschieden die Fachbereiche sind, die den Studiengang Umweltwissenschaften ausmachen: Alle Veranstaltungen haben das Ziel, die Studierenden zu einer „grundlegenden Transformation der Gesellschaft“ zu befähigen, wie die Hochschule es formuliert. „Wollen Sie dazu beitragen, Strategien für eine sichere, lebendige und gerechtere Zukunft zu entwickeln?“, beginnt die Beschreibung des Bachelorstudiengangs auf der Universitätswebsite.
Auf die Frage antwortet Jule Hanstein ohne zu zögern: „Die Klimakrise ist die Problematik unserer Zeit.“ Deshalb möchte sie sich später in ihrem Beruf für den Schutz des Klimas und der Umwelt engagieren. Das Studium soll sie darauf vorbereiten.
Empfohlener externer Inhalt
Mit diesem Wunsch dürfte Jule Hanstein nicht allein sein. Vor zwei Jahren wurde Deutschland von der Bewegung Fridays for Future erfasst. Viele der Schüler:innen, die damals für das Klima auf die Straße gingen, sind mittlerweile an den Unis und wollen Klimaschutz zum Beruf machen – darauf deutet eine Umfrage der taz hin. Sie zeigt, dass die Nachfrage an „Klimastudiengängen“ steigt.
So zählt beispielsweise der Masterstudiengang „Climate Physics“ der Universität Kiel heute ein Drittel mehr Studierende als noch vor fünf Jahren. Die Studierendenzahlen des Masters „Klima- und Umweltwandel“ an der Universität Mainz haben sich in demselben Zeitraum fast verdoppelt. Auch der Master „Klima- und Umweltwissenschaften“ in Augsburg verzeichnet kontinuierlich steigende Studierendenzahlen.
Dort, wo die Zahl der Klimastudienplätze gleich geblieben ist, erhalten die Hochschulen mehr Bewerbungen als noch vor zwei, drei Jahren. Viele Hochschulen berichten der taz zudem von mehr Forschungsprojekten und höheren Drittmitteleinnahmen im Bereich der Klimaforschung. Dazu passt, dass die EU im September 1 Milliarde Euro für entsprechende Projekte und Innovationen ausschrieb.
Manche Hochschulen haben neue Klimastudiengänge geschaffen, um ihr Profil zu schärfen. So kann man an der Universität Gießen seit diesem Semester „Nachwachsende Rohstoffe und Bioressourcen“ studieren. Außerdem bietet die Hochschule seit drei Jahren den Master „Global Change“ in Kooperation mit der Universität Dublin an. Für das nächste Wintersemester ist der Master „Sustainable Transition“ geplant. Die Profilbildung ist jedoch nur ein Teil des Wandels, der Hochschulen derzeit erfasst.
Aktivist:innen verändern Hochschulen
Ein anderer kommt durch Studierende wie Jule Hanstein. Als Schülerin beteiligte sie sich in ihrer Heimatstadt Itzehoe an den Klimastreiks. Heute ist sie bei der Grünen Jugend und bei Extinction Rebellion aktiv. Hätte sie daneben noch Luft, würde sie sich auch bei den Students for Future engagieren.
Wie stark die Klimabewegung an deutschen Hochschulen ist, sah man schon vor einem Jahr. Kurz vor der UN-Klimakonferenz in Madrid traten mehr als 80 Unis in den „Klimastreik“ und stellten eine ganze Woche ein alternatives Programm mit diversen Veranstaltungen rund um die Klimakrise auf die Beine, offen für alle Bürger:innen.
In diesem Semester fand eine digitale Neuauflage der „Public Climate School“ statt. Wieder beteiligten sich zahlreiche Wissenschaftler:innen. Und es bleibt nicht bei der Klimawoche einmal im Semester: An vielen Hochschulen finden mittlerweile regelmäßig Klimavorlesungen statt. In 66 deutschen Städten sind Gruppen von Students for Future aktiv.
Wie die Klimaaktivist:innen das Hochschulleben verändern, kann Joybrato Mukherjee erzählen. Der Anglist ist vergangene Woche für eine dritte Amtszeit als Präsident der Universität Gießen wiedergewählt worden. Zuvor musste Mukherjee dem AStA und dem Akademischen Senat darlegen, welchen Beitrag zur Nachhaltigkeit die Universität mit ihm an der Spitze leisten werde. „Das hat es früher so nicht gegeben“, sagt Mukherjee am Telefon.
Neues Nachhaltigkeitsbüro in Gießen
Neu wird auch das Nachhaltigkeitsbüro an der Uni sein, das Mukherjee mit Fördermitteln des Landes aufbauen will – und das sich auch mit den Students for Future und den Scientists for Future austauschen wird. Ein drängendes Thema für das Büro ist der Ressourcenverbrauch der Uni und das individuelle Verhalten der Mitarbeitenden. „Wir haben vor Corona im Jahr 3 Millionen Euro für Dienstreisen aus Landesmitteln ausgegeben“, sagt Mukherjee. „Da müssen wir uns natürlich fragen, ob die alle notwendig sind“.
Was Universitätspräsident Mukherjee von oben steuert, versucht Jana Holz von unten anzustoßen. Die 30-Jährige promoviert in Jena zu Bioökonomie als sozialökologischem Transformationsprozess und ist im Vorstand des Vereins netzwerk n aktiv. Ihr Ziel: Studentische Initiativen, die sich für nachhaltige Hochschulen einsetzen, miteinander zu vernetzen und zu coachen. Derzeit tauschen sich über die Plattform des Vereins mehr als 8.000 Studierende aus. Zum Beispiel darüber, wie man am besten einen Beschluss zu Klimaneutralität verabschiedet.
„Bei netzwerk n geht es nicht nur darum, die Lehre nachhaltiger zu gestalten, sondern vor allem um die Hochschulen selbst. So organisieren manche Gruppen veganes Essen in der Mensa, andere fordern, dass ihre Dozent:innen auf Flüge verzichten, und wieder andere kümmern sich darum, dass Studierende sich in das Management der Uni einbringen können“, berichtet Holz. Für die Promovendin sind die Hochschulen „der Hebel“, um die Gesellschaft auf die Klimakrise vorzubereiten. Dieser „Transfer“ wird aber noch dauern, vermutet sie.
Auch Freya Stoermer und Fabian Schäfer von der Bochumer Gruppe der Students for Future sind noch nicht zufrieden mit der Rolle, die die Unis in der Klimakrise spielen. Defizite sehen sie etwa beim Thema Klimagerechtigkeit: Welchen Einfluss hat unser Wirtschaftssystem auf die Lebenssituation von Menschen im Globalen Süden? Warum machen Menschen aus Arbeiterfamilien so selten einen Masterabschluss? Diese Fragen kommen den Students for Future an der Uni zu wenig vor.
Klimaschutz wird interdisziplinär
Auch wenn es manchen Studierenden nicht schnell genug geht: Es tut sich was in der Lehre. Das beobachtet auch Universitätspräsident Mukherjee aus Gießen. „Die Gesellschaftswissenschaften spielen bei Klimafragen heute eine viel größere Rolle als noch vor zehn, fünfzehn Jahren“. Lange war die Beschäftigung mit Umwelt und Klima vor allem Sache der Natur- und Lebenswissenschaftler:innen oder Geograf:innen.
Heute beschäftigen sich auch Soziolog:innen, Psycholog:innen, Wirtschaftswissenschaftler:innen oder Jurist:innen mit den Folgen der Klimakrise. Ähnlich wie in Gießen, Augsburg oder Kiel sind auch in Lüneburg, wo Jule Hanstein studiert, gleich eine Handvoll Studiengänge mit Klimabezug entstanden – und überall mit ausdrücklich interdisziplinärem Konzept.
Einen etwas anderen Ansatz verfolgen die Technischen Hochschulen, die von jeher praktisch ausbilden. „Bei uns geht es nicht allein um die Fakten zur Klimakrise oder darum, die gesellschaftlichen Ursachen auszumachen. Wir lehren, was Ingenieure gegen die Folgen des Klimawandels machen können“, sagt Oleg Panferov von der Technischen Hochschule Bingen.
So müssten seine Studierenden etwa den CO2-Footprint einer Gemeinde errechnen und je nach Ergebnis die sinnvollsten Klimaschutzmaßnahmen ableiten können. „Wenn eine Stadt bei der Gebäudedämmung CO2 sparen möchte, aber die Produktion der Dämmung mehr CO2 verbraucht, als sie später einspart, muss das jemand auffallen.“
Kein „Greta-Effekt“ in Bingen
Der 54-jährige Meteorologe und Klimatologe ist Studienleiter des Studiengangs „Klimaschutz und Klimaanpassung“, den es seit sechs Jahren in Bingen gibt. Damit ist die kleine Technische Hochschule Pionierin, wie schon bei dem Studiengang Umweltschutz. Seit mehr als 45 Jahren bildet sie Umweltschützer:innen aus, so lange wie keine andere deutsche Hochschule. Das ist vielleicht der Grund, warum Professor Panferov keinen großen „Greta-Effekt“ an seiner Hochschule spürt.
„Das Interesse für diese Themen war bei uns immer hoch“, sagt er. Bei der Zahl der Bewerber:innen habe es in den vergangenen Jahren jedenfalls keine nennenswerten Ausschläge gegeben. Ähnliches berichten auch andere Technische Hochschulen, die Studiengänge mit Klimabezug anbieten. Was Panferov jedoch auffällt: So häufig wie in den vergangenen zwei Jahren wurde er bisher nie als Experte angefragt. Selbst seine Studierenden gehen regelmäßig an Schulen, um über die Klimakrise und mögliche Gegenrezepte zu reden.
Das macht auch Till Adler gern. Der 22-Jährige studiert im dritten Semester Umwelttechnik an der Hochschule Rhein-Main. Wie Jule Hanstein aus Lüneburg will er sich später beruflich gegen den Klimawandel engagieren. Im Gegensatz zu ihr hat er aber nie die Klimastreiks der Fridays for Future besucht. „Jeder soll sich dort für’s Klima einsetzen, wo er am sinnvollsten kann.“
Als Ingenieur sieht Adler seinen Platz in der lokalen Umweltpolitik. Seine Heimatstadt Bensheim will bis 2035 klimaneutral sein, da könnten sie doch Leute wie ihn gebrauchen. Adler lernt, wie man bestimmte Stoffe ohne Chemie aus dem Wasser filtern kann, wie man Gebäude energetisch nachrüstet. Was ihm in seinem Studiengang manchmal fehlt: der Blick für’s große Ganze. „Wir lernen, wie wir als Ingenieure die Umwelt retten können, aber nicht, wie wir als Gesellschaft dahin kommen.“
Auch Luisa Nübling will die Gesellschaft verändern – und dafür nicht auf einen Abschluss warten. Ihre Schauspielausbildung hat sie abgebrochen, um Aktivismus in Vollzeit zu machen. „Schon während der Schauspielschule habe ich gemerkt, ich sitze hier, aber müsste eigentlich woanders sein“, berichtet sie. „Jetzt habe ich das Gefühl, ich bin da, wo ich sein müsste.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül