Berliner Verkehrspolitik: Vom Fahrradaktivisten zum CDUler
Erzkonservativ im Sinne der Bewahrung von Schöpfung: Heinrich Strößenreuther ist öko und gegen Autos, aber die CDU passt zu ihm.
Warum, bitteschön, sollte der 55-Jährige bei den Christdemokraten anheuern? Ein Mann, der in Berlin 2016 tatsächlich zu Prominenz gelangte, als er dem rot-rot-grünen Senat mit dem „Volksentscheid Fahrrad“ Feuer unterm Hintern machte? Der gegen die Vormachtstellung des Autos in den Städten zu Felde zieht? Der die NGO GermanZero gründete, die ein 1,5-Grad-Klimaschutzgesetz erarbeiten und den nächsten Bundestag dazu bringen will, Klimaneutralität bis 2035 festzuschreiben?
Die CDU scheint da keine vielversprechende Plattform zu sein. So lag die Vermutung nahe, der „mehrfache Gründer, Changemaker, Klima- und Verkehrsexperte, Buchautor und Keynote-Speaker“ (Strößenreuther über sich selbst) sei pro forma eingetreten, um die Partei von innen zu piesacken und mit Knalleffekt wieder zu verlassen.
Anlass für den CDU-Eintritt war offenbar der in der Bundestagsfraktion verbreitete Aufruf für eine „Grüne Null“: 29 ParlamentarierInnen fordern darin unter anderem, die CO2-Bepreisung deutlich anzuheben und dafür unter anderem EEG-Umlage und Kfz-Steuer abzuschaffen, aber auch, die Wasserstoffproduktion für Brennstoffzellenautos zu fördern.
Ein PR-Stunt war das nicht
Vieles davon gefällt Strößenreuther ganz gut, wie er der taz verrät. Auf jeden Fall stellt er klar: Ein PR-Stunt war das nicht. „Ich bin erzkonservativ im Sinne der Bewahrung von Schöpfung“, sagt er und betont, in einem „CDU-Haushalt“ aufgewachsen zu sein. Er sei „tendenziell dem Unternehmerlager zuzurechnen“ und es sorge ihn, dass da ein Feindbild gewachsen sei: „Der Ton bei Fridays for Future hat sich stark in Richtung links und aggro entwickelt.“
Strößenreuther stellt klar, dass er auch in anderer Hinsicht gut zur CDU passt: „Mit Enteignung kann ich nichts anfangen“, sagt er über den in Berlin laufenden Volksentscheid zur Vergesellschaftung des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen. „Ich hielte das für eine gigantische Geldvernichtung.“ Und auch mit dem Begriff „Heimat“ habe er kein Problem, „auch wenn da jetzt einige aufschreien“. Es gehe am Ende ja auch darum, durch Klimaschutz gewachsene Landschaften zu bewahren.
Natürlich sei die 1,5-Grad-Politik für ihn die Messlatte, so Strößenreuther, und man werde sehen, ob die CDU wirklich in diese Richtung gehe. Aber von der SPD erwartet er im Berliner Landeswahlkampf gar nichts (Spitzenkandidatin Franziska Giffey „macht Autopolitik“), von der amtierenden grünen Verkehrssenatorin wenig: An der schleppenden Umsetzung des fahrradfreundlichen Berliner Mobilitätsgesetzes lässt er kaum ein gutes Haar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an