Freunde, Familie und Bekanntschaften: Vom Gehen und Bleiben
Hier kommen Freunde dazu, dort verlässt man die Clique. Ständig kommen und treten Menschen aus unserem Leben. Richtige Abschiede gibt es selten.
E in*e Künstler*in aus dem erweiterten Bekanntenkreis hat mir neulich mit ein paar Zeilen Spoken Word das Herz rausgerissen. They sprach auf einer Kleinkunstbühne, einer dieser Bühnen, auf denen Leute vor allem ihr Berlinleben verarbeiten. Und they las ein Gedicht über Herzschmerz. Herzschmerz, der kommt, wenn eine geliebte Mitbewohner*in ausgezogen ist. Wenn man sich kannte, wie kaum sonst sich Leute kennen – und wenn trotzdem nur ein Karton mit gerade noch haltbarer Milch zurückbleibt.
Und in dem Loch, wo vorher mein Herz war, haben their Worte ein Räumchen geöffnet. Für all die atypischen Beziehungen in meinem Leben, die irgendwann ganz typisch geendet sind. Und über deren Ende ich jahrelang vergessen habe, traurig zu sein. Die WGs und die Affären und die losen Gruppenbekanntschaften und Dancefloorfreundschaften.
Das sind Beziehungen, die keine Kinder kriegen und keine Häuser bauen und keine Steuern sparen und die wir deshalb oft ernst zu nehmen vergessen. Die wir steril den „erweiterten Bekanntenkreis“ nennen. Dabei sind sie es manchmal, die unserem Ich die Bodenhaftung geben. Aber die erweiterten Bekannten sind eben nicht here to stay. Sie waren es nie.
Viele sind gegangen. Sie riefen nicht mehr an oder gingen nicht mehr ran, sie kamen eines Tages nicht mehr zum verabredeten Ort. Sie sagten einmal zu oft: „Nächsten Monat wird’s bei mir ruhiger.“ Sie zogen weg, ganz schnell, hatten plötzlich ein Leben in Kisten verpackt. Sie folgten einer Karriere oder einer großen Liebe – oder dem Versprechen einer Karriere und dem Versprechen der großen Liebe.
Raus, ciao, bye-bye
Oft genug bin auch ich gegangen: weiter, zurück oder einfach weg. Nicht immer in Frieden. Oder ich habe nicht mehr angerufen, und ziemlich oft geschah das nicht aus Versehen. Manchmal konnte ich es kaum erwarten, Menschen zurückzulassen. Aber ich vermisse sie alle. Für so viel heartbreak, wie man im Laufe eines Lebens Menschen verliert oder verlässt, bin ich, glaube ich, gar nicht stark genug. Würde ich jedes Mal angemessen trauern, könnte ich nicht mehr zur Arbeit gehen. Also vergesse ich. Und ich klopfe denen, die gehen, dreimal auf den Rücken und wünsche eine gute Zeit. Und ich lösche Handynummern und zucke mit den Schultern.
Vielleicht ist Einsamkeit nicht das Fehlen von Nähe. Sondern das Fehlen von Erinnerung. Das Schöne ist, dass so viele geblieben sind. Nicht alle greifbar nah, viele folgen ihren Karrieren, ihren großen Lieben, kriegen Kinder, sparen Steuern, und ein bisschen ist das ja auch in Ordnung, ein bisschen tu ich das ja ebenfalls. Und schließlich sind sie doch nah genug, um nicht weg zu sein. Ich liebe das. Und ich hoffe sehr, dass auch ich gerade here to stay bin.
Aber die Mehrheit ist irgendwann wirklich weg wie die Mitbewohner*in aus dem Gedicht. Oder wie die, die bei Ihnen und mir verschwunden sind. Raus, ciao, bye-bye. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann wieder.
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