piwik no script img

Freie Universität BerlinAnti-israelischer Protest in Dahlem

Mehr als hundert Menschen demonstrieren vor der Freien Universität gegen Israels Angriffe auf Gaza. Auch ein kleiner Gegenprotest formiert sich.

„Keine Veranstaltung der Freien Universität“: Die anti-israelische Kundgebung in Dahlem Foto: Leon Holly

Berlin taz | „Stoppt den Genozid in Gaza“, „Kinder bombardieren ist nicht Selbstverteidigung“, „Menschenrechte für alle“ – diese Sätze stehen auf Plakaten einer palästinasolidarischen Demonstration, die am Freitagmittag vor der Freien Universität Berlin stattfand. Zu der Kundgebung geladen hatte die marxistische Splittergruppe „Klasse gegen Klasse“. Etwa 150 Menschen folgten ihrem Aufruf, viele von ihnen trugen Kufiya, das sogenannte Palästinensertuch.

Eine Rednerin von „Waffen der Kritik“ – der Hochschulgruppe von „Klasse gegen Klasse“ – grenzt sich in ihrer Wortmeldung von der islamistischen Hamas ab. „Wir teilen weder die Methoden noch die Strategien der Hamas, einer Organisation, die gezielt Zi­vi­lis­t*in­nen angreift, ein theokratisches Regime aufbauen will und zutiefst arbeiter*innenfeindlich, frauenfeindlich, queerfeindlich und antisemitisch ist.“ Trotzdem wolle man „das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und den Kampf gegen den Apartheidstaat“ verteidigen.

Die Rednerin spricht sich dann auch gegen das Verbot der antiisraelischen Organisation Samidoun aus. Anhänger von Samidoun hatten nach dem Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober auf der Sonnenallee in Neukölln gefeiert und Baklava verteilt.

Die Universität als politischer Ort

Auch Ben Niran hat sich der Kundgebung angeschlossen. Er sei Israeli und in Jerusalem aufgewachsen, erzählt er. Auch er nennt die Angriffe des israelischen Militärs im Gazastreifen einen „Genozid“. Ihm sei es wichtig, dass auch die Universität als politischer Ort gesehen wird. „Das ist die Frage: Sind wir nur Akademiker, sind wir nur Forscher? Oder worum geht es gerade?“

So richtet sich auch der Aufruf von „Klasse gegen Klasse“ direkt an die Freie Universität. Dort heißt es: „Wir fordern die FU auf, eine Erklärung zu veröffentlichen, die den Krieg gegen Gaza als Völkermord und den israelischen Staat als das bezeichnet, was er ist: Apartheid.“

Die Universität hatte sich zuvor auf X, vormals Twitter, von der Veranstaltung distanziert: „Die angekündigte Kundgebung auf dem Campus der Freien Universität ist keine Veranstaltung der Freien Universität, sie wurde bei der Freien Universität nicht angemeldet und wurde von der Hochschule auch nicht genehmigt.“ Teilnehmende auf der Demonstration kritisierten, dass die FU ihre Räumlichkeiten nicht zur Verfügung stellte.

Unterstützung für ihr Vorgehen erhielt die Universität dagegen bereits am Donnerstag von der CDU- und der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Es sei richtig, „wenn das Präsidium der Kampagne daher auch im Interesse der Hochschule eine klare Absage erteilt und die Kundgebung in den Räumen der FU mit Durchsetzung des Hausrechts verhindert“, schrieben die wissenschaftspolitischen Sprecher der Fraktionen, Marcel Hopp für die SPD und Adrian Grasse für die CDU, in einem gemeinsamen Statement. Die Veranstaltung nannten sie „gezielte Stimmungsmache gegen Israel und zutiefst beschämend.“

Etwa 50 Meter abseits des Protests versammelt sich unterdessen am Freitag eine Gruppe von etwa einem Dutzend Gegendemonstranten. Einige schwenken Israelfahnen. Die Rufe nach „Free Palestine“ seitens der der Kundgebung ergänzen sie mit: „From Hamas“. Ein Gegendemonstrant mit Kippa fällt mit lauten Rufen auf – aus voller Kehle stimmt er etwa das hebräische Lied „Am Yisrael Chai“ („Das Volk Israel lebt“) an.

„Ein bisschen peinlich“ findet Ben Niran die Gegendemonstranten. „Ich bin in Israel aufgewachsen, kann Hebräisch, ich kenne die Tradition und die Lieder, die die da singen“, sagt er. Gleichzeitig gefällt ihm auch nicht alles, was er auf der Kundgebung hört. Ein Redner habe es nicht mal geschafft, in Bezug auf die Gewalt der Hamas das Wort „verurteilen“ zu benutzen. „Der hat gesagt: ‚Wir kritisieren das stark‘. Das finde ich auch problematisch. Was mich am meisten stört und enttäuscht, ist diese Einseitigkeit.“

Es müsse möglich sein, Gewalt auf beiden Seiten zu verurteilen, sagt Ben Niran. Worauf er hofft? „Ich würde mir eine richtige gemeinsame Kundgebung wünschen, wo beide Seiten vertreten sind.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • "... „das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung ..."

    Jetzt, genau jetzt, in diesem Zeitfenster, hat die palästinensische Nicht-Hamas-Bevölkerung die Chance auf Selbstbestimmung und die Möglichkeit ein Zeichen zu setzen und positiven Einfluss auf ihre Zukunft zu nehmen.

    Die Hamas hat 30.000 aktive Mitglieder, die Bevölkerung des Gaza ca. 2.000.000 Millionen Einwohner. Rein rechnerisch dürften das Hunderttausende Männer (und vielleicht auch ein paar Frauen) sein, die sich gegen die Mörder des 07.10. stellen könnten, die Geiseln befreien und somit der Welt zeigen könnten, dass sie auf der - meine subjektive Meinung - richtigen Seite stehen.



    Das hätte auch Einfluss auf ihre Chancen hinsichtlich eines eigenen Staates.

    Würde die palästinensische Bevölkerung jetzt ein Zeichen setzen, dass sie human handeln wollen, dass sie diesen Krieg nicht wollen, würden sie Anerkennung und, wie ich annehme, mehr Unterstützung für ihr Anliegen erhalten.

    So bleiben, zumindest bei mir, die Bilder einer Bevölkerung, die wehrlose Menschen, Frauen, Kinder und Alte bespuckt, schlägt, demütigt, quält.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    "Das finde ich auch problematisch. Was mich am meisten stört und enttäuscht, ist diese Einseitigkeit.

    Es müsse möglich sein, Gewalt auf beiden Seiten zu verurteilen .."

    Allmählich wird's aber wirklich skurril.



    Was für eine absurde Vorstellung.

    Nur ein Beispiel:



    Amm 22.10. hat Bundespräsident Steinmeier auf einer pro-israelischen Demonstration gesprochen.



    Hätte er dort, die Untaten der israelischen Armee in Gaz verurteilen sollen?



    Ja, hätte er.



    Wäre es denkbar und möglich gewesen?



    Da wäre ein Sturm durch den Blätterwald gefegt, der seinesgleichen gesucht hätte.

    • @655170 (Profil gelöscht):

      Von welchen "Untaten der israelischen Armee" sprechen Sie bitte?

      Und davon ab: Steinmeier hat sehr wohl Israel zur Zurückhaltung gemahnt.

      Es gab keinen Sturm.

  • Die trotzkistisch geprägte KgK ist viel zu ideologisch gegen den Staat Israel und viel zu bolschewistisch, um "Gewalt" zu verurteilen. Ihr Arbeiterstaat wäre allerdings ein Programm revolutionärer Gewalt!



    Schlimm diese Demo, gut die Reaktion der Uni-Leitung.



    Es gibt da viele Details: warum die Kufya-Vereinheitlichung, die konkurrierenden Nationsbildungs-Vorstellungen, wie finanzierte die Hamas ihr Tunnelsystem, was ist Kolonialherrschaft. So wie das lief ist das plump und stumpf.



    Zusammenleben in Israel:



    schildert Igal Avidan: »... und es wurde Licht!«



    Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel. Berenburg, 2023,

  • "„Wir teilen weder die Methoden noch die Strategien der Hamas, einer Organisation, die gezielt Zi­vi­lis­t*in­nen angreift, ein theokratisches Regime aufbauen will und zutiefst arbeiter*innenfeindlich, frauenfeindlich, queerfeindlich und antisemitisch ist.“ Trotzdem wolle man „das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und den Kampf gegen den Apartheidstaat“ verteidigen."

    Aha.

    Und wer führt derzeit den Kampf gegen den "Apartheidstaat"?

    Ich kann mich natürlich täuschen, aber das scheint doch die Hamas zu sein. Seit mehr als 15 Jahren. Das ist das Dilemma dieser Solidarität.

    Man ist solidarisch mit wem? Wer kämpft da außer Hamas und PIJ? Palästina soll frei sein, frei von wem oder was? Frei von Israel und in den Händen der Hamas? Fragen über Fragen.

    • @Jim Hawkins:

      Richtig.

      „Freiheit“ heißt in diesem Kontext immer „frei von Juden“. Es gibt niemanden, der ein Palästina „vom Fluss bis zum Meer“ fordert, in dem Juden gleichberechtigt und in Frieden mit den Palästinensern leben. Es geht immer um Vernichtung des Staates Israel und die Vertreibung der Juden.