Frauentags-Demonstrationen in Spanien: Gesundheitsminister im Visier
Gegen die spanische Regierung wird ermittelt. Der Vorwurf: Die Frauentagsdemos wurden aus politischen Gründen trotz Virusgefahr genehmigt.

Richterin Carmen Rodríguez-Medel ermittelt gegen den Delegierten der sozialistisch-linksalternativen Regierung von Pedro Sánchez in der Region Madrid, José Manuel Franco, der die Demonstration genehmigte, sowie gegen den Gesundheitsminister Spaniens Salvador Illa und den Virologen und Chef des Coronakrisenstabes Fernando Simón. Franco soll im Namen der Linksregierung – trotz internationaler Warnungen – die Frauendemo aus politischen Erwägungen genehmigt haben. Rechtsbeugung sieht Richterin Rodríguez-Medel darin.
Die konservative Juristin stützt sich dabei auf einen Untersuchungsbericht der paramilitärischen Polizeieinheit Guardia Civil. Der Schriftsatz voller Fehler, falscher Tatsachenbehauptungen und gefälschten Aussagen soll belegen, dass die Regierung bereits im Januar wusste, dass Spanien vor einer schweren Gesundheitskrise stände und dennoch die Frauentagdemos zuließ, da es sich um ihr politisches Klientel handelte. Selbst die Chronologie wurde von der Guardia Civil angepasst. So habe die Weltgesundheitsorganisation bereits am 30. Januar Covid-19 zur globalen Pandemie erklärt. Tatsächlich passierte dies am 11. März.
Der Bericht der Guardia Civil gibt eine Reihe von Fake News aus der rechten Onlinepresse und dem Radiosender der Bischofskonferenz COPE wieder. So seien die Ministerinnen, die ganz vorn bei den Demos mitliefen, gewarnt gewesen. Als Beweis dienen Fotos mit lila Latexhandschuhen. Selbstschutz vor der Virusgefahr, erklärt die Guardia Civil. Dass dieser Art Handschuhe seit dem Frauenstreik am 8. März vor zwei Jahren in Spanien übliches Outfit am Frauentag sind, wird verschwiegen.
Dutzende Fußballspiele ebenfalls am 8. März
Franco habe die Frauentagdemo genehmigt, während er auf andere Veranstalter Druck ausgeübt habe, damit sie ihre Aktivitäten absagen. Entsprechende Zeugenaussagen finden sich im Bericht. Sie haben nur einen Schönheitsfehler: Die Befragten dementierten dies, als der Bericht an die Presse durchsickerte. Sie geben an, ihre Aktivitäten aus eigenen Erwägungen und ohne Druck seitens der Regierung storniert zu haben. Sie hätten das bei der Befragung auch so zu Protokoll gegeben.
Dass am 8. März Dutzende Fußballspiele und ein Massenmeeting von VOX stattfanden, spielt in der Ermittlungen erstaunlicher Weise keine Rolle. Wie der Zufall so will, erkrankte wenige Tage nach dem VOX-Meeting einer deren Spitzenpolitiker an Covid. Er hatte ein Bad in der Menge genommen.
Diego Pérez de los Cobos, der Chef der Guardia Civil in Madrid, der in letzter Instanz für den Bericht zum 8. März verantwortlich zeichnet, ist kein Unbekannter. Der Sohn eines Polizisten, der einst für die faschistische Partei Fuerza Nueva kandidierte, koordinierte die Polizeieinsätze 2017 zum Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien. Beim abschließenden Verfahren, bei denen Mitglieder der katalanischen Regierung sowie zwei Aktivisten zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt wurden, zeigte sich Pérez de los Cobos sehr kreativ bei der Interpretation der Vorfälle.
Am Montag enthob Innenminister Fernando Grande-Marlaska Pérez de los Cobos „im Rahmen einer Umgestaltung der Führungsstruktur“ seines Amtes. Seither ist der Innenminister mehr denn je der Wut der konservativen Partido Popular (PP), der rechtsliberalen Ciudanos (Cs) und der rechtsextremen VOX ausgesetzt. Als „miserablen Verräter“, des Amtes „unwürdig“ beschimpften sie ihn im Parlament und fordern seinen Rücktritt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945