Frauen im Hip-Hop: Ungezähmt weiblich
Rapperinnen wie Angel Haze und Azealia Banks behaupten sich selbstbewusst im männerdominierten Geschäft. Sie stellen das Hip-Hop-Rollenbild in Frage.
Wie man es auch dreht und wendet: Im Hip-Hop haben Frauen nie die allergrößte Rolle gespielt. Zwischen dem inhärenten Machismo des Battle-Gedankens, dem rückwärtsgewandten Frauenbild vieler Protagonisten und der Industrie schien einfach kein Platz für „Femcees“ – abwertende Begriffe wie diesen gratis.
Seit einiger Zeit ereignet sich jedoch ein Paradigmenwechsel: Junge, talentierte Künstlerinnen wie Angel Haze oder Azealia Banks weisen das nötige Selbstbewusstsein auf, um sich in diesem feindseligen Umfeld zu behaupten.
Allmählich verschiebt sich das Ungleichgewicht der Geschlechter im Hip-Hop in Richtung einer künftig zu erwartenden echten Gleichstellung. Beleg dafür ist etwa die „Cunt Mafia“-Partyreihe in Bushwick, einem Viertel von Brooklyn, New York. Exzentrische junge Künstlerinnen nutzen sie als Bühne, das Publikum ist ein wilder Mix aus Kunststudenten und Ghettokids. Zur Party werden Trap, Hip-Hop und House aufgelegt, queere Raver sind ebenso willkommen wie Freaks und Fashionistas.
Angel Haze: „Dirty Gold" (Republic/Universal) Azealia Banks live: Huxleys, Berlin, 5. April
In dieser Subkulturszene trieb sich auch Azealia Banks herum, ein 22-jähriges Energiebündel aus Harlem. Ihr immenses Talent personifiziert das neue Selbstbewusstsein junger Rapperinnen: Sie legt sich auf Twitter mit jedem an, von Lady Gaga bis Miley Cyrus, steht offen zu ihrer Bisexualität, erklärt aber auch stets, nicht auf die Rolle der bisexuellen Rapperin reduziert werden zu wollen.
2012 lud sie das Low-Budget-Video zu ihrer infektiösen Hip-House-Single „212“ ins Netz, deren Text sich auf die Vorzüge des Cunnilingus kaprizierte. Seitdem wartet eine wachsende Fanschar auf ihr Debütalbum „Broke With Expensive Taste“, an dem sie mit Produzenten aus der Bass-Music-Welt arbeitet und das nun endlich im März 2014 erscheinen soll.
Hochgelobtes Mixtape
Ähnliche Hoffnungen werden auf die ebenfalls 22 Jahre junge New Yorkerin Angel Haze projiziert, die auf ihren hochgelobten Mixtapes so mutig wie technisch brillant über Themen wie Kindesmissbrauch oder Ausgestoßensein auf dem Schulhof rappte. Aus Frust über Streitigkeiten mit ihrer Plattenfirma stellte sie ihr Debütalbum „Dirty Gold“ selbst ins Netz, worauf die Veröffentlichung um drei Monate vorgezogen wurde.
Leider zeigt das am Montag veröffentlichte Album, dass Angel Haze sich von der Major-Maschinerie in eine allzu zahnlose Richtung drängen ließ: „Dirty Gold“ ist entgegen seinem Titel ein glatt gebügelter Teppich aus handelsüblicher Elektrotrash- und Plastikpop-Ware. Leider wird diese brillante Rapperin dadurch eines Großteils ihrer Andersartigkeit beraubt.
Was bleibt, ist der positive Umstand, dass sich in der traditionell frauenunfreundlichen Hip-Hop-Welt etwas tut. Für dieses neu erwachende weibliche Selbstbewusstsein kann die Wirkung von Nicki Minaj nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die New Yorkerin spielt in ihrem Image gekonnt mit sexuellen Identitäten und einem ironisch gebrochenen Ghetto-Chic. Mit ihren durchgeknallten Stylings, diversen Alter Egos und wilden Performances bietet die 31-Jährige tatsächlich so etwas wie ein Rollenvorbild, etwa für die erwähnte „Cunt Mafia“-Szene.
Auf Kollaborationen mit Branchengrößen wie Kanye West bewies Minaj zudem, dass sie es reimtechnisch mit jedem Kollegen aufnehmen kann. Natürlich gab es schon in früheren Phasen der Hip-Hop-Kultur Protagonistinnen wie etwa Roxanne Shanté mit ihrem burschikosen Charme oder Salt-n-Pepa, die über selbstbestimmten Sex rappten.
Hoffnungen der Majors
In den Neunzigern bedienten sich die Gangsta-Rapperinnen Lil Kim und Foxy Brown vor allem ihrer körperlichen Reize zur Aufmerksamkeitssteigerung. Mit viel gutem Willen ließe sich auch das als feministischer Akt der Selbstermächtigung lesen, doch ihre stereotypen Images bedeuteten im Ergebnis einen Rückschritt. Sie wurden nur als attraktive Musen von Gönnern wie The Notorious B.I.G. wahrgenommen, der auch noch die Texte schrieb.
Wenn man so will, waren Lauryn Hill und Missy Elliott gegen Ende der Neunziger die Ersten, die sich auf künstlerischer Ebene nicht reinreden ließen. Die Talente von heute, inklusive Nicki Minaj, beziehen sich genauso auf Missy wie auf Lauryn Hill, auf Lil Kim wie auf Beyoncé. Sie machen sich nun daran, die Hip-Hop-Szene und die Welt des Pop mit angriffslustiger Attitüde zu erobern. Minaj hat seit ihrem Durchbruch 2009 Millionen Alben verkauft und steht mit einem geschätzten Jahresverdienst von 15 Millionen US-Dollar ganz oben in der Liste der reichsten US-Entertainer.
Selbstbestimmte Weiblichkeit lässt sich heute also tatsächlich verkaufen. Das erklärt, warum Angel Haze oder Azealia Banks derzeit zu den größten Hoffnungen der Majors gehören. Doch diese Rechnung wird nur aufgehen, wenn sie sich nicht von Managern zähmen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen