Französische IS-Anhängerinnen: Kein Anspruch auf Rückkehr
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat geurteilt, dass Frankreich IS-Anhängerinnen und ihre Kinder nicht zurücknehmen muss.
Geklagt hatten zwei französische Elternpaare, deren Töchter 2014 und 2015 mit ihren Partnern nach Syrien ausreisten, um sich dort dem „Islamischen Staat“ (IS) anzuschließen. In Syrien wurden auch drei Kinder geboren. Nach der militärischen Niederlage des IS gerieten die Frauen und ihre Kinder in Gefangenschaft der von den Kurden kontrollierten SDF (Syrische Demokratische Kräfte). Zeitweise waren sie im Lager al-Hol untergebracht, wo 2021 rund 62.000 Menschen inhaftiert waren, davon zwei Drittel Kinder. NGOs berichteten von Unterernährung, posttraumatischem Stress und der Gefahr von Gewalt und sexueller Ausbeutung.
Die beiden Elternpaare waren in großer Sorge um ihre Töchter und Enkel. Sie forderten, dass sich Paris für eine Rückkehr einsetzt. Mehrfach schrieben sie an die Regierung, erhielten aber keine Antwort. Französische Gerichte erklärten sich für nicht zuständig, weil sich die Betroffenen ja in Syrien aufhielten.
2019 bis 2021 holte Paris 35 französische Waisen und unbegleitete Minderjährige aus den Lagern und brachte sie nach Frankreich. 2022 wurden noch einmal 35 Minderjährige, diesmal auch 16 Mütter, nach Frankreich geholt. Die Töchter und Enkel der beiden Elternpaare waren jedoch nicht dabei. Sie riefen deshalb den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg an, der über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention in 46 europäischen Staaten wacht. Jetzt entschied die Große Kammer des EGMR.
Keine Pflicht zur Diplomatie
Danach gibt es zwar ein Recht von Staatsbürger:innen auf Wiedereinreise in ihren Heimatstaat, das in einem Zusatzprotokoll der Konvention geregelt ist. Daraus folgt aber noch kein Anspruch darauf, dass sich der jeweilige Staat für die Betroffenen diplomatisch einsetzt und sie aus syrischen Lagern zurückholt.
Dennoch wurde Frankreich vom Gerichtshof nun wegen Verletzung der Menschenrechte verurteilt. Das Verfahren der Rückführung habe nicht rechtsstaatlichen Standards genügt. Frankreich hätte zumindest eine unabhängige Stelle einrichten müssen, die prüfen kann, ob die Entscheidungen der Regierung frei von Willkür waren. Es sei nicht sichergestellt gewesen, dass die Entscheidungen ausreichend am Kindeswohl ausgerichtet waren.
Die Eltern erhielten lediglich den Ersatz ihrer Auslagen, aber keine Entschädigung. Die Feststellung, dass Frankreich ihre Rechte verletzt hat, sei ausreichend, so die Richter:innen.
(Az.: 24384/19)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku