Franziska Giffeys Karriere in der SPD: Sie ergreift die Chance
Noch Bezirksbürgermeisterin in Neukölln – bald SPD-Familienministerin in der Großen Koalition: Giffeys Aufstieg ist rasant.
Donnerstagabend im Ballhaus Rixdorf in Berlin-Neukölln. Der Ort hat Street Credibilty. Er liegt im zweiten Hinterhof, neben den Kundenparkplätzen von Mäc-Geiz. Die SPD-Frauenriege feiert hier den 8. März. Andrea Nahles ist da, klar, auch Katarina Barley und natürlich Franziska Giffey – die drei sollen sozialdemokratische weibliche Galionsfiguren der neuen Großen Koalition werden.
Andrea Nahles wird, wenn alles nach Plan geht, die erste SPD-Vorsitzende nach 154 Jahren. Sie hält eine launige, lässige Rede vor einem lila Satinvorhang. Sie plaudert über ihren ersten Job bei der SPD, damals, 1988, als sie Juso-Vorsitzende in Mayen-Koblenz wurde. Zwei Genossen wollten sie prompt loswerden. Nahles rettete, so erzählt sie es, eine Frauenrunde, zu der schon damals Katarina Barley zählte. „Ohne die hätte ich hingeworfen“, sagt Nahles. Ein weibliches Netzwerk, das bis nach ganz oben hält.
Nahles skizziert, wie oft in der SPD, den ganz großen Bogen. 1919 hat die SPD das Frauenwahlrecht erkämpft, in den 80ern die Quote durchgesetzt, demnächst wird man den 129a abschaffen. Es ist eine schöne Geschichte, vom zähen Ringen um Emanzipation. Und jetzt endlich sind die Genossinnen auch selbst oben angekommen. Gegen Nahles geht nichts in der SPD, Barley wird Justizministerin und Franziska Giffey Familienministerin.
Auch Giffey schlägt diesen Ton an. „Ich war die erste Bezirksbürgermeisterin in Neukölln“, sagt sie. Giffey klingt schon fast wie die Familienministerin. Sie lobt den Equal Pay Day, klagt, dass es zu wenige Frauenhäuser gebe, und fordert, dass Mädchen überall, auch in streng religiösen Familien, bestimmen dürfen, wie sie leben und wen sie heiraten. „Auch zwischen drei Cousins wählen zu dürfen ist keine freie Wahl“, sagt sie. Die eher spärlich erschienen Genossinnen applaudieren. Giffey lächelt, stützt sich mit dem Arm auf das Pult und sieht manchmal aus, als wolle sie lockerer wirken, als sie ist.
Ihr Aufstieg hat ja auch wirklich etwas Rauschhaftes. Als sie im April 2015 Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln wurde, war das nicht nur Berliner Medien, sondern auch der Zeit Artikel wert. Das lag weniger an der damals 36 Jahre alten Sozialdemokratin als an ihrem Vorgänger: Heinz Buschkowsky hatte es mit populistischen Sprüchen wie „Multikulti ist gescheitert“ in unzählige TV-Talkshows geschafft und sich und seinen Multikultibezirk berühmt gemacht. Giffey, zuvor Bildungsstadträtin des Bezirks, kannte über dessen Grenzen hinaus damals kaum jemand. Die Prognose, dass sie keine drei Jahre später Bundesministerin werden würde, hätte ihren politischen Ziehvater Buschkowsky wohl eher zum Lachen gebracht.
Pragmatismus und klare Haltung
Die junge Bürgermeisterin eines der größten und ärmsten Berliner Bezirke trat indes schnell aus dem breiten Schatten ihres Vorgängers. Buschkowskys Lautsprecherei liegt der stets höflichen und immer leise auftretenden Giffey fern. Als in Neukölln kürzlich gestritten wurde, ob es den Niedergang des Abendlands bedeute, dass auf dem Kletterhäuschen eines neuen Spielplatzes eine Kuppel mit Halbmond prangt, nannte sie die Debatte treffsicher „angstbehaftet und mit Vorurteilen beladen“ – und beendete sie mit der trockenen Feststellung, nun wisse immerhin jeder, dass Neukölln seine Spielplätze saniere.
Statt auf Populismus setzt Giffey auf Pragmatismus und klare Haltungen. Angesichts von Schulklassen mit 100 Prozent Kindern nichtdeutscher Herkunft könne „man sich doch nicht mehr hinstellen und sagen, das ist grundsätzlich ein Problem“, sagte sie bei ihrem Amtsantritt. Der Hilflosigkeit des Berliner Senats angesichts der Zuwanderung südosteuropäischer Roma begegnete Giffey ebenso pragmatisch: Als EU-Bürger hätten diese nun mal das Recht auf Freizügigkeit, sie wegzuschicken sei deshalb „keine Option“. Giffey schuf die bezirkliche AG Roma und eine spezielle Anlaufstelle, um die Kinder in Schulen, die Familien in Wohnungen, die Eltern in Arbeit zu bringen. Denn, so ihre Überzeugung: „Diese Neu-Neuköllner wollen bleiben.“
Franziska Giffey wurde 1978 in Frankfurt (Oder) in der damaligen DDR geboren – auch sie musste also genau genommen ihr Herkunftsland verlassen. Eine Erfahrung, die sie in die Politik in ihrem Einwandererbezirk einbringen kann. Sie sei ja selbst „nicht in Neukölln geboren und aufgewachsen“, gibt sie den neuen Deutschen bei den regelmäßigen Einbürgerungsfeiern in ihrem Rathaus mit, „und dennoch jetzt Bürgermeisterin“. Also: „Ergreifen Sie die Chance, gestalten Sie diese Stadt als Bürger und Bürgerinnen mit!“
Doch anders als Buschkowsky belässt Giffey es nicht bei guten Ratschlägen an die Neudeutschen: Wenn bei manchen von ihnen die Tränen fließen, wenn bei der Einbürgerungsfeier die Hymnen ihrer Herkunftsländer gespielt werden, weint die Bürgermeisterin durchaus mal mit – Giffeys Pragmatismus ist kein Korsett.
Regelmäßige Razzien
Dass sie dennoch beim konservativen Flügel der SPD Unterstützung findet, ist nicht verwunderlich. Denn Giffey setzt auch auf klare Regeln: Sie hat die Polizeipräsenz im Bezirk verstärkt, in den vielen Spielcasinos oder Shisha-Bars im Norden werden regelmäßig Razzien durchgeführt. Einige Neuköllner Schulen haben Wachschutz vor der Tür, viele vereinbarten Kooperationen mit der Polizei; Schulschwänzer werden nun von Polizisten zur Schule gebracht. Und das Kopftuchverbot für Lehrerinnen unterstützt sie ohne Wenn und Aber: „Mädchen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht, werden dabei von ihrem Umfeld beeinflusst, von Nachbarn, Familie, Freunden. Eine Lehrerin mit Kopftuch würde diesen Einfluss verstärken“, sagte sie letztes Jahr in der taz.
Klare Kante zeigt die Doktorin der Politikwissenschaft aber auch gegen Rechte. Nach einem Brandanschlag auf das Wohnhaus des Neuköllner Linken-Politikers Ferat Kocak im Januar stand sie mit auf der von den Linken vor ihrem Rathaus organisierten Demo. Und als in Neukölln Stolpersteine ausgebuddelt und gestohlen wurden, sammelte sie Spenden für neue und war bei deren Verlegung dabei.
Kein Wunder, dass sowohl von Linken und Grünen wie auch von der CDU im Bezirk Neukölln viel Gutes über die bisherige Bezirksbürgermeisterin zu hören ist. Dass sie sich auch auf höherer politischer Ebene durchzusetzen weiß, bewies Giffey bereits 2014 als Bildungsstadträtin. Bei einer Veranstaltung für BürgerInnen, die sich in ihren Kiezen ehrenamtlich engagieren, saß die Stadträtin auf dem Podium, als die Diskussionsrunde schnell beendet werden sollte, da der damalige Stadtentwicklungssenator Michael Müller – heute ist er Regierender Bürgermeister von Berlin – plötzlich auftauchte und eine Rede halten wollte. Doch Giffey blieb sitzen. Da war noch etwas, das wollte sie klären. Ein alter Herr hatte sich beschwert, dass kein Raum mehr für seine Seniorengruppe zur Verfügung stehe. Giffey fragte nach, machte sich Notizen – ein Raum werde sich finden, versprach sie. Dann erst durfte Senator Müller reden.
Vielleicht blitzte da schon das neue Selbstbewusstseins der SPD-Frauen auf.
Am Freitagmorgen kurz nach zehn wird es dann offiziell. Giffey betritt das rote, kreisrunde Podest im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Dass sie Familienministerin wird, war schon zuvor durchgesickert. Das Echo in den Medien und in der Partei ist auf fast unheimliche Art positiv, von rechts bis links. Sie soll im Kabinett für die SPD glänzen. Als Frau, als Ostdeutsche, als jemand, der für handfeste praktische Lösungen sorgt. Ob der Sprung vom Bezirk ins Kabinett nicht doch kühn sei, wird gefragt. Der kommissarische Parteichef Olaf Scholz sucht in seiner knappen Lobrede solche Zweifel zu zerstreuen. Neukölln sei ja eher eine Großstadt, und „schwieriger zu führen als ein Ministerium“. Franziska Giffey lächelt leicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland