Frankreichs neue Ruanda-Untersuchung: In den Genozid verstrickt
Über den Völkermord an den Tutsi 1994 in Ruanda wurde viel geforscht. Die entscheidende Frage aber bleibt: Warum griff Frankreichs Militär nicht ein?
W ie war es möglich, dass im Jahr 1994 unter den Augen einer untätigen Weltöffentlichkeit innerhalb von etwa drei Monaten rund eine Million Menschen bestialisch abgeschlachtet werden konnten, von mordenden Milizen und vom Militär, in einer organisierten, auf Kommando agierenden Vernichtungsaktion, deren Gewaltapparat mit internationaler Hilfe aufgebaut worden war?
Der Völkermord an Ruandas Tutsi ist mittlerweile durchleuchtet, erforscht, dokumentiert, juristisch aufgearbeitet; die Motivationen der Täter, die Art und die Vorbereitung des Massenmords sind bekannt. Aber warum niemand eingriff, bis es zu spät war – diese Frage gehört zu den großen ungeklärten Mysterien des 20. Jahrhunderts.
Der Untersuchungsbericht über Frankreichs Rolle in Ruanda, den eine Historikerkommission jetzt vorgelegt hat, beantwortet diese Frage genauso wenig wie seine Vorgänger. Aber er stellt sie in bisher ungekannter Schärfe. Frankreich war der wichtigste militärische Verbündete der Hutu-Generäle, die 1994 aus Angst vor dem Machtverlust systematisch begannen, alle Tutsi umzubringen.
Frankreich stellte nicht nur Waffen und Berater, es hatte Augen und Ohren überall. Frankreichs Diplomaten und Offiziere wussten, was vorging, auch und gerade all die Jahre vorher. Sie hätten rechtzeitig reagieren können, sie hätten Menschenleben schützen können, statt sie preiszugeben. Sie taten es nicht. Sie ließen sich auf die Logik der Mörder ein und wussten es. Niemand bisher hat diese mörderische Kombination von Verwicklung und Untätigkeit so schonungslos dokumentiert.
Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich jetzt in die Pose des unerschrockenen Aufklärers wirft, war nicht anders zu erwarten, ebenso, dass Kritiker der französischen Afrikapolitik den Bericht als ungenügend bezeichnen. Aber diese Reaktionen genügen nicht. Nach wie vor gewährt Frankreich flüchtigen Völkermordtätern Schutz. Nach wie vor pflegen Frankreich und Ruanda getrennte historische Gedächtnisse und sprechen nicht miteinander. Und die Frage „Wie war es möglich?“ – die werden die Überlebenden voraussichtlich mit ins Grab nehmen.
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