Frankreichs Rolle beim Genozid 1994: Macron bittet Ruanda um Verzeihung
Der Präsident räumt eine französische Mitverantwortung beim Genozid ein. Von seinem ruandischen Amtskollegen Kagame bekommt er dafür Lob.
Berlin taz | „Der Geschichte ins Auge sehen und den Anteil des Leids anerkannen, den es (Frankreich) dem ruandischen Volk zugefügt hat, indem es zu lange das Schweigen der Wahrheitsfindung vorgezogen hat“: Mit beispiellos klaren Worten hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag in Ruandas Hauptstadt Kigali die „politische Verantwortung Frankreichs in Ruanda“ umschrieben. Macrons Rede an der Völkermordgedenkstätte Gisozi in Kigali war der sichtbare Höhepunkt eines Besuches, der als Schlussstrich unter „27 Jahre Entfremdung und Verständnislosigkeit“ gedacht war.
Macron war 16 Jahre alt, als in Ruanda im Jahr 1994 bis zu eine Million Menschen, fast alles Tutsi, dem organisierten Völkermord durch das damalige Hutu-Regime zum Opfer fielen. Die damalige ruandische Armee wollte damit eine Machtbeteiligung der Tutsi-Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) verhindern und stellte Milizen auf, um alle Tutsi umzubringen.
Zuvor war sie von Frankreich aufgebaut, ausgebildet und aufgerüstet worden. Jahrelang Warnungen, dass radikale Hutu-Politiker auf das Erstarken der RPF mit der Auslöschung aller Tutsi Ruandas reagieren wollten, schlug der französische Staat damals in den Wind. Stattdessen sicherte eine französische Militärintervention noch während des Völkermordes den Rückzug des Hutu-Staatsapparates in die benachbarte Demokratische Republik Kongo ab, als die RPF in Ruanda vorrückte und schließlich die Hauptstadt Kigali einnahm, wo sie bis heute regiert.
Ein von Macron in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht hatte erst vor wenigen Monaten das Ausmaß der französischen Verstrickung in Ruandas Völkermord enthüllt, das ansonsten bisher von offizieller Seite in Frankreich kleingeredet, wenn nicht geleugnet worden war. Bis heute leben zahlreiche führende Völkermordtäter unbehelligt in Frankreich – „mindestens 47 angeklagte Völkermordverdächtige und Hunderte von Völkermordleugnern und Revisionisten“, rechnet Ruandas regierungsnahe Tageszeitung New Times vor.
Ruanda hat sich zuletzt Frankreich wieder angenähert
Eine „Mittäterschaft“ des französischen Staates beim Massenmord hatte der französische Bericht verneint. Darauf hatte Ruanda mit einem eigenen Untersuchungsbericht reagiert, der deutlich weiter ging. Zugleich hat Ruanda allerdings in den vergangenen Jahren eine Wiederannäherung an Frankreich betrieben. Pünktlich zu Macrons Besuch wird sogar das französische Kulturzentrum in Kigali, ein symbolischer Ort für Frankreichs Einfluss, nach jahrelanger Schließung an neuer Stelle wiedereröffnet – mit einem Empfang, zu dem Frankreichs Präsident einlädt.
Ruandas Präsident Paul Kagame nannte Emmanuel Macron auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in Kigali einen „Freund“ und lobte seine Rede, die zuvor vom Völkermordüberlebendenverband Ibuka kritisiert worden war, weil sie keine direkte Entschuldigung enthielt, sondern lediglich eine Bitte um Verzeihung. Die Rede sei „politisch und moralisch ein immens mutiger Akt“, insistierte Kagame: „Seine Worte waren wertvoller als eine Entschuldigung. Sie waren die Wahrheit.“
Macron hatte unter anderem gesagt: „Ein Völkermord verschwindet nicht. Er ist unauslöschlich. Er hat kein Ende. Man lebt nicht nach dem Völkermord, sondern mit ihm, soweit das möglich ist.“ Weiter: „Nur diejenigen, die durch die Nacht gegangen sind, können vielleicht verzeihen, uns die Gabe der Verzeihung schenken.“
Völkermordüberlebende hoffen, dass Frankreich nun den Worten Taten folgen lässt und die noch in Frankreich lebenden gesuchten Völkermordtäter festsetzt und vor Gericht stellt.