Frankreichs EU-Ratspräsidentschaft: Härtetest für Europas Dreamteam
EU-Kommissionschefin von der Leyen ist nach Paris gereist. Sie will dort mit dem französischen Präsidenten Macron ihre Visionen abstimmen.
Doch nun steht dem umstrittenen Powerpaar ein Härtetest bevor: Unter dem französischen EU-Vorsitz, der am 1. Januar begann und bis Ende Juni dauert, müssen Macron und von der Leyen beweisen, was sie können. Am Donnerstag ist die CDU-Politikerin mit ihrem Team nach Paris gereist, um das Programm mit dem liberalen Franzosen abzustimmen.
Nach einer Ehrenfeier für die historischen französischen Europapolitiker Simone Veil und Jean Monnet im Panthéon soll es am Freitag inhaltlich zur Sache gehen. Vor der Präsidentschaftswahl in Paris im April will Macron die EU erneuern – und sich so zur Wiederwahl empfehlen. Auf seinem Wunschzettel stehen die Reform des Schengen-Abkommens, die Revision der Maastricht-Kriterien, sowie ein Verteidigungsgipfel. Einige Wünsche, wie eine europäische Produktion von Mikrochips, hat von der Leyen bereits in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen.
Andere Ideen, wie die Konferenz zur Zukunft der EU, nehmen langsam Gestalt an. Noch im Januar werden erste Ergebnisse aus den Bürgerforen erwartet. Wenn alles nach Plan läuft, soll daraus die Blaupause für eine große EU-Reform entstehen. Seit seiner berühmten Sorbonne-Rede 2017 hat Macron beharrlich an einem Neustart gearbeitet.
Europavisionen der neuen Bundesregierung
Nun stehen die Sterne überraschend günstig. Denn auch die neue Bundesregierung in Berlin ist proeuropäisch. Die Ampel hat sogar eigene Visionen entwickelt, bis hin zum europäischen Bundesstaat. Allerdings ist unklar, ob die deutschen Pläne zu jenen von Macron und von der Leyen passen. Im Streit um die sogenannte Taxonomie – also die Einstufung von Atom und Gas als „nachhaltige“ Energieträger – hat von der Leyen zuerst auf Macron gehört. Nur mit Mühe konnte Kanzler Olaf Scholz sein Ziel durchsetzen, auch Erdgas als „grün“ zu labeln.
Auch beim Streit um den Rechtsstaat geben Paris und Brüssel das Tempo vor. Die Ampel fordert zwar, härter gegen Rechtsstaatsverstöße, etwa in Ungarn und Polen, vorzugehen und EU-Gelder zu streichen. Doch Paris und Brüssel wollen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten.
Bei der Reform des Stabilitätspaktes steht dagegen Berlin auf der Bremse. Bundesfinanzminister Christian Lindner muss sich noch in die brisante Materie einarbeiten. Dem FDP-Chef dürfte es schwer fallen, sich vom deutschen Dogma der „3,0“ bei der Neuverschuldung zu verabschieden. Eine Reform sei ohnehin erst im 2. Halbjahr geplant – also nach dem Ende des französischen Vorsitzes –, sagt EU-Kommissar Valdis Dombrovskis. Macron wird hier also nicht punkten können. Das „neue europäische Wachstumsmodell“, das er sich auf die Fahnen geschrieben hat, bleibt wohl ein frommer Wunsch.
Doch zunächst will sich Macron im Glanze der EU sonnen. Von der Leyen wird ihm das nicht verderben. „Ich bin entzückt, diese Woche nach Paris zu fahren“, schrieb sie auf Twitter. „Die EU und Frankreich, das sind gemeinsame Werte und gemeinsame Ambitionen.“ Macron hätte es nicht schöner ausdrücken können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?