Frankreich und der Weinstein-Skandal: Die „Schweine“ werden angeprangert
In der Folge des Weinstein-Skandals sprechen Frauen in Frankreich über ihre Erfahrungen mit Übergriffen. Mehrere Prominente stehen am Pranger.
Die parlamentarische Assistentin eines frisch gewählten Abgeordneten der Präsidentenpartei „La République en marche“ schildert, wie dieser Parlamentarier sie bedrängt und belästigt habe und zuletzt handgreiflich geworden sei. Die junge Tochter eines Ex-Ministers von Nicolas Sarkozy sagt, sie sei bereits drei Mal in ihrem Leben Opfer sexueller Aggressionen gewesen.
Der Schlimmste sei ein sehr geachteter Politiker aus der Mitterrand-Ära gewesen, der sie vor rund sieben Jahren bei einer Aufführung in der Pariser Oper trotz ihrer Proteste intim berührt habe. Bei diesem Prominenten soll es sich um den vormaligen Minister und Vorsitzenden des Verfassungsrats, Pierre Joxe (heute 82), handeln. Dieser erklärte dazu, er habe zuerst geglaubt, das sei alles bloß ein „übler Scherz“, er kündigt eine Verleumdungsklage an.
In ähnlich empörter Weise wehrt sich auch der in Genf geborene islamische Theologe Tariq Ramadan (55) gegen eine öffentliche Beschuldigung seitens der 40-jährigen Henda Ayari. Sie klagt ihn der sexuellen Nötigung, Brutalität und Vergewaltigung an. Im Frühling 2012 habe sie der Schweizer Theologe, mit dem sie zuvor eine religiöse Korrespondenz geführt hatte, im Anschluss an einen Vortrag beim Kongress des Verbands Union des Organisations Islamiques de France (UOIF) in einem Hotelzimmer zuerst geschlagen und dann sexuell missbraucht und dabei ihre körperliche Unterlegenheit ausgenutzt.
Den Vorfall hat die ehemalige Salafistin, die heute für die Frauenrechte kämpft, bereits in einem Buch „J'ai choisi d'être libre“ („ich wähle es, frei zu sein“) beschrieben, ohne freilich „aus Scham“ alle Details der Aggression zu enthüllen. Ihren Angreifer nannte sie darin aus Angst vor Repressalien „Zoubeyr“. Denn ihre Furcht vor dem international bekannten und ebenso umstrittenen Ramadan sei mehr als begründet gewesen, erklärte sie auf Facebook: „Als ich ihm mit einer Strafklage drohte, zögerte er nicht, mir damit zu drohen, dass meinen Kindern etwas passieren könnte. Ich hatte Angst und habe danach geschwiegen.“
Ende des Schweigens
Die Kampagne #BalanceTonPorc habe ihr jedoch den Mut gegeben, wie andere Frauen nach dem Weinstein-Skandal das Schweigen zu brechen und zum Angriff überzugehen: „Das war sehr schwer, aber ich fühle mich erleichtert. Ich hoffe, dass andere es wagen, wie ich zu reden und diesen perversen Guru zu denunzieren, der die Religion benutzt, um Frauen zu manipulieren.“
Ramadan hat über seinen Anwalt diese Beschuldigung dementieren lassen und eine Verleumdungsklage angekündigt. Somit wird es an der französischen Justiz sein, über die Wahrheit der Anschuldigung zu urteilen. Davon abgesehen hat die Kampagne gegen den sexuellen Machtmissbrauch in verschiedensten Gesellschaftsbereichen bereits deutlich gemacht, was seit langen Jahren verschämt verschwiegen oder sogar geduldet wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Proteste gegen LNG-Gipfel in Berlin
Partycrasher am Luxushotel
Online-Doku „Israelism“
Langsamer Abschied