piwik no script img

Frankreich und der Weinstein-SkandalDie „Schweine“ werden angeprangert

In der Folge des Weinstein-Skandals sprechen Frauen in Frankreich über ihre Erfahrungen mit Übergriffen. Mehrere Prominente stehen am Pranger.

Was können die armen Schweine dafür? Foto: dpa

Paris taz | Im Gefolge des Weinstein-Sexismusskandals haben in Frankreich zahlreiche Frauen begonnen, auf Twitter unter dem Hashtag #BalanceTonPorc (heißt: „Prangere dein Schwein an“) öffentlich zu schildern, dass sie selber auch in der Vergangenheit seitens prominenter Männer Opfer von sexueller Belästigung, Nötigung und Aggression oder Vergewaltigung wurden. Zuerst hatten sich mehrere Schauspielerinnen gemeldet, die direkt mit dem Hollywood-Magnaten Harvey Weinstein zu tun gehabt hatten. Seither folgen fast täglich gravierende Anschuldigungen gegen andere Männer.

Die parlamentarische Assistentin eines frisch gewählten Abgeordneten der Präsidentenpartei „La République en marche“ schildert, wie dieser Parlamentarier sie bedrängt und belästigt habe und zuletzt handgreiflich geworden sei. Die junge Tochter eines Ex-Ministers von Nicolas Sarkozy sagt, sie sei bereits drei Mal in ihrem Leben Opfer sexueller Aggressionen gewesen.

Der Schlimmste sei ein sehr geachteter Politiker aus der Mitterrand-Ära gewesen, der sie vor rund sieben Jahren bei einer Aufführung in der Pariser Oper trotz ihrer Proteste intim berührt habe. Bei diesem Prominenten soll es sich um den vormaligen Minister und Vorsitzenden des Verfassungsrats, Pierre Joxe (heute 82), handeln. Dieser erklärte dazu, er habe zuerst geglaubt, das sei alles bloß ein „übler Scherz“, er kündigt eine Verleumdungsklage an.

In ähnlich empörter Weise wehrt sich auch der in Genf geborene islamische Theologe Tariq Ramadan (55) gegen eine öffentliche Beschuldigung seitens der 40-jährigen Henda Ayari. Sie klagt ihn der sexuellen Nötigung, Brutalität und Vergewaltigung an. Im Frühling 2012 habe sie der Schweizer Theologe, mit dem sie zuvor eine religiöse Korrespondenz geführt hatte, im Anschluss an einen Vortrag beim Kongress des Verbands Union des Organisations Islamiques de France (UOIF) in einem Hotelzimmer zuerst geschlagen und dann sexuell missbraucht und dabei ihre körperliche Unterlegenheit ausgenutzt.

Den Vorfall hat die ehemalige Salafistin, die heute für die Frauenrechte kämpft, bereits in einem Buch „J'ai choisi d'être libre“ („ich wähle es, frei zu sein“) beschrieben, ohne freilich „aus Scham“ alle Details der Aggression zu enthüllen. Ihren Angreifer nannte sie darin aus Angst vor Repressalien „Zoubeyr“. Denn ihre Furcht vor dem international bekannten und ebenso umstrittenen Ramadan sei mehr als begründet gewesen, erklärte sie auf Facebook: „Als ich ihm mit einer Strafklage drohte, zögerte er nicht, mir damit zu drohen, dass meinen Kindern etwas passieren könnte. Ich hatte Angst und habe danach geschwiegen.“

Ende des Schweigens

Die Kampagne #BalanceTonPorc habe ihr jedoch den Mut gegeben, wie andere Frauen nach dem Weinstein-Skandal das Schweigen zu brechen und zum Angriff überzugehen: „Das war sehr schwer, aber ich fühle mich erleichtert. Ich hoffe, dass andere es wagen, wie ich zu reden und diesen perversen Guru zu denunzieren, der die Religion benutzt, um Frauen zu manipulieren.“

Ramadan hat über seinen Anwalt diese Beschuldigung dementieren lassen und eine Verleumdungsklage angekündigt. Somit wird es an der französischen Justiz sein, über die Wahrheit der Anschuldigung zu urteilen. Davon abgesehen hat die Kampagne gegen den sexuellen Machtmissbrauch in verschiedensten Gesellschaftsbereichen bereits deutlich gemacht, was seit langen Jahren verschämt verschwiegen oder sogar geduldet wurde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • @TAZTI: Wenn Sie grundsätzlich gegen " den neuen Feminismus" sind, ist das ebenso eine politische Agenda.

     

    Es gibt gute Gründe, #metoo und andere Hashtags kritisch zu sehn. Trotzdem würde ich den Hauptimpuls vieler so sehen, dass vielen dort erst klar wird, was sie akzeptiert haben und dass sie Teil einer Gruppe, eines gesellschaftlichen Systems sind. Das ist für mich erstmal positiv und legitim. Jemandem, der von seinen alltäglichen Erfahrungen bzw. denen von Famulienmitgliedern berichtet, erst mal den Mund zu verbieten und zu unterstellen, er würde einer Bewegung zuarbeiten, die Ihnen persönlich nicht genehm ist, wirkt auf mich wie ein gut trainierter Abwehrimpuls.

  • Stell Dir vor, Deine Frau, Tochter, Schwester oder Mutter wäre Opfer solcher sexueller Übergriffe.

    Als Angestellte im Gesundheitswesen erlebt meine Frau fast regelmäßig sexuelle Anspielungen männlicher Patienten - doch was will sie tun?

    Deshalb finde ich es gut, dass hier durch den gemeinsamen Gang an die Öffentlichkeit ein quasi geschützter Raum geschaffen wurde.

    • @Achtsamer:

      Meine Angehörigen würde ich nicht für eine politische Agenda ( wie dem neuen Feminismus) missbrauchen, sondern unterstützen und schützen.

       

      Vor Gerichten werden solche Delikte seit Jahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Warum wohl?

  • Man kann davon ausgehen, dass die Frauen die Wahrheit sagen, schliesslich setzen sie auch uhr eigenes Privatleben der Öffentlichkeit aus. Die deutsche Justiz verurteilt nur 7,8% der angezeigten Vergewaltigungen, da ist der Pranger schon als Notwehr zu verstehen.

  • Für die Klärung solcher Einzelbeispiele sind in Westeuropa die Strafverfolgungsbehörden und ggf. ordentliche Gerichte zuständig. Öffentliche Pranger gab es im Mittelalter. Für den Rest haben wir die BILD-Zeitung und demnächst auch die TAZ.