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Frankreich nach dem Terror in BrüsselDas Ende des Aufatmens

Nach der Festnahme von Salah Abdeslam hatten die Franzosen gehofft, das Schlimmste sei vorbei. Nun ist das kollektive Trauma zurück.

Polizei am Flughafen Roissy–Charles de Gaulle in Paris Foto: dpa

Paris taz | Unmittelbar nach den drei Explosionen in Brüssel haben auch die französischen Behörden die Überwachung der Flughäfen und der öffentlichen Verkehrsmittel der Hauptstadt noch verstärkt. Seit den Attentaten am 13. November herrscht bereits die höchste Alarmstufe. 5.000 Militärangehörige haben die Polizeipatrouillen in öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfen und in den Straßen verstärkt.

Diese Kontrollen sind am Dienstag nochmals um 1.600 Beamte verstärkt worden – davon 400 in der Hauptstadtregion. Vor den Zugängen zu den Bahnhöfen mussten die Passagiere Bahntickets oder Ausweise zeigen. Vor allem am Pariser Gare du Nord herrschten Verwirrung und Chaos, da die dort startenden Bahnverbindungen des Eurostar und Thalys nach Brüssel annulliert wurden.

Im Namen der Regierung hat Innenminister Bernard Cazeneuve nach einer Krisensitzung mit Staatspräsident François Hollande im Élysée-Palast am Morgen die Bevölkerung zur größten Wachsamkeit aufgerufen. Eine spezielle Mahnung der Regierung zu besonderer Vorsicht brauchte es kaum, denn in Paris fühlte sich die Bevölkerung nach den Meldungen über die Terrorakte in Brüssel sofort ebenso betroffen wie die Bewohner der belgischen Hauptstadt. Am Montagabend war den Fernsehzuschauern noch in einer Reportage von France-2 gezeigt worden, wie seriös die Gepäckkontrollen und die Überwachung des Personals im Flughafen Paris-Roissy sind.

Nach der Festnahme von Salah Abdeslam am Freitag in Brüssel war die Erleichterung spürbar in Frankreich gewesen. Abdeslam galt als der vermutlich Letzte der direkt Beteiligten an den Anschläge vom 13. November in Paris. Für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer bedeutete dieser lang erwartete Fahndungserfolg, dass sie bei einer Gerichtsverhandlung einem mutmaßlichen Täter ins Angesicht schauen können und Antworten auf ihre Fragen erwarten dürfen.

Man glaubte auch in etwa zu wissen, wer die Attentate verübt und organisiert hatte. Es waren drei Gruppen, die je beim Stade France in Saint-Denis, beim Massaker im Konzertsaal Bataclan und bei den mörderischen Angriffen auf mehrere Cafés agierten. Ihre Aktionen wurden aus Brüssel per Telefon geleitet. Beim Koordinator soll es sich um den Algerier Mohammed Belkaid handeln, der vor einer Woche bei einer Polizeiaktion erschossen wurde, während er die Flucht von Abdeslam und eines Komplizen deckte, dessen wahre Identität immer noch nicht bekannt ist.

Der große Unbekannte

Dieser mehrfach von Überwachungskameras gefilmte Begleiter von Abdeslam besaß gefälschte belgische Papiere auf den Namen Amine Choukri. Aufgrund seiner Fingerabdrücke weiß man, dass er im Strom der Flüchtlinge aus der Türkei kommend im September auf der griechischen Insel Leros registriert und später in Ulm kontrolliert worden war.

Salah Abdeslam hat nach Angaben des Pariser Staatsanwalts François Moulins in der Vorbereitung und in der Logistik eine „zentrale Rolle“ bei den Pariser Anschlägen gespielt. Unklar ist weiterhin, warum er sich nicht – wie dies wahrscheinlich seine Mission war – beim Stade de France oder im Pariser Norden in die Luft gesprengt hat. Stattdessen hat er seinen Sprengstoffgürtel weggeworfen und ist dann unter sehr improvisiert wirkenden Umständen nach Brüssel geflüchtet. Dort konnte er sich mithilfe von Freunden fast vier Monate verstecken.

Die belgischen Ermittler hatten im Verlauf ihrer Jagd mehrfach Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dabei entdeckten sie, dass er nicht so isoliert oder gar am Ende war, wie man dies annahm. Im Gegenteil warnten sie, es gebe noch weitere Terroristen, die Anschläge verüben könnten. Die Terrorakte von Brüssel haben die Befürchtung nun offenbar bestätigt, dass die am 13. November verantwortliche dschihadistische Terrorzelle nicht handlungsunfähig oder vollständig zerschlagen war.

In der breiteren französischen Öffentlichkeit war die Verhaftung von Abdeslam, eines Komplizen und dreier mutmaßlicher Helfer in Molenbeek wie ein Abschluss dieser Tragödie der Anschläge von Paris gesehen worden, die 130 Todesopfer und Hunderte von Verletzten gefordert hatten. Natürlich wussten die meisten, dass auch mit diesem Fortschritt der Ermittlungen ein Ende der Bedrohung durch die islamistischen Terroristen nicht absehbar war. Bei aller Vorsicht und Angst wollte man aber in Paris wieder aufatmen, zur Tagesordnung übergehen und vor allem sich nicht einschüchtern lassen.

Die Ohnmacht des Traums

Die Attentate von Brüssel haben in Paris nicht nur das kollektive Trauma des 13. November aus der Verdrängung ins Bewusstsein geholt. Auch wirtschaftliche Konsequenzen sind zu befürchten wie Ende 2015. Der vorübergehende Rückgang der Pariser Börse um zwei Prozent nach dem Bekanntwerden der Anschläge am Dienstag ist dabei noch die geringste Sorge.

Paris ist die meistbesuchte Stadt der Welt. Doch der Tourismus hat im November und Dezember bereits einen schweren Rückschlag erlitten. François Navarro, der Tourismusdirektor der Region Paris, beziffert die Verluste für Hotels, Restaurants, Cafés, Theater, Museen und andere Unternehmen des Fremdenverkehrs auf rund20 Prozent.

Für die Stadtregierung geht es um mehr als um vorübergehend sinkende Umsätze. Mit einer aktiven Kandidatur für die Olympischen Spiele von 2024 und die Weltausstellung 2025 wirbt Paris auch für sein Image. Mit ihrem Olympia-Slogan „La forced’un rêve“ (“Die Macht eines Traums“) möchte die Stadt an der Seine den Albtraum des Terrors verdrängen oder, besser noch, besiegen. Das erscheint heute wie ein frommer Wunsch.

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