Frank Spilker über seine Band Die Sterne: „Bestimmte Systeme in Frage stellen“

Frank Spilker über das neue tanzbare Album „Hallo Euphoria“ seiner Band Die Sterne und Glücksgefühle, die Musik auslösen kann – trotz der Weltlage.

Frank Spilker steht vor einer roten Wand und lehnt sich an einen beschriebenen Spiegel

Wie Marquis de Sade in seiner Zelle: Musiker Frank Spilker Foto: David Klammer

taz am wochenende: Frank Spilker, „Hallo Euphoria“ heißt das neue Sterne-Album. Wann hatten Sie zuletzt euphorische Momente?

Frank Spilker: Beim Schreiben und beim Musikmachen. Diese Momente entstehen oft dann, wenn ich zu Hause am Klavier oder auf der Gitarre daddele und mir etwas gefällt. Dann merke ich: Das ist der Grund, warum ich da bin, warum ich am Leben bin.

Lassen Sie uns zunächst über die neuen Songs sprechen. Sie klingen unbeschwert, funky, tanzbar. Wollen Sie der akuten Weltuntergangsstimmung etwas entgegensetzen?

Ich freue mich, erst mal über Musik sprechen zu können. Als deutschsprachige Band wird man oft ausschließlich zu Songtexten befragt. Ich glaube, ich weiß, woran es liegt, dass dieses Album so klingt. Wir haben es direkt nach der mehrmals verschobenen Tour im Herbst 2021 aufgenommen. Als wir ins Studio gingen, waren wir perfekt eingespielt. Das ist für eine Band echt wichtig. Locker und funky Musik zu machen, hat viel mit dem körperlichen Selbstverständnis der Mu­si­ke­r:in­nen zu tun. Aber die neue Rhythmussektion – Jan Philipp Janzen und Phillip Tielsch – spielt auch bei Von Spar schon lange zusammen. Kein Wunder also, dass die beiden bestens harmonieren.

Frank Spilker, 56, ist Sänger und Gitarrist der Hamburger Indieband Die Sterne. Der Ostwestfale kam Anfang der neunziger Jahre in die Stadt und gründete dort zusammen mit Thomas Wenzel, Frank Will und Christoph Leich die Band.

Die Band: Sterne-Songs wie „Universal Tellerwäscher“ (1994) und „Was hat dich bloß so ruiniert“ (1996) wurden große Hits. 2018 verließen Wenzel und Leich die Band. Seither bestehen Die Sterne neben Spilker aus Gitarrist Max Knoth, Bassist Phillip Tielsch, Schlagzeuger Jan Philipp Janzen und Keyboarderin Dyan Valdés. „Hallo Euphoria“ (PIAS) ist das 13. Sterne-Album.

Die Tour: 8.10. Osnabrück „Kleine Freiheit“, 9.10. Köln „Gebäude 9“, 11.10. Freiburg „Jazzhaus“,12.10. Nürnberg „Z-Bau“, 13.10. München „Hansa 39“. Wird fortgesetzt.

Es gibt mehrere musikalische Hommagen auf dem Album, an das Genre Krautrock in „Hallo Euphoria“, an The Clash in „Die Welt wird knusprig“, möglicherweise an Blumfeld in „Gleich hinter Krefeld“. Was sagt uns das, wenn Referenzen so in der Vergangenheit liegen?

Naja, früher haben wir uns in den 1960ern bedient, bei Bands wie The Meters. Vielleicht dauert es eine Weile, bis man Musik als Zitat verwenden möchte. Die Flaming Lips habe ich Ende der Neunziger entdeckt, aber erst jetzt tauchen sie als Anleihe in meinen Songs auf. Krautrock ist so unique, dass man darauf immer Bezug nimmt. Und auf den Sound von „Gleich hinter Krefeld“ könnten auch My Bloody Valentine das Patent haben.

2018 fand ja nach dem Ausstieg von Thomas Wenzel und Christoph Leich eine Zäsur bei Die Sterne statt. Gab es die Überlegung, sich als Band aufzulösen?

Auf jeden Fall gab es große Zweifel, die Band fortzuführen und den Namen beizubehalten. Ich ziehe den Hut davor, dass weder Thomas noch Christoph gesagt haben: Ich will nicht, dass du weitermachst, das ist unsere Band. Bei den beiden Philipps von Von Spar habe ich ins Blaue angefragt, beide kennen Die Sterne schon lange, denen muss man die Band nicht erklären. Gitarrist Max Knoth war schon bei der Frank Spilker Gruppe dabei, Dyan Valdés ist seit 2012 unsere Live-Keyboarderin. Stück für Stück sind wir uns näher gekommen, und dann war irgendwann klar: Ja, es funktioniert.

Wollten Sie Die Sterne neu definieren?

Durch Besetzungswechsel kommen ohnehin genug neue Einflüsse dazu, deshalb muss ich mir nicht unbedingt ein anderes Konzept zurechtlegen. Im Vordergrund stand erst mal die Kontinuität. Wenn die Band weiter Die Sterne heißt, soll sie auch für ihren Namen einstehen.

Das Finale „Wir wissen nichts“ handelt von den Krisen, die uns zuletzt überrumpelt haben. Ist das vielleicht der Schlüsselsong des Albums?

Der Ukrainekrieg hatte noch gar nicht begonnen, als wir das Album fertiggestellt haben – auf den Krieg kann man den Song also nicht münzen. Aber er handelt unter anderem von der realen Angst vor einem aufkeimenden Faschismus in den USA und in Europa. Zugleich ist „Wir wissen nichts“ eine grundsätzliche Aussage über unsere Existenz. Wir kennen die Zukunft nicht, wir wissen nicht, wer oder was als Nächstes auftaucht und die Zukunft zum Positiven oder Negativen verändert. Der Song sollte gar nicht so ernst und abgründig klingen, wie manche ihn nun aufnehmen. Vorbild war unter anderem der „Universe Song“ von Monty Python.

Vier Bandmitglieder von Die Sterne stehen vor und auf einer Rampe

Frnak Spilker und Die Sterne Foto: David Klammer

Waren diese Krisen tatsächlich nicht absehbar oder waren wir sehr lange sehr gut im Verdrängen?

Schon lange vor dem Ukrainekrieg hatte der Stellvertreterkrieg in Syrien begonnen. Dort war es auch Putin, der brutal gebombt hat und dafür sorgen wollte, dass Russland seinen Zugang zum Mittelmeer behielt. Ich habe darüber auch in Diskussionen gesprochen – mit einem Krieg in Europa habe ich trotzdem nicht gerechnet. Wobei man sich auch fragen kann, ob die Stellvertreterkriege nicht moralisch noch schlimmer sind, wenn sie dort stattfinden, wo die Bevölkerung damit eigentlich gar nichts zu tun hat, wie in Syrien. Russlands Aggressionen werfen eine Menge Fragen auf.

„Die Welt wird knusprig“ und „Die Kinder brauchen Platz“ sind klassische Protestsongs, es geht um drängende Probleme wie Ressourcenverteilung und -verschwendung, Städteplanung, Mobilität. Haben Sie sich gefragt, ob Musik vielleicht zu plakativ ist?

Diesbezüglich bin ich angstfreier geworden. Die Songs sind ja nicht durchweg plakativ. Es fängt an mit einem Stück, das Orientierungslosigkeit und Mutlosigkeit illustriert („Stellt mir einen Clown zur Seite“), und es wird immer entschiedener und entschlossener. Außerdem führen einen auch die vermeintlich plakativen Songs auf die falsche Fährte: Da werden lauthals Freiheitsrechte eingefordert und die Selbstverständlichkeit, diese immer weiter auszudehnen. Doch das führt irgendwann dazu, dass andere Menschen unterdrückt oder in ihrer Freiheit eingeschränkt werden.

Beim Wort „knusprig“ hatte ich zunächst positive Assoziationen, dabei handelt der Song davon, dass die Welt brennt.

Im Subtext sagen die Lyrics aber auch: die Beschreibung und das Erkennen all dieser Missstände sind nicht neu. Kapitalismus ist nicht neu, die Überbeanspruchung von Ressourcen ist nicht neu, auch die Gedanken des Postkolonialismus sind nicht neu. All das begleitet uns schon seit Jahrzehnten. Vielleicht drückt das Stück auch meine Probleme mit Identitätspolitik aus, denn für mich geht es nicht um Jung gegen Alt, um Schwarz gegen Weiß, um Queer gegen Hetero, sondern es geht darum, bestimmte Systeme in Frage zu stellen.

Also Kapitalismus abschaffen?

Das wäre die Frage – und die stelle ich auf dem Album auch. Denn ist es wirklich hilfreich, auf Elektroauto umzustellen und mit dem Lastenrad zur Arbeit zu fahren – oder kauft man sich nur von dem schlechten Gewissen frei, weil wir am Ende doch immer wieder Ressourcen verbrauchen als Industrienation? Ich spreche ganz bewusst nicht davon, den Kapitalismus abzuschaffen. Jeder Ökonom weiß, dass dieses Wirtschaftssystem auf Wachstum beruht und dass wir ohne Wachstum diesen Wohlstand nicht hätten. Ich glaube, es ist wichtig, da ehrlich zu sein, bevor man Steine schmeißt und die Revolution fordert.

Was folgt dann daraus?

Es führt zu weiteren unbequemen Fragen. Welche demokratisch legitimierte Regierung wird denn wiedergewählt, wenn sie den Leuten zumutet, dass sie hinterher weniger haben? Stecken wir nicht in einem Kreislaufsystem fest?

Bei all den schweren Themen könnte man den Titel des Albums „Hallo Euphoria“ fast ironisch lesen. Ich habe tatsächlich gleich beim ersten Song ein kleines Glücksgefühl bekommen, wegen der Keyboard- und Streichermelodie. Geht es Ihnen bei dem Stück – um so etwas wie das zeitlos Gute und Schöne?

Ich denke ja. Ich stelle mir immer Marquis de Sade in seiner Zelle vor. Er hatte keine Reize von außen, überhaupt kein Grund positiv zu sein, und dann schreibt er diesen Quatsch auf und hat wahrscheinlich genau da seine euphorischen Momente. Am Ende entsteht Euphorie durch Gehirnchemie und hat nicht immer etwas mit realen Ereignissen zu tun. Ich glaube, es kann auch eine Überlebensfunktion sein, dass Menschen in den schlimmsten Situationen Euphorie befällt.

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