Fragwürdige Gedenkveranstaltung: Alte Kameraden auf dem Berg

Im bayerischen Mittenwald versammeln sich jährlich Bundeswehr-Gebirgsjäger am „Ehrenmal“. Das Treffen ist wegen seiner Geschichte umstritten.

Auf einer grünen Wiese ist im Hintergrund ein großer Felsen, im Vordergrund mehrere Menschen in Uniformen mit Bannern und Flaggen

Ritual auf dem Brendten Foto: Patrick Guyton

BRENDTEN taz | Beim Einmarsch der Fahnenträger spielt die Kapelle den Kaiserjägermarsch, ein Traditionslied der österreichischen und deutschen Gebirgsjäger. Auf dem hügeligen Gelände des Hohen Brendten, einer Anhöhe im Mittenwald in Bayern, haben sich zahlreiche Besucher verteilt. Dort stehen zwei 14 Meter hohe Steinquader, ein „Ehrenmal für die beiden Weltkriege, symbolisch für Standfestigkeit und Bodenständigkeit“. So teilt es die „Ortskameradschaft Mittenwald“ mit.

Am vergangenen Mittwoch gab es wieder die „Brendten-Feier“ der Gebirgssoldaten, eine seit Jahren umstrittene Veranstaltung mit dunkler Geschichte. Die Soldaten und die Ehemaligen sehen sie als Erinnerung und Gedenken an gefallene Kameraden. Gegner halten das Treffen, das dieses Jahr zum 60. Mal abgehalten wurde, für eine Ansammlung von Militaristen, bei dem auch die Wehrmacht im Nationalsozialismus glorifiziert wird. Und das in Zeiten, in denen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Bezug der Bundeswehr zur Wehrmacht kappen will und Kasernen nach alten Bildern und Devotionalien durchsuchen lässt.

Der Historiker Stephan Stracke vom Arbeitskreis „Angreifbare Traditionspflege“ etwa hat sich jahrelang an den Treffen abgearbeitet. „Da kommen weiterhin die einschlägigen Leute“, sagt er zur taz. „Die Verbindung von Wehrmacht und Bundeswehr ist auf dem Berg in Stein gegossen.“ Der Ortskameradschaftschef Klaus Esper hin­gegen meint über die Kritik: „Das war einmal.“

Auf dem Brendten bemüht sich Hans Sahm, Präsident des „Kameradenkreises der Gebirgstruppen“, in seiner Ansprache um den Begriff der Tradition. Dieser schlage „eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft“. Das Ehrenmal lasse sich nicht als „Sinnbild für den Krieg“ reduzieren. Vielmehr stehe es für die „schreckliche Schuld, die unser Land durch den Zweiten Weltkrieg auf sich geladen hat“.

Gleichzeitig beschwört der Oberst a. D. aber das Soldatentum: „Besser als am Berg kann man Kameradschaft nicht erfahren.“ Man gedenke der Toten „vor der heiligen Kulisse des Karwendels“. Die gewaltige Gebirgsgruppe der Nördlichen Alpen ist von hier aus gut zu sehen. Das Wort „Wehrmacht“ fällt nicht.

Bier sorgt für Kommunikation

Zur Feier sind viele Bundeswehrsoldaten gekommen. Seit zwei Jahren wird das Treffen in Zusammenarbeit von Kameradschaft und Armee organisiert. Soldaten stehen aufgereiht und regungslos mit dem Maschinengewehr in der Hand. Es spielt das Gebirgsmusikkorps. 400, vielleicht 500 Leute sind dieses Jahr gekommen. Zieht man die aktiven Bundeswehrsoldaten ab, dann würden nicht sehr viele übrig bleiben.

Stephan Stracke, Historiker

Die Verbindung von Wehrmacht und Bundeswehr ist auf dem Berg in Stein gegossen. Aber die heutigen Gebirgs­jäger gestalten das jetzt als unverfängliche Bundeswehr-Veranstaltung

Die Älteren sitzen auf den Bänken oder haben sich kleine Campingstühle mitgebracht. Optisch dominiert neben der Uniform die Tracht, mitunter Mischungen aus beidem. Reliquien aus der NS-Zeit sind nicht zu sehen. „Die machen das jetzt als unverfängliche Bundeswehr-Veranstaltung“, sagt der Historiker Stracke. Am Morgen waren Soldaten zu ihrem Einsatz nach Mali verabschiedet worden, nach der Brendten-Feier lädt die Edelweiß-Kaserne ein zum „Tag der offenen Tür“.

Der katholische Militärpfarrer Alfons Hutter will in seiner Rede humorig erscheinen. Was sind bei der Bundeswehr die drei wichtigsten Rituale?, fragt er. Um selbst die Antwort zu geben: die Bayernhymne, die österreichische Hymne sowie Augustiner-Edelstoff. Gelächter.

Die Bayernhymne verstehe sich von selbst, das österreichische Lied liebe er wegen der Zeile „Volk, begnadet für das Schöne“. Und das Bier sorge für Kommunikation: „Redet miteinander, so entsteht Kameradschaft.“

Hutters evangelisches Pendant, der Pfarrer Markus Linde, ist da ernsthafter. Er spricht hauptsächlich über Frieden, der „ein Geschenk in uns“ sei. Linde gedenkt auch der Opfer des Nationalsozialismus und der Widerstandskämpfer. Es folgt das Lied „Bayerisches Militärgebet“.

„Schee war's wieder“

Der Kameradschaftsvorsitzende Esper sagte, dass er die aktuelle Suche nach Wehrmachtsgegenständen in den Kasernen für „etwas übertrieben“ halte. In seinen 15 aktiven Jahren bei der Bundeswehr habe es „nie was gegeben in dieser Richtung“. Vielleicht eine „kleine Ecke mit einem Reichswehrhelm“.

Der Arbeitskreis „Angreifbare Traditionspflege“ hat eine Art historischen Kompromiss mit der Marktgemeinde Mittenwald erzielt. Die Gruppe kritisierte, dass das Brendten-Treffen „von Nazi-Generälen gegründet wurde“, so Stephan Stracke. Von Wehrmachtsleuten, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Etwa im griechischen Kommeno, wo im August 1943 insgesamt 317 Dorfbewohner von der Wehrmacht ermordet worden waren.

Mitverantwortlich: Oberstleutnant Josef Salminger von den Mittenwaldern Gebirgsjägern. Der Arbeitskreis erinnerte auch an das toskanische Dorf Falzano di Cortona. Gebirgs­pioniere ermordeten 1944 bei einem Racheakt 14 Bewohner.

Aus den Ruinen von Falzano di Cortona hatte der Arbeitskreis Steine gebracht und diese in einer Skulptur ausgestellt zur Erinnerung an die Ermordeten. „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“ steht darauf. Nach einigem Hin und Her hat Mittenwald das Denkmal an seiner Grund- und Mittelschule aufgestellt, wo es weiterhin steht.

Am Hohen Brendten singen zum Schluss alle das „Edelweißlied“, auch „Edelweißmarsch“ genannt. Die Musik erscheint lebendig-harmlos. „Es war ein Edelweiß, ein kleines Edelweiß“, so lautet der Text. Das Lied stammt von Herms Niel aus dem Jahr 1941. Niel war der bedeutendste Marschliederkomponist im Nationalsozialismus. Er dirigierte bei allen NSDAP-Reichsparteitagen.

Und eine ältere Dame sagt zu ihrem Mann: „Schee war’s wieder.“

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