Fragwürde Polizeitechnik in den USA: Die Robo-Bombe von Dallas
Die Polizei hat den Attentäter von Dallas mit einem Roboter getötet – anders ging es nicht, sagt sie. Experten haben nicht nur moralische Bedenken.
Dallas dpa | Ferngesteuerte Technikkästen, die auf Rädern oder Ketten in die Gefahrenzone fahren und verdächtige Pakete untersuchen oder Bomben unschädlich machen: Das kennt man. Ein funkgesteuertes Gerät aber, das Sprengstoff heranrollt, um einen Verbrecher außer Gefecht zu setzen, das ist neu.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass Polizisten so ein Gerät als Liefermechanismus tödlicher Gewalt eingesetzt hätten“, sagt Juraprofessor Seth Stoughton von der Universität South Carolina, ein früherer Polizist, dem Onlinemagazin Atlantic. „Dies ist ein neuer Horizont für Polizeitechnologie. Er wirft einige Fragen auf.“
Ferngesteuerte Gewalt wird in den Kriegen und Konflikten der Gegenwart zwar immer wieder moralisch und rechtlich hinterfragt, sie ist in Gestalt von großen oder kleineren Drohnen aber gang und gäbe. Die Polizei in den USA nutzt ferngesteuerte Geräte für die Aufklärung per Kamera, das Ausbringen von Tränengas und sogar zur Rettung Verwundeter, wie das Policemag berichtet. Betritt die Polizei mit der Robo-Bombe Neuland?
Nicht unbedingt, meint Professor Stoughton. Würden Polizisten unmittelbar bedroht, werde der Einsatz von Gewalt seitens des Gewaltmonopols also in einem ersten Schritt gerechtfertigt, sei die Frage nach der Art der Gewalt nur noch zweitrangig. „Wenn jemand auf die Polizei schießt, können sie ihn eliminieren, indem sie ihn niederschießen, mit einem Messer erstechen oder mit einem Fahrzeug überrollen. Ich halte die Methode rechtlich für irrelevant.“
Keine Alternative?
The Verge berichtet, mit einem ferngesteuerten Roboter habe die Polizei einen Mann vom Suizid abgehalten: Sie brachte ihm Pizza und ein Telefon. 2014 setzte die Polizei in New Mexico einen kleinen Roboter ein, um einen Verdächtigen in einem Motel unschädlich zu machen. Das Gerät fuhr in das Zimmer, eine Kartusche chemischer Munition wurde gezündet, fertig. Aber ist das so einfach?
Als Dallas' Polizeichef David Brown ruhig erklärt, dass man das Drama nicht anders habe beenden können als mit dem Sprengstoff liefernden Roboter, sagte er nicht, was genau die Polizei eingesetzt habe. Blendgranaten und Türöffner kennt man auch aus Filmen. Aber, sagt Jurist Stoughton: „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Polizei irgendwas zur Hand hätte, was sie als Waffensprengstoff einsetzen würde.“
The Verge vermutete, es sei Sprengstoff, der für die Sprengung größerer Bomben eingesetzt werde. Am Abend bestätigte Dallas‘ Bürgermeister Mike Rawlings genau das: Es war C4-Sprengstoff. Man habe den Mann vor eine Wahl gestellt, und er habe sich entschieden.
Menschliche Entscheidung
Der Einsatz neuer Polizeitechnik werfe seit jeher Fragen auf, sagt Jurist Stoughton: Von Schusswaffen selbst bis zu modernen Eletroschockpistolen (Taser) habe sich noch jedes Mal die Frage angemessenen Einsatzes gestellt. „Ich glaube, wir werden ähnliche Gespräche über Roboter haben, die den Tod bringen.“
Im Militär gibt es eine komplizierte und intensive Debatte über die Möglichkeiten von Robo-Technik, weit über Drohnen hinaus. Aber die Experten verweisen auf einen zentralen Unterschied: Sinn und Zweck des eingesetzten Militärs ist die Dominanz über den Gegner. Die Polizei dagegen sei für den Schutz der Bevölkerung da, sagt Stoughton. Und so schwer das zu erklären sei, schließe das Menschen ein, die Böses tun. „Was es nicht einschließt, ist der Einsatz tödlicher Gewalt, wenn es möglich ist, sie zu vermeiden.“
Die Polizei von Dallas fällte die Entscheidung, dass ihr Einsatz nicht zu vermeiden war. Die Entscheidung fällten Menschen. Das Gerät war der Lieferant.
Leser*innenkommentare
nzuli sana
Ja, offensichtlich war eine Festnahme nicht vorgesehen, das Todesurteil stand bereits fest. So schnell stellt sich Kriegssemantik ein.
H.G.S.
Ich kann den USA nur empfehlen, ihr Waffengesetz dahingehend zu lockern, dass jeder US-Bürger, zukünftig auch bis zu drei Handgranaten mit sich führen darf, zur Selbstverteidigung gegen möglicherweise auf ihn zurollende, dergestaltige Killerroboter.
Karl Kraus
Wäre Betäuben nicht möglich gewesen? Der Roboter kann ja auch Gas transportieren. Kennt sich wer aus?
7964 (Profil gelöscht)
Gast
Wäre es technisch wirklich nicht möglich gewesen den Verdächtigen - soweit ich weiß, war das Opfer "nur" verdächtig - zu betäuben, irgendwie unschädlich zu machen und vor ein ordentliches Gericht zu stellen?
Aber es ist immer die Frage, wem wir (planetar) die Macht geben zu entscheiden. Solange noch Bier im Kühlschrank ist und Fußball kommt, geht mich das nix an!
pitpit pat
Nachtrag:
Ich stelle mir die Dynamik folgendermaßen vor:
Der Schütze weiß, dass er auf jeden Fall die Todesstrafe bekommt (Texas). Wahrscheinlich will er viel lieber von Polizisten erschossen werden (suicide by cop). Sei es, um noch ein paar von ihnen mitzunehmen, sei es, weil aus der Distanz und mit der Zeit doch wohlmöglich Scham auftaucht. Teile der Polizei würden ihn auch gerne selber erledigen. Die Folge: Man einigt sich mit dem Täter auf seine Hinrichtung.
Ich finde es immer noch falsch. Auch wenn das Gericht ihn 100% zum Tode verurteilt hätte, steht es allen Beteiligten nicht zu, sich dem Gericht zu entziehen, vor allem aber der Polizei nicht.
pitpit pat
Ungeachtet grundsätzlicher ethischer Diskussionen zum Einsatz von Robotern oder Drohnen scheint mir hier der entscheidende Punkt zu sein, dass der Mann ein mehrfacher Cop-Killer war: Da hat die Polizei wenig Mitleid oder Lust, sich um einen Gefangenen zu bemühen. Er hatte keine Geisel genommen, man hätte die Gefahr für die Allgemeinheit durch Sperrungen der Gegend minimieren können. Also keine zwingende Notwendigkeit mehr für eine sofortige Tötung. Ich finde das zwar menschlich verständlich, aber ethisch falsch.
50 Cents by
pitpitpat