Fotografin über mitteldeutsche Bauten: „Ich bin hier aufgewachsen“
Gera, Zwenkau und Löbau: Die Künstlerin Margret Hoppe zeigt Bilder moderner, unbekannter Bauten in Mitteldeutschland, die zu lange unter dem Radar liefen.
Die Architektur der Moderne rückt mit dem anstehenden Bauhaus-Jubiläum in den Fokus der Aufmerksamkeit. Doch es sind nicht nur die Meister und Schüler aus Weimar und Dessau, die mit ihren Bauten Mitteldeutschland geprägt haben. Seit Jahren fotografiert Margret Hoppe Ikonen der Moderne, zuletzt vor allem Bauten von Le Corbusier in Frankreich und Indien. Für ihre neueste Serie recherchierte sie zu Gebäuden der Moderne in Mitteldeutschland. Margret Hoppe, Jahrgang 1981, studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Timm Rautert und Christopher Muller sowie in Paris bei Christian Boltanski. Die Collection Regard in Berlin kontrastiert ihre neuesten Arbeiten mit dem Werk von Julien Lescoeur. Beide haben eine komplementäre Sichtweise auf die Art und Weise, wie sie Architekturen fotografieren. Da sie sich in ihren Arbeiten auf Strukturen, Materialität und Oberflächen, also auf Texturen, konzentrieren, trägt die Ausstellung den Titel ARCHITE[X]TURES. Ein Gespräch über menschenleere Architekturfotografie, prägende Arztbesuche und ihren subjektiven Blick auf Gebautes.
taz: Frau Hoppe, für Ihre neue Serie haben Sie Gebäude fotografiert, die der klassischen Moderne zuzurechnen sind, bisher jedoch wenig Beachtung fanden. Wie kamen Sie auf die Idee?
Margret Hoppe: Ich habe mich lange mit architektonischen Hinterlassenschaften der DDR beschäftigt, die heute keine Funktion mehr haben. Dann bin ich während eines Frankreichaufenthalts auf Le Corbusier gestoßen und habe seine Bauten in Europa und Indien fotografiert. Ich wollte nicht noch einmal bereits als ikonisch definierte Architektur fotografieren, sondern unbekannte Bauten der Moderne in Mitteldeutschland. Ich bin hier aufgewachsen, ich lebe und arbeite in der Region. Und auch hier steht Architektur, die nicht weniger gut oder weniger modern ist, sondern bisher einfach nicht viel Aufmerksamkeit bekommen hat.
Die Serie trägt den Titel „Unterbelichtete Moderne“. Dieser ist zum einen metaphorisch zu verstehen, weil diese Gebäude eben wenig bekannt sind. Kann man ihn auch wörtlich lesen, in dem Sinne, dass sie bisher auch kaum fotografiert worden sind?
Ja, in diesem doppelten Sinne ist er zu verstehen.
Insbesondere die Bauten von Thilo Schoder sind für die Serie zentral: Er war Schüler bei Henry van de Velde, hat in Gera die ehemalige Frauenklinik und eine Textilfabrik entworfen, ein Krankenhaus in Zwenkau bei Leipzig und eine Wohnsiedlung in Hermsdorf. 1932 ist er nach Norwegen emigriert, seine Bauten sowie seine Möbel gerieten in Vergessenheit. Warum?
Für die Nationalsozialisten war Thilo Schoders Architektur zu modern. Er ist nach Norwegen emigriert, weil er keine Aufträge mehr bekam und wurde nach dem Krieg in Deutschland nicht mehr wahrgenommen – auch weil er eben nicht am Bauhaus war. Ulrike Lorenz, die Leiterin der Kunsthalle Mannheim, hat 2001 eine große Monographie zu ihm publiziert, was sehr erfreulich ist. Zu DDR-Zeiten wurden seine privaten Villen enteignet und teilweise für staatliche Zwecke umfunktioniert. Die Frauenklinik in Gera war zu DDR-Zeiten eine Poliklinik. Als Kind war ich selbst dort bei meiner HNO-Ärztin. Auch das Kreiskrankenhaus Zwenkau war immer Krankenhaus.
Stehen die Gebäude heute unter Denkmalschutz?
Teilweise. Die Textilfabrik in Gera und die Frauenklinik stehen unter Denkmalschutz, auch das Haus Schminke von Hans Scharoun in Löbau und die Siedlung in Zwenkau. Manchmal kam der Denkmalschutz aber auch zu spät, zum Beispiel bei der Bauhaussiedlung Dessau-Törten. Da wurden zu DDR-Zeiten hässliche Materialien zur Wärmedämmung angebracht, Fenster vergrößert oder Fassaden verkleidet. Ein Sammelsurium an Baumaterialien aus den späten 60er Jahren.
Inwieweit sind die Gebäude denn heute noch in Benutzung? Und gibt es nun auch im Hinblick auf das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum im kommenden Jahr eine gewachsene Aufmerksamkeit dafür?
Leider steht die sehr beeindruckende Textilfabrik in Gera seit vergangenem Sommer leer. Auch das Haus Meyer von Thilo Schoder steht leer, weil es einen Streit zwischen den Erben gibt. Die Frauenklinik wird als Bürogebäude genutzt, und das Krankenhaus Zwenkau eben als Krankenhaus. Ich weiß, dass in der Frauenklinik eine kleine Ausstellung zu Thilo Schoder geplant ist. Leider gab es da bisher nur wenig Aufmerksamkeit dafür. Umso wichtiger wäre, das Bauhaus-Jahr dafür zu nutzen.
Inwieweit schreibt sich das Wissen um die Geschichte der Orte in ihre Fotografien, in die Wahl bestimmter Bildausschnitte ein?
Die Bildausschnitte sind rein subjektiv und entstehen vor allem nach ästhetischen Gesichtspunkten. Wichtig ist mir aber immer, bestimmte Details zu fotografieren, die die Zeitlichkeit der Orte beschreiben. Es gibt ein Bild aus dem Krankenhaus in Zwenkau, wo man am Rand einen Kopierer sieht und weiß, dass das Foto in den vergangenen Jahren gemacht sein muss. Und man sieht auch die Abnutzung der Orte sowie manchmal neu Saniertes.
Ihre Fotografien der Bauten sind zwar im Ansatz dokumentarisch, jedoch vor allem subjektiv, da sie die Architektur nur ausschnitthaft in ungewohnten Perspektiven zeigen. Dieser Ansatz eint Ihre bisherigen Arbeiten.
Das Foto ist immer ein Zeitdokument. Ich fotografiere analog auf Negativfilm und brauche dafür die Realität. Dann baue ich mir die Bilder im Sucher zurecht und schaue nach den Linien und Farben, die das Bild komponieren. Diese Kompositionen und auch die Farbauswahl sind sehr subjektiv. Sowohl bei Le Corbusier als auch am Bauhaus beziehungsweise bei den Bauten der Moderne spielten die Farben eine wichtige Rolle, sie waren ein Teil der Architektur. Mit meiner Perspektive und auch den Ausschnitten, mit denen ich Farbflächen auswähle, schaffe ich eine eigene Sprache in der Fotografie.
Die Bilder bleiben bei Ihnen menschenleer, obwohl die Gebäude zum Teil noch in Benutzung sind.
Die Menschen sind zwar nicht auf den Bildern zu sehen, sie sind dennoch anwesend. Denn die Architektur ist für den Menschen gemacht und man sieht immer Spuren des Menschen auf meinen Bildern.
In der Collection Regard stellen Sie die Serie nun gemeinsam mit Arbeiten von Julien Lescoeur aus, der Details von Strukturen und Texturen von Gebäuden ins Bild setzt. Inwieweit treten ihre Ansätze in Dialog?
Wir beschäftigen uns beide mit Raum im Bild und mit Orten, die eine spezifische Geschichte haben. Wir fotografieren auch beide in Farbe. Dennoch ist unsere Bildsprache sehr unterschiedlich. In meinen Bildern sieht man Ausschnitte aus der Architektur, die jedoch immer auch einen Raum öffnen. Bei Julien sind es tatsächlich Oberflächen, während bei mir oft sehr harte und grafische Linien oder Farbflächen den Raum definieren.
Bis 7. Dezember: „Archite(x)-tures“, Collection Regard, Berlin, www.collectionregard.de
Kannten Sie sich vor der Ausstellung?
Wir kannten uns seit dem Salon Photographique 2015, den Marc Barbey mit seiner Collection Regard auch immer während der Paris Photo veranstaltet. Das war eine sehr prägende Begegnung für uns alle, da der Salon während der Attentate in Paris stattfand. Die Serie wurde in diesem Sommer schon in Arles während des Fotofestivals gezeigt, auch mit Julien und der Collection Regard.
Werden Sie noch weitere Orte fotografieren?
Ja, es gibt noch sehr viele Orte die ich fotografieren möchte. Dazu gehört auch das Fenster von Josef Albers im Grassimuseum für Angewandte Kunst in Leipzig oder das Haus Auerbach in Jena und noch weitere Siedlungsbauten von Thilo Schoder.
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