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Fotografiemesse in ParisRegenbogen und Mao

Die Fotografiemeister der Welt im Grand Palais: Bei der Szenemesse schloss selbst der Kurator der New Yorker MoMA noch Lücken der Sammlung.

Unter dem Glasdach boten 143 Fotografen aus 35 Ländern ihre besten Stücke an. Bild: dpa

PARIS taz | In Paris floss der Champagner am Wochenende in Strömen. Anlass war unter anderem die 18. Ausgabe der Paris Photo, der weltweit wichtigsten Messe für Fotografie. Unter dem gigantischen Glasdach des Grand Palais boten 143 Galerien aus 35 Ländern ihre besten Stücke feil. Abzüge waren ab knapp unter 1.000 Euro zu haben. Arbeiten von Stars der Gegenwart wie Candida Höfer oder Thomas Ruff sowie Ikonen von Alfred Stieglitz oder August Sander kosteten Zehntausende Euro. Eine großformatige Vorlage für eine Tapisserie von Man Ray setzte die Berliner Galerie Kicken bei 1,3 Millionen Euro an.

Aus New York kam Quentin Bajac, um in einer Sonderschau Neuanschaffungen des MoMA vorzustellen. Um die Lücken der Sammlung zu schließen, kauft der Kurator auch bei der Paris Photo ein. Im Grand Palais zeigte er Fotografien lateinamerikanischer und US-amerikanischer Künstler. Zu sehen waren etwa Selbstporträts des früh verstorbenen Mark Morrisroe. Wie Nan Goldin gehörte er zur Boston School, schoss intime Aufnahmen von Freunden.

Das MoMA besaß bisher keines seiner Bilder. Auch Künstlerinnen wie Susan Meiselas oder Judith Jay Ross sind neu in der Sammlung. Von Stephen Shore, Pionier der künstlerischen Farbfotografie und Chronist des US-Alltags, zeigte Bajac neben bekannten Arbeiten aus den frühen Siebzigern auch eine serielle Arbeit mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen von 1969.

Bilder von Shore brachte auch die New Yorker 303 Gallery mit: typische Straßenszenen und Interieurs, allerdings welche, die er 2012 in der Ukraine aufgenommen hatte, noch vor den Protesten auf dem Maidan. Am Stand der Pariser Galerie Suzanne Tarasieve sollten eigentlich Selbstporträts von Boris Mikhailov welchen von Jürgen Teller gegenüber hängen.

Bildproduktion in der digitalen Gegenwart

Doch angesichts der Lage in der Ukraine entschied sich Mikhailov dafür, großformatige, an sozialistisch-realistische Wandgemälde erinnernde Fotografien zu zeigen, die er 2013 zusammen mit seiner Frau Vita in den Protestcamps auf dem Maidan geschossen hatte. Teller blieb bei Selbstporträts, eines seiner berühmtesten zeigt ihn nachts, nackt, mit Bierflasche in der Hand und einem Bein auf einen Fußball gestützt vor dem Grab seines Vaters, der 1988 Selbstmord beging.

Eine der interessantesten Präsentationen zeigte die Warschauer Galerie Asymetria mit Arbeiten von polnischen Dokumentarfotografen wie Tadeusz Rolke oder dem kürzlich verstorbenen Jerzy Lewczynski aus den 1950er und 1960er Jahren. Sie lieferten beeindruckende Straßenszenen und Porträts, hinterfragten spielerisch den Realitätsanspruch der Kamera. In der kleinen Schau zog die Galerie Parallelen zu neorealistischen Filmen aus dieser Zeit.

Herausragende Arbeiten zeigte die Berliner Galerie Klemm’s, etwa aus Viktoria Binschtoks „Cluster Series“. Dafür speist die Künstlerin Fotografien aus ihrem Archiv in Bildsuchmaschinen ein, die dann nach Kriterien wie Form und Farbe suchen. Binschtok reinszeniert die gefundenen Kompositionen und verbindet sie mit den Ursprungsbildern zu Tableaus – eine Untersuchung der Bildproduktion in der digitalen Gegenwart.

Carlier Gebauer, Berlin, und Pace MacGill, New York, brachten Bilder aus Paul Grahams jüngster Serie „Does yellow run forever?“ mit, in der er seine künstlerisch-dokumentarische Praxis um eine persönliche Reflexion der Suche nach Glück erweitert: Er fotografierte Regenbogen in Irland, Goldläden in New York und seine Freundin schlafend in Hotelbetten auf gemeinsamen Reisen und präsentiert die Bilder als poetische Arrangements.

26 Ansichten von Tankstellen

Zeitgenössische Fotografie aus China war unter anderem am Stand der Galerie Paris-Beijing zu sehen, die zensierte Arbeiten versammelte, etwa Ren Hengs teils pornografisch anmutende Porträts von Menschen in absurden Posen oder politische Arbeiten der Gao Brothers, die etwa Mao, Stalin, Hitler, Hussein und Bin Laden zum Gruppenbild in Schwarz-Weiß montierten.

Eine Sonderschau rollte mit Werken von Künstlern wie John Baldessari oder Sophie Calle die Geschichte des Fotobuchs auf. Ausgangspunkt war Ed Ruschas „Twentysix Gasoline Stations“ aus dem Jahr 1963, in dem er 26 Ansichten von Tankstellen abdruckte. In den oft aufwendig produzierten Büchern loten Künstler die Möglichkeiten des Mediums aus, entwickeln narrative Strukturen oder verbinden Bilder mit Textfragmenten.

Zusammen mit der New Yorker Aperture-Stiftung richtete die Messe zum vierten Mal einen Fotobuchwettbewerb aus. In der Kategorie „First Photobook“ gewann Nicoló Degiorgis’ Buch „Hidden Islam“. Dafür suchte er mehrere Jahre lang Orte in Norditalien auf, an denen Muslime aus Angst vor fremdenfeindlichen Attacken hinter schmucklosen Mauern beten. „Photobook of the year“ wurde Oliver Siebers „Imaginary Club“, eine Bestandsaufnahme verschiedener Jugendkulturen in Porträts.

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1 Kommentar

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  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Gruppenfotos in SW. Kunst ist eben, was man dafür hält.