Fotografiefestival in Arles: Ironie ist eine Strategie

„Les Rencontres d’Arles“ stehen im Zeichen der Krisen, auch der Wahlergebnisse in Frankreich. Dennoch findet das Fotografiefestival eine Leichtigkeit.

Foto von einer alten Frau mit langem grauem Zopf, die bis zur Hüfte im Wasser steht.

Postermotiv: Cristina De Middel, „An Obstacle in the Way“, aus: „Journey to the center“, 2021 Foto: Courtesy der Künstlerin/Magnum Photos

Im Café de la Roquette in Arles sind an diesem Sommerabend alle Tische besetzt. Es ist der erste Wahltag der vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich. Noch plaudern die jungen Arlésiens und Arlésiennes entspannt bei Bier und Ricard. Dann, um 20 Uhr, die ersten Hochrechnungen: Die rechten Lepenisten liegen mit großem Abstand vorne, in Arles selbst erhielt der RN-Kandidat Emmanuel Tache sogar 47,8 Prozent der Wählerstimmen.

Das sind beinahe 20 Prozentpunkte mehr als der Kandidat der kommunistischen Partei, Nicolas Koukas, erhalten hat, gegen den Tache am kommenden Sonntag in die Stichwahl gehen wird. Auf einmal ist die Atmosphäre auf dem Platz gedrückt, die Stimmen sind leiser geworden.

Von dem immer weiter zunehmenden Rechtsruck in Frankreich ist jedoch bei den jetzt beginnenden Rencontres d’Arles nicht viel zu merken. Der Etat des wichtigen, internationalen Fotografiefestivals sei zwar gesunken, aber dank privater Förderer sei man nicht nur auf staatliche Gelder angewiesen, so Christoph Wiesner. Der Museologe Wiesner aus Gemünden am Main leitet seit 2020 die Rencontres. Die 55. Ausgabe des 1970 gegründeten Festivals trägt den Titel „Beneath The Surface“. Wiesner spricht von den sich „überlagernden Erzählungen unter einer gerade immer poröser werdenden Oberfläche der Selbstverortung und Identitätssuche“.

An vielen Stellen der diesjährigen Rencontres geht es um die Bewältigung gegenwärtiger Krisen. Es geht um Migration, um die Geschichte des Kolonialismus oder um die Folgen des Klimawandels. Viele Künst­le­r:in­nen nutzen Humor als Strategie, um den schweren Themen zu begegnen.

Der Blick zurück auf eine verlorene Heimat

„Beneath the Surface“: Rencontres de la photographie d’Arles, bis 29. September.

Wie die 1975 in Spanien geborene Fotografin Cristina de Middel. In ihrer Installation „Journey to the Center“, in der Kirche der Frères Prêcheurs aus dem 15. Jahrhundert zeichnet die in Mexiko und Brasilien lebende Fotografin die Migrationsroute von dem Ort Tapachula im Süden Mexikos nach Felicity nach, einer kleinen Stadt in Kalifornien. Geografisch gilt Felicity als „Zentrum der Welt“. Mit ironischen Einblicken auf beiden Seiten der Mauer zeigt de Middel, wie absurd es doch ist, den Ort mit solch einem Slogan auch für den Tourismus zu bewerben.

Ein Junge steht steht stolz vor überdimensioniertem Gemüse

Bruce Eesly: „Peter Trimmel wins first prize for his UHY fennel at the Kooma Giants Show in Limburg“, 2023 Foto: Courtesy des Künstlers

Dafür kombiniert sie Dokumentarfotografie und Archivmaterial, arbeitet visuell mit Stereotypen, die sie dann ironisierend wieder ­dekonstruiert: Eine junge Mexikanerin steht vor dem Grenzzaun in einem T-Shirt mit übergroßem rosafarbenen Trump-Gesicht, ein Mann mit verwischten Gesichtszügen trägt ein Superman-Kostüm mit der Trump-Parole „Mexico Will Pay“. Oder eine meterhohe Madonnenfigur wird auf dem Dach eines Kleinwagens samt verschiedener Habseligkeiten transportiert. Auf der anderen Seite ist die Leuchtreklame einer US-amerikanischen Kirche zu sehen, mit der Erklärung „The Door to New Life Is Open“.

Das diesjährige Festivalplakat zeigt de Middels Arbeit „An Obstacle in the Way“ (Una Piedra en el Camino): eine Frau mit grauem Haar in einem lang geflochtenen Zopf, die bis zu den Knien in einem See steht. Den Blick zurück gerichtet auf eine verlorene Heimat. Sie wirkt in Erinnerungen versunken. Es ist ein sehnsuchtsvolles, sehr intimes Bild, zärtlich und verletzlich.

Eine Variante europäischer Gartenzwerge

Kurios kommt in Arles die erstmals 2016 in Neu-Delhi ausgestellte Serie „Everyday Baroque“ des 1954 geborenen indischen Fotografen Rajesh Vora daher. Sie dokumentiert Ferienhaussiedlungen von „Non-Resident-Indians“ (NRI) in Punjab. Die in der Diaspora lebenden Inder kommen nur in den Ferien dorthin und haben auf ihren Häusern in stolzer Pose überdimensionierte Gipsfiguren aufgestellt, in aberwitzigen Formen von Maruti-Pkws, Traktoren, Panzern, Schiffen mit amerikanischer Flagge, Boeings oder einer meterhohen Whiskeyflasche. Eine Variante europäischer Gartenzwerge. Das wirkt bizarr, surreal und humorvoll.

Als absurde Monumente des Unwiederbringlichen wirken dagegen die nur noch als Reste aus dem Wasser ragenden Bauwerke in der Serie „A Fates Brief Memoir“ des 1982 in Indien geborenen Fotografen Paribartana Mohanty, der in Lentikularbildern Orte dokumentiert, die durch den Klimawandel im Meer versunken sind.

Der 1984 in Berlin geborene Fotograf Bruce Eesly montiert in seiner Serie „New Farmer“ Werbefotografien für Landwirtschaftsmagazine aus den 1960er Jahren, die mit der „Green Revolution“ mit genmanipuliertem Gemüse für bessere Ernten warben, mit KI-Bildern mit ins Monströse vergrößerten Brokkoli oder Gurken.

Befremdlich wirken auch die Modeaufnahmen für US-amerikanische Uniformen des Archivs des Natick Soldier Systems Center von 1960 bis 1990. Sie bewerben stilvolle Ausrüstungen für Kriegsgebiete, Mondlandungen oder Atomkatastrophen. Die kathartische Theorie des Humors vertrat schon Sigmund Freud. Ob sie auch hilft, der Sorge vor einer Regierungsbeteiligung des RN im französischen Parlament zu begegnen?

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