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Fotografie im Kunstverein SchwerinGestalterinnen des eigenen Bildes

Der Kunstverein Schwerin zeigt Frauenporträts aus den 1970ern der österreichischen Fotografin Cora Pongracz, im Dialog mit anderen Porträts.

Cora Pongracz, „8 erweiterte portraits“, Ausstellungsansicht Kunstverein für Mecklenburg und Vorpommern in Schwerin, 2025 Foto: Fred Dott/Fotosammlung OstLicht, Wien

Am Ende des Pfaffenteichs dümpelt die „Petermännchen-Fähre“ am verlassenen Anlegesteg träge dem Winter entgegen. Auf der kleinen Vogelinsel nebenan stehen zwei Reiher und putzen konzentriert ihr Gefieder. Ein Blick der Flaneurin zurück zur Innenstadt wird belohnt mit einer attraktiven Ansicht der Schweriner Skyline, die links vom Dom und rechts von den Türmen der Paulskirche umrahmt wird.

Nur wenige Gehminuten vom Zentrum der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns entfernt hat man hier am hinteren Ende des innerstädtischen Gewässers bereits einen Standort erreicht, der sich vage nach vorstädtischer Idylle anfühlt. Und genau hier wurde im Jahr 1903, in einem so verspielt wie trutzig wirkenden Pseudorenaissancestil, das Schweriner Elektrizitätswerk errichtet. Mittlerweile wird der Strom längst woanders produziert, und das Gebäude mit der schlossähnlichen Anmutung dient heute anderen Zwecken. Welche das sind, erschließt sich Uneingeweihten aber eher indirekt.

„Cora Pongracz – 8 erweiterte Porträts“ steht auf einem wettergewellten Plakat am Zaun davor, und noch ein paar Namen. Was sich hier nach außen etwas geheimniskrämerisch gibt, ist der Kunstverein Schwerin, der, 2002 gegründet, in durchaus inklusiver Weise Positionen der Gegenwartskunst nach Mecklenburg bringt.

Derzeit ist eine Doppelausstellung von Porträtfotografien zu sehen: Zur Werkreihe „8 erweiterte Portraits“ von Cora Pongracz werden nacheinander Arbeiten anderer FotokünstlerInnen gezeigt; jetzt stehen die Bilder der zypriotischen Fotokünstlerin Marietta Mavrokordatou mit im Fokus, kürzlich waren es noch die des japanisch-österreichischen Fotografen Seiichi Furuya.

Die Ausstellung

Cora Pongracz: „8 erweiterte portraits“, Kunstverein Schwerin, bis 11. Januar 2026

Cora Pongracz (1943–2003) gehörte zum Kreis des Wiener Aktionismus und rekrutierte aus der Wiener künstlerischen Bohème auch die Protagonistinnen ihrer Werkgruppe „8 erweiterte Portraits“, die im Jahr 1974 entstand. Sie fotografierte generell fast ausschließlich schwarzweiß und hatte für dieses Projekt einen strengen programmatischen Rahmen definiert, mit dem sie sich selbst als Autorin so weit zurücknahm wie nur möglich: Pro porträtierter Person sollten es genau sieben Fotos sein, davon zwei, auf denen die Frauen sich in selbstgewählter Pose fotografieren ließen, und weitere fünf mit frei assoziierten Motiven, denen sich die Abgebildeten persönlich verbunden fühlten.

Die Porträtierten wurden zu Gestalterinnen des eigenen Bildes. Auf der formalen Ebene wird aber auch deutlich, dass die Fotografin ihrerseits lustvoll mit den stilistischen Möglichkeiten fotografischer Gestaltung spielte. Zwischen spontaner Schnappschussästhetik und hochgradig stilisierter Künstlichkeit ist alles dabei. Etliche der porträtierten Frauen präsentierten sich vor Pongracz’ Kamera nackt oder halbnackt, schließlich glaubte frau sich in den siebziger Jahren endlich sexuell befreit – eine Vorstellung, die von der Tochter einer der Porträtierten in einer der ausliegenden Publikationen stark in Zweifel gezogen wird. (Der Besuch des Lektüreraums lohnt unbedingt.)

Die Frauen auf Pongracz’ Fotos mögen ernst in die Kamera blicken; doch haben diese Bilder nichts von der geradezu tragischen Aura der Porträts, die Seiichi Furuya im Laufe vieler Jahre von seiner Frau machte. In langer Reihe säumen sie zwei Wände: Fotos, aus denen Christine Furuya-Gössler mit einer oft fast unheimlichen Intensität frontal in die Kamera blickt, als ginge es darum, durch das Objektiv hindurch etwas (oder jemanden) erkennen zu müssen, das sich am anderen Ende verbirgt. Die vielfach Porträtierte beging 1985 nach langer psychischer Krankheit Selbstmord.

Je nach Dialogpaarung wirken Cora Pongracz’ Bilder immer wieder anders. Im Nebeneinander mit Furuyas Porträts scheinen sie einen geradezu existenziellen Charakter anzunehmen; durch die Paarung mit Marietta Mavrokordatous ins Abstrakt-Ästhetische orientierter Fotokunst hingegen wird vor allem das Spielerische und Experimentelle ihrer Werkreihe deutlich.

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