Fossile Energie: Ist Flüssiggas noch klimaschädlicher als Kohle?
Die Crème de la Crème der LNG-Branche trifft sich zum Gipfel im Berliner Edelhotel Adlon. Die Klimabewegung protestiert. Die Politik geht hin.
Gas schlimmer als der „Klimakiller“ Kohle? Howarths Studien über die Treibhausgaswirksamkeit von LNG entfachten Anfang des Jahres einen „politischen Feuersturm“ (Financial Times) in den USA – und führten dazu, dass Präsident Joe Biden den Ausbau von Häfen für den Export von LNG stoppte.
Der Methanexperte hatte den Ruf vom „klimaschonenden“ Gas als Mythos entlarvt: Wenn man die Emissionen bei Förderung und Transport mit einrechnet, ist der Treibhausgasausstoß von LNG laut Howarth binnen 20 Jahren um 33 Prozent höher als der von Kohle. Besonders wenig umweltschonend ist Gas, das per Fracking, also durch enormen Druck, aus der Erde gepresst wurde – in den USA der Standard. Fracking bringe enorme Mengen des besonders klimaschädlichen Treibhausgases Methan in die Atmosphäre, fand Howarth heraus.
In Deutschland halten dagegen viele LNG immer noch für eine „Übergangstechnologie“: Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck pumpt sogar Milliarden in den Ausbau der Flüssiggas-Infrastruktur, unter anderem für den Import aus den USA.
Branchentreffen und Gegengipfel
Der Branche geht es blendend, seitdem Wladimir Putins Truppen die Ukraine überfallen haben – und der Westen russisches Pipelinegas zu ersetzen versucht. Einer der Gründe, warum sich ab Montag in Berlin die Branche zum „World LNG Summit“ trifft – 750 Chefs und Lobbyisten aus 50 Ländern kommen beim „Treffpunkt der globalen LNG-Industrie“ im Edelhotel Adlon zusammen. Ticketpreis: ab 4.000 Euro.
KlimaaktivistInnen haben gleichzeitig zum Gegengipfel aufgerufen. Man wolle „den Gaskonzernen ihren Kongress vermiesen“, kündigt das Bündnis mit Gruppen wie Ende Gelände, Extinction Rebellion, Letzte Generation und Scientist Rebellion Aktionen an. „Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge“, sagt Frida Egeling von Fridays for Future. Die Verdrängung von Kohleverstromung durch Gas helfe der Welt keineswegs, CO2-Emissionen zu verringern. Egeling betont: „Eine gute Zukunft gibt es nur ohne neue Gasprojekte.“
Franziska Holz ist sowohl zum LNG-Gipfel als auch zur Gegenveranstaltung eingeladen worden. „Aber ich bin keine Aktivistin und arbeite auch nicht in der LNG-Industrie“, sagt die Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Deshalb wird sie zu keinem der Events gehen.
Die Forderungen der AktivistInnen kann die Wissenschaftlerin aber nachvollziehen: Sie hat den Bau der Terminals für das auf bis zu 164 Grad minus heruntergekühlte und für den Schifftransport verflüssigte Erdgas untersucht. Ergebnis: Habecks Politik sei „ein Risiko für die Energiewende in Deutschland“, sagt Holz.
Dass ausgerechnet unter der Ägide eines Grünen nach den drei schwimmenden LNG-Terminals, die für etwa zehn Jahre geleast wurden, jetzt auch noch weitere fest installierte LNG-Stationen mit einer Lebensdauer von 20 oder mehr Jahren kommen sollen, torpediere die von der Bundesregierung für 2045 angepeilte Klimaneutralität Deutschlands.
Terminals kaum ausgelastet
Denn: „Die immer wieder zur Erklärung herangezogene Gasmangellage gibt es nicht“, betont Holz. Die weggebrochenen Importe aus Russland könnten leicht kompensiert werden. Auch kurz vor dem Winter 2024/25 sind die Speicher prall gefüllt, selbst ein möglicher Bedarf von Nachbarländern wie Österreich oder die Slowakei sei gedeckt. Der einst angedachte Bau von 13 Terminals, die in „einem historischen LNG-Rausch“ geplant worden seien, müsse gestoppt werden, urteilt das DIW.
Im zweiten Quartal 2024 sollen die deutschen Terminals nicht mal zur Hälfte ausgelastet gewesen sein. „Wegen ineffizienter Mittelverwendung“ hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) deshalb beim Bundesrechnungshof Beschwerde eingelegt. Besonders das Terminal auf Rügen ärgert die DUH. Dafür gibt der Bund 865 Millionen Euro, zudem eine Garantie über 1,9 Milliarden Euro.
Dadurch eingespeist wurden im vergangenen Jahr aber nur 1,3 Milliarden Kubikmeter Gas – also lediglich 1,5 Prozent des deutschen Bedarfs, schreibt die Umwelthilfe. „Niemand will es, keiner braucht es“, wütet DUH-Experte Constantin Zerger. Das Terminal auf Rügen sei „eine teure und unnötige Investitionsruine“. Insgesamt kamen 2023 gut 7 Prozent des deutschen Gases aus LNG.
Es soll mehr werden. Der künftige Präsident Donald Trump will Bidens Baustopp für LNG-Projekte in den USA schnellstmöglich beenden. Das besorgt Fachleute. Denn: Das in den USA durch Fracking gewonnene Schiefergas verursacht besonders viel Methan, vor allem durch Lecks. Die entstehen bei Verflüssigung und Transport des Kraftstoffs per Tanker.
„Zwar wird bei der Verbrennung von Kohle mehr CO2 freigesetzt als bei der Verbrennung von Gas, aber die Methan-Emissionen können diesen Unterschied mehr als ausgleichen“, sagt Methanexperte Howarth. Das Methan verflüchtigt sich zwar schneller in der Atmosphäre als Kohlendioxid, ist aber lange weitaus klimaschädlicher. Energieexpertin Holz wendet ein, Leckagen gebe es sicher auch in den Pipelines, die zum Beispiel russisches Gas transportieren. Aber: Genaue Zahlen gebe es nicht – „und wenn, sind das Momentaufnahmen“, sagt Holz.
Verordnung betrifft nur Energiesektor
Auch Stefan Wenzel ist zu LNG-Gipfel wie Gegengipfel eingeladen worden. Der parlamentarische Staatssekretär in Habecks Ministerium wird auch bei beiden Veranstaltungen auftreten. Er sagt nicht, dass die geplanten deutschen LNG-Terminals die Klimaziele infrage stellen. „Mittelfristig“, so Wenzel zur taz, werde „es voraussichtlich nur noch zwei feste Terminals geben, die dann auch für grüne Wasserstoffderivate genutzt werden sollen“.
Immerhin: Den Klimakillereffekt von Methan bestreitet selbst die LNG-Lobby nicht mehr. Das Gas sei für „30 Prozent der Erderwärmung seit der Industriellen Revolution“ verantwortlich, heißt es in der Beschreibung von „Session 8“ im Hotel Adlon, einem Panel, das sich mit der EU-Methanverordnung beschäftigen soll.
Diese verpflichtet die Konzerne zu regelmäßigen Checks auf Methanlecks und verbietet das Abfackeln in Öl- und Gasanlagen. Inzwischen haben sich 150 Länder dazu verpflichtet, ihren Methanausstoß innerhalb dieses Jahrzehnts um 30 Prozent zu senken. Allerdings ist noch unklar, wie: Während die Gasindustrie im Hotel Adlon behauptet, die EU-Verordnung werde „nachhaltigen Einfluss auf die globalen LNG-Lieferketten haben“, raten KritikerInnen, genauer hinzuschauen.
Die Verordnung betrifft nämlich nur den Energiesektor, der für rund 40 Prozent der Methanemissionen verantwortlich ist. Hauptverursacher ist der Agrarbereich – Stichwort pupsende Kühe – mit rund der Hälfte. „Die Welt steuert auf eine Klimakatastrophe zu“, sagt Methanexperte Howarth. „Da LNG eine größere Auswirkung auf das Klima hat als jeder andere fossile Brennstoff, sollten wir ihn sofort weglassen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden