Fortsetzung des Hilfsprogramms: EU zwingt Syriza rechten Kurs auf
Die linke Regierung in Athen gibt sich betont optimistisch, obwohl ihre Reformvorschläge nun dem Plazet der Euro-Partner unterliegen.
ATHEN taz | Griechenlands Regierung sitzt in der Zwickmühle. Nach der am Freitagabend beschlossenen Abschlusserklärung der 19 Euro-Finanzminister muss sich das Land bei den Reformvorschlägen an der Politik der konservativen Vorgängerregierung orientieren, um eine viermonatige Verlängerung der Hilfen zu erreichen. Nur dann kann Athen auf weitere 7,2 Milliarden Euro Kredit hoffen. Doch das alte Programm von Antonis Samaras widerspricht den Wahlversprechen der linken Syriza-Partei diametral.
Bis zum Montag muss die griechische Regierung eine Liste mit Reformen und Sparvorschlägen vorlegen, die dann von den Geldgebern geprüft werden. Finanzminister Janis Varoufakis zeigte sich nach einer Kabinettssitzung optimistisch: „Ich bin mir vollkommen sicher, dass die Liste auf die Zustimmung der EU-Partner treffen wird“, sagte er.
Ministerpräsident Alexis Tsipras stellte sich schon als Gewinner dar: „Griechenland hat sein Hauptziel erreicht“, sagte er in einer Fernsehansprache. Die Vereinbarung erlaube der Regierung, die Sparpolitik hinter sich zu lassen. „Wir haben einen Kampf gewonnen, aber nicht den Krieg“, sagte Tsipras. Die wahren Schwierigkeiten kämen erst noch.
Nach ersten Informationen soll die Liste vor allem Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der Korruption beinhalten. In Athen hieß es am Sonntag, die schwierige Phase werde nach einer Zustimmung für die Reformliste beginnen. EZB, EU und IWF, bisher als Troika bekannt und nun in „die Institutionen“ umbenannt, würden in den kommenden Monaten jedes neue Gesetz genau prüfen, hieß es. Auch das widerspräche den Versprechen von Tsipras, der bereits voreilig ein Ende der Troika-Herrschaft verkündet hatte.
Am Sonntagmorgen steht der 76-jährige Rentner Antonis Psaras an einem Zeitungskiosk im Zentrum Athens und hält die Kathimerini in der Hand. „Bis zum Schluss habe ich zwischen Nea Demokratia und Syriza bei der Wahl geschwankt“, sagt er.
Crashtest am Montag
„Vier Monate Stillstand – erster Crashtest morgen“, titelt die konservative griechische Traditionszeitung. Am Samstag hatte das Blatt kommentiert, dass die griechische Regierung nun in der Realität angekommen sei und das getan hätte, was sie tun musste.
Rentner Psaras hatte sich bei der Wahl letztendlich für die konservative Nea Demokratia entschieden. „Das war mir sicherer“, erklärt er. Und recht habe er damit gehabt, lacht er bitter. Die Regierung habe bisher nichts von dem erreicht, was sie im Wahlkampf versprochen habe.
Auch die zentrumsnahe Tageszeitung To Vima gibt sich skeptisch: „Was verbirgt sich hinter dem Einverständnis? Wo knickte die Regierung ein?“, titelt sie. Keiner sei sich heute noch sicher, was die neue Regierung tatsächlich wolle, sagt Psaras.
Das Kleingedruckte
Er zeigt auf das gemäßigte Tagesblatt Eleftheros Typos. Dort wird nach potenziellen Verpflichtungen gefragt – „was steht im Kleingedruckten?“ Die „Neuen sind unorganisiert und nicht gut vorbereitet, um es mit den EU-Partnern aufzunehmen“, meint Psaras. Das alles habe bisher nur Geld und Glaubwürdigkeit gekostet.
Psaras schüttelt den Kopf und packt seine Zeitung in die offene Jackentasche. Bevor er geht, dreht er sich noch mal um. „Aber links ist die Regierung ja trotzdem. Meine einzige Hoffnung ist, dass sie – was auch immer sie vereinbaren – das nicht auf den Schultern der kleinen Leute austrägt.“
Die Syriza-naheTageszeitung I Avgi gibt sich zuversichtlicher: „Unabhängiger Staat – jetzt geht es an die eigentlichen Reformen“. „Ich will nicht glauben, dass uns die neue Regierung verraten hat – noch nicht“, sagt dazu Maria Konstantopoulou.
Die junge Frau hatte für Syriza gestimmt. Sie greift nach der I Avgi, zahlt und sagt: „Ich glaube, dass die Regierung durch ihr Einverständnis in Brüssel Zeit gewinnen will.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe