Forschung zur Medikamenten: Mit Nashorngenen gegen Depressionen
Nicht bei allen wirken alle Medikamente: Die Genetik erlaubt aber dank Forschungen zu Breitmaulnashörnern, das persönlich Passende zu finden.

Müller, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat sich auf Epigenetik spezialisiert. Bei diesem Teilgebiet der Biologie geht es um die Frage, wie Zellen die Aktivität von Genen steuern. Das geschieht durch einen chemischen Prozess, bei dem eine Gruppe aus Kohlen- und Wasserstoffmolekülen an einen Abschnitt des Gens angehängt wird. Sie schaltet es dadurch sozusagen an oder aus.
Bei einem Studienaufenthalt in den USA kam der Kieler Professor in Kontakt mit Beteiligten eines internationalen Forschungsprojekts, das Zellmaterial gefährdeter Tierarten in einem „Frozen Zoo“ auf Eis legt. Eine dieser extrem bedrohten Arten ist das Nördliche Breitmaulnashorn. Von ihnen leben nur noch zwei weibliche Tiere. Mit dem gesicherten Zellmaterial könnte, mit einem anderen Nashorn als Leihmutter, eine neue Generation Breitmaulnashörner entstehen – wenn es denn eines Tages ausreichend Lebensraum und Schutz vor Wilderern für diese von Menschen ausgerottete Spezies gäbe.
Aber ohne ein sogenanntes Referenzgenom berge die Nachzucht Risiken, sagt Björn Brändl, der als Biologe in Müllers Team mitarbeitet. „Es geht dabei auch um die Frage, welche Teile des Genoms tatsächlich abgelesen werden und welche inaktiv sind.“
Es ist eine Fleißarbeit
Um zu wissen, was im Organismus passiert, brauchte es also neben dem Genom einen Plan der sogenannten Methylgruppen, die eben die genetischen Prozesse „ausschalten“. Den herauszufinden, ist eine Fleißarbeit. Das benötigt viel Rechenzeit und spezielle Geräte. Eine KI könne bei dieser Puzzlearbeit bisher kaum helfen, sagen Brändl und seine Kolleg:innen Christian Rohrandt und Anika Riksted.
Das Referenzgenom, das am Ende eines solchen Prozesses steht, dient als Blaupause, mit dem Stammzellen verglichen und etwaige Fehler bei der Reproduktion vermieden werden können. Doch das kostet Geld und passiert daher nur, wenn es wissenschaftliche oder wirtschaftliche Gründe gibt: „Am besten erforscht sind Tomaten und Lachse“, sagt Müller.
Forschung am Nashorn-Erbgut anfangs ein „Spaßprojekt“
Die Forschung am Nashorn-Erbgut sei anfangs eine Art „Spaßprojekt“ gewesen, berichtet Björn Brändl. „Aber es hat sich ausgeweitet, weil wir bei der Arbeit auf neue Fragen gestoßen sind und neue Techniken zur Lösung entwickelt habe.“
Erschwert wurde die Arbeit auch dadurch, dass es sowohl technisch als auch rechtlich schwierig ist, Stammzellen zu verschicken. Daher sei er schließlich selbst in die USA gereist, um mit den dort gelagerten DNA-Proben zu arbeiten, berichtet Brändl. Die Zellen konnte er in einem kleinen Gerät, etwa so groß wie ein Speicherstick, untersuchen. Das größere Gerät steht im Kieler Labor.
Dank der neu erworbenen Expertise mit Methylierungsmustern stieg Franz-Josef Müller in eine aktuelle Studie zur Behandlung von Depressionen ein. An dem Forschungsverbund sind die Universitätskliniken in Hannover, Kiel, Greifswald, Würzburg und Frankfurt am Main beteiligt. Gemeinsam wollen sie eine personalisierte Depressionstherapie entwickeln, um Betroffenen passgenaue Hilfe anbieten zu können.
Studienleiter Helge Frieling, Professor an der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie in Hannover, sieht gute Chancen in einem Biomarker, der darauf hinweist, ob Patient:innen auf Antidepressiva ansprechen oder nicht.
Aufschluss über die Wirksamkeit des Medikaments
Bisher lässt sich das nur durch „Versuch und Irrtum“ herausfinden. Künftig könnte ein Test zeigen, ob ein entsprechender Gen-Abschnitt aktiv oder inaktiv ist. Das wiederum gibt Aufschluss über die Wirksamkeit des Medikaments. Personen, deren Körperchemie nicht zur Behandlung passt, „können wir mit alternativen Methoden wie intensivierter Psychotherapie oder Stimulationsverfahren behandeln“, so Helge Frieling in einer Pressemitteilung. „So ersparen sie sich langwierige Behandlungsversuche mit nebenwirkungsreichen Medikamenten.“
An jedem Standort wird eine Gruppe von Patient:innen in die Studie eingeschlossen. Neben den Zell-Untersuchungen geht es auch um Verhalten und den körperlichen Zustand. Dabei sei ein Merkmal auffallend, sagt Franz-Josef Müller: Wer unter Schlafapnoe leidet, also ungleichmäßig schläft, weil die Luft wegbleibt, habe ein deutlich erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken. „Das sollte künftig bei der Behandlung beachtet werden“, wünscht sich Müller.
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