Forschung zu Rassismus in Polizei: Unwilliges Untersuchungsobjekt
In der Debatte um Rassismus in der Polizei fehlen Zahlen. Nun bringt die Regierung eine Studie zu Racial Profiling auf den Weg.
Die hessische Studie, beauftragt nach einer Reihe von rechtsextremen Vorfällen in der Landespolizei, war ein Pionier. Denn Studien zu Einstellungen von PolizistInnen sind bis heute weitgehend inexistent. Mit der Debatte über die Feststellung von SPD-Chefin Saskia Esken, es gebe einen „latenten Rassismus“ auch in der deutschen Polizei, gerät diese Leerstelle nun wieder in den Blick. Und zeigt eine arge Schräglage des Diskurses auf: Auf welcher Grundlage wird hier eigentlich diskutiert?
Die Bundesregierung will diese Leerstelle nun etwas schließen. Das Innenministerium bestätigte am Donnerstag, dass man gemeinsam mit dem Justizministerium eine Studie zu Racial Profiling plane, also Polizeikontrollen nur aufgrund äußerer Merkmale. Man befinde sich „derzeit in der konzeptionellen Entwicklung“. Laut Justizministerium soll das Polizeihandeln in Bund und Ländern erforscht werden. Die Studie sei „ein wichtiger Schritt, um fundierte Erkenntnisse über das Phänomen zu erlangen und darauf aufbauend über mögliche Gegenmaßnahmen zu diskutieren“, so ein Sprecher.
EU-Kommission forderte Studie
Eine ebensolche Studie zu Racial Profiling hatte zuletzt auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz von Deutschland eingefordert. Entscheidend wird nun die Ausgestaltung: Auf welche Weise werden die PolizistInnen befragt? Von wem? Und wie unabhängig?
Mit der Studie zu Racial Profiling würde jedoch nur ein Teilaspekt des derzeitigen Diskurses abgedeckt. Denn die Forschungslücke zur Polizeiarbeit ist groß – wie der Politologe und Polizeiausbilder Christoph Kopke zuletzt in einem Aufsatz feststellte. Kopke verweist auf vereinzelte Studien in den neunziger Jahren. So konstatierte 1996 die Deutsche Hochschule der Polizei, dass Überlastung die Gefahr von Übergriffen erhöhe, es einen strukturellen Rassismus in der Polizei aber nicht gebe. Dann sei lange fast nichts gefolgt.
Mit dem NSU-Versagen aber bekam das Thema neue Aktualität. Über alle Tatorte hinweg hatten Ermittler die migrantischen Opfer verdächtigt – die tatsächlichen, rechtsextremen Täter blieben unentdeckt. Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag sprach von einem „Organisationsversagen“. Die Polizei stieß Reformen an, tiefergehende Forschungen blieben aber auch danach aus. Kopkes Fazit: Die Sensibilität in der Polizei sei gestiegen, die Gefahr rassistischer Einstellungen aber „keineswegs auf Dauer gebannt“. Und es gebe weiter „ein empirisches Forschungsdesiderat“.
Keine Forschung, keine Polizeizahlen
Dazu kommt: Auch innerhalb der Polizei wird zu rassistischen Vorfällen keine Statistik geführt. Das Bundesinnenministerium spricht von lediglich 25 Verdachtsfällen bei der Bundespolizei seit 2012, 16 davon seien aus dem KollegInnenkreis gemeldet worden. In den Ländern sind die Zahlen ähnlich dürftig. Das wäre erfreulich – würden nicht Erfahrungsberichte und andere Studien auf ein weitaus größeres Dunkelfeld hinweisen.
So konstatierte der Bochumer Kriminologe Tobias Singelnstein jüngst in einer Studie, dass es mindestens fünfmal mehr Verdachtsfälle von Polizeigewalt gibt, als in der offiziellen Statistik aufgeführt. Singelnstein hatte Gewaltbetroffene direkt befragt. Berichte zu Diskriminierungserfahrungen wertet sein Team gerade noch aus.
Singelnstein plädiert für eine differenzierte Betrachtung des Problems, geht aber davon aus, dass bei rund 15 Prozent der PolizistInnen „verfestigte rassistische Einstellungen“ vorliegen könnten. „Es wäre dringend erforderlich, hier belastbare Daten zu haben. Denn polizeiliches Handeln umfasst Grundrechtseingriffe und hat Signalwirkung.“ Dass bisher kaum Studien vorliegen, erklärt Singelnstein auch damit: „Wenn es schwierig wird für die Polizei, macht sie schnell dicht.“ Die geplante Studie der Bundesregierung sei daher „sehr zu begrüßen“.
„Ein schwieriger Feldzugang“
Bisher bleibt die Hessen-Studie damit solitär. Und die Aussagekraft ist auch hier eingeschränkt. Denn bei der Befragung handelte es sich um Selbstauskünfte der Beamten, daran beteiligt hatten sich 25 Prozent der hessischen Polizeibelegschaft. Wie es um das Gedankengut des Rests steht, bleibt so offen. Der Politologe Hans-Gerd Jaschke, der an der Studie beteiligt war, spricht dennoch von einem Durchbruch. „Ich hoffe, dass nun auch andere Länder nachziehen.“ Aber auch Jaschke, der als einer der wenigen bereits in den neunziger Jahren zur Polizei forschte, konstatiert einen „schwierigen Feldzugang“: „Insgesamt fehlt bei der Polizei eine Offenheit für solche Forschung.“
Die Wissenschaft aber steht bereit. So erarbeitete bereits vor Monaten das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) mit der Deutschen Hochschule für Polizei ein Konzept für eine Studie zu „Vorurteilsstrukturen in Polizei, Feuerwehr und Ordnungsämtern“. Laut einem Projektentwurf, der der taz vorliegt, sollen „Ursachen und Mechanismen der Entstehung sowie der Entwicklung von Vorurteilen“ erforscht und Handlungsempfehlungen erarbeitet werden. Befragt würden Polizisten und Auszubildende aus allen Bundesländern mittels eines Onlinefragebogen. Die Studie wäre auf drei Jahre angelegt.
Mitte Mai reichte das KFN das Konzept beim niedersächsischen Innenministerium eine. Eine Entscheidung darüber gebe es noch nicht, erklärte dort ein Ministeriumssprecher. Momentan werde die Projektskizze vom Landespolizeipräsidium geprüft.
Die Forscher aber machen Druck. „Systematische Erkenntnisse zu Ausmaß, Entwicklungen und Hintergründen dieser Einstellungsmuster liegen derzeit nicht vor“, heißt es in ihrem Papier. Die geplante Studie sei daher „dringend notwendig“.
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