Forschung über digitales Lernen: Falsch antworten hilft

Wie kann man sich große Mengen an Information besser und nachhaltiger merken? Offenbar, indem man vorher erst einmal Fragen beantworten muss.

Steinfiguren in einer Reihe

Was wissen Sie über Rapa Nui? Foto: Antonello Proietti/imago images

Was war die Einwohnerzahl von Rapa Nui, von den Europäern später Osterinseln genannt, zwischen 1722 und den 1860er Jahren?

Falls Sie die Antwort nicht wissen, ging es Ihnen wie der überwiegenden Mehrheit der 85 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Experiments, das vor einigen Jahren an der Iowa State University durchgeführt wurde. Sie mussten zwei willkürlich ausgewählte Fragen aus ­einem 12-teiligen Fragekatalog beantworten. Nur 5 Prozent der Antworten waren richtig.

Das war genau der Sinn der Sache. Im Anschluss sahen sich die Befragten, übrigens allesamt Studierende, ein siebenminütiges Video über die Osterinseln an. Dann bekamen sie erneut eine Liste mit den zwölf Fragen zum Inhalt vorgelegt, darunter jene zwei, deren Antwort sie davor bereits zu erraten versucht hatten. Eine Kontrollgruppe sah das Video, ohne zuvor Fragen zu beantworten. Auch sie mussten im Anschluss das Quiz zum Inhalt machen.

Welche Gruppe schnitt signifikant besser ab? Jene, die sich davor an den Fragen versuchen musste. Dieser „Vorfragen-Effekt“ ist der Psychologie schon länger bekannt. Warum hilft das Beantworten von Fragen vorab dabei, sich Inhalte besser zu merken? Möglicherweise, weil die Fragen neugierig auf den Stoff machen. Oder weil sie Lernende darauf hinweisen, was sie noch nicht wissen.

„Reality Check“

Ähnlich die dritte Erklärung: Das Frustrationserlebnis der falsch beantworteten Fragen könnte als „Reality Check“ dienen, als Erinnerung daran, dass man die präsentierten Inhalte aufmerksam verfolgten sollte. Bei Experimenten, in denen die Fragen beantwortet wurden und Studierende anschließend einen Text lasen, wurde allerdings deutlich, dass sich die Studierenden eher nur die Informationen merkten, nach denen vorab gefragt wurde. Auf die restlichen Inhalte konzentrierten sie sich weniger.

Bei dem Experiment mit dem Video war es anders: Zwar waren die Studierenden bei den Fragen besser, die sie zuvor bereits – vorwiegend falsch – beantwortet hatten. Aber im Vergleich zur Kontrollgruppe schnitten sie bei Fragen, die sie zuvor nicht gehört hatten, besser ab. Die Autorinnen und Autoren der Studie vermuten einen „Ausstrahlungseffekt“ der Fragen.

Warum funktioniert das beim Videoschauen besser als beim Lesen? Möglicherweise, weil beim Ansehen eines Videos vorher unklar ist, wann welche Information präsentiert wird. Anders als beim Lesen kann das Tempo des Informationsflusses weniger gut gesteuert werden.

Gute Nachrichten für alle, die durch Corona auf E-Learning angewiesen sind. Mit den richtigen Tricks lässt sich auch da halbwegs produktiv lernen. Aus den Ergebnissen der Studie geht jedoch nicht hervor, wie nachhaltig die Lerneffekte sind, also ob das Wissen langfristig gespeichert ist. Aber testen Sie einfach selbst, wie lange Sie sich die Information merken: Die Einwohnerzahl von Rapa Nui lag damals zwischen 2.000 und 3.000.

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Journalistin und Autorin in Wien. Schreibt über Wissenschaft für den "Falter", kommentiert Politik für die "Presse". War zuvor Redakteurin bei "The Forward" in New York. "Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete" über ihre Familiengeschichte erschien 2018 im Paul Zsolnay Verlag, 2020 in englischer Übersetzung ("I belong to Vienna") bei New Vessel Press (New York). Von 2019 bis 2020 schrieb sie die Kolumne "Die Internetexplorerin" für die taz.

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