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For­sche­r:in­nen fordern Abitur-ReformAlle Sprachen sollen zählen

Eine Forschungsgruppe der Universität Bremen fordert, dass in der Abiturprüfung als zweite Fremdsprache alle Sprachen zugelassen werden.

Abi-Prüfung: Wer zu Hause Französisch spricht, hat einen Vorteil, wer Türkisch spricht, nicht Foto: Robert Michael/dpa

Bremen taz | Das Fremdsprachenangebot an deutschen Schulen weist nur wenige Überschneidungen mit den in Deutschland gesprochenen Sprachen auf. Das kritisieren Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Universität Bremen. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Tramis“ fordern sie deshalb eine Abiturreform nach dem Motto: „Alle Sprachen zählen!“

„Eine zweite Fremdsprache in der Schule lernen oder eine Sprachprüfung in einer beliebigen Sprache bestehen – das sollte gleichwertig als Voraussetzung für die Allgemeine Hochschulreife anerkannt werden“, sagt Dita Vogel von der Universität Bremen. Von einer solchen Änderung würden vor allem mehrsprachig aufgewachsene Jugendliche profitieren – in Bremen sind das laut einer Untersuchung von Vogels Forschungsbereich ganze 51 Prozent der Schü­le­r:in­nen.

Deutschlandweit haben 39 Prozent der unter 18-Jährigen einen Migrationshintergrund, stellt die Bundeszentrale für politische Bildung im Datenreport 2021 fest. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes sprechen ebenfalls rund 39 Prozent der Haushalte, in denen mindestens eine Person mit Migrationshintergrund lebt, überwiegend eine ausländische Sprache – am häufigsten Türkisch, Russisch, Polnisch und Arabisch. An den Schulen wird neben Englisch jedoch hauptsächlich Französisch, Latein und Spanisch unterrichtet.

Den Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Universität Bremen zufolge haben 51 Prozent der Schü­le­r:in­nen im Schuljahr 2018/19, die den Unterricht einer Sprache außer Englisch besucht hätten, Französisch belegt, jedoch nur zwei Prozent Türkisch. Demgegenüber werde Türkisch jedoch in 14 Prozent der Haushalte gesprochen, in denen Deutsch nicht die primäre Sprache sei, Französisch nur in zwei Prozent.

Vielfältige transnationale Bezüge

Vogel hat das Projekt „Transnationale Mobilität in Schulen“ mitgeleitet. Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen haben sich damit auseinandergesetzt, wie Schulen besser mit den vielfältigen transnationalen Bezügen und Mobilitätsperspektiven von Schü­le­r:in­nen umgehen können. Ein Ergebnis: Das Sprachenlernen in der Schule sei dringend reformbedürftig.

Um das Abitur zu erlangen, müssen in Deutschland bislang zwei Fremdsprachen in der Schule erlernt werden. Mehrsprachig aufgewachsene Kinder müssten so teilweise eine vierte oder fünfte Fremdsprache belegen, sagen die Wissenschaftler:innen. Eine Ausnahme von dieser Regelung existiert dabei nur für Schü­le­r:in­nen nicht-deutscher Herkunftssprache, die erst spät im Verlauf ihrer Schullaufbahn in eine Schule in Deutschland eintreten.

Vogel sieht in der derzeitigen Regelung eine Benachteiligung. „Wenn jemand zu Hause Französisch spricht, dann kann er in den Fremdsprachenunterricht gehen und das zählt auch für den Schulabschluss. Wenn jemand aber mit einer Sprache aufwächst, die nicht an der eigenen Schule angeboten wird, dann zählt die Sprache nicht.“ Lediglich ein Teil der Schü­le­r:in­nen habe in einem Teil der Bundesländer unter Umständen die Möglichkeit, sich einen sogenannten Herkunftssprachenunterricht gleichwertig mit dem Fremdsprachenunterricht anrechnen zu lassen.

Das müsse sich ändern, findet Vogel. Sie fordert von der Kultusministerkonferenz, dass die Regelung für die zweite Fremdsprache zumindest um einen Rechtsanspruch auf Prüfungen in allen Sprachen ergänzt wird. Auf taz-Anfrage schreibt der Pressesprecher der Kultusministerkonferenz, man halte daran fest, dass das Erlernen zweier Fremdsprachen in der Schule Voraussetzung für die Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife sei. „Es sei angemerkt, dass es im Fremdsprachenunterricht nicht nur um die Vermittlung einer rein sprachlichen Kompetenz geht, sondern auch um interkulturelles Lernen.“ Momentan seien keine Schritte in die von der Universität Bremen geforderte Richtung geplant.

In der Stadt Bremen ist man sich der Thematik bewusst. „In Bremen wächst jedes zweite Kind mehrsprachig auf“, schreibt die Pressesprecherin der Bildungssenatorin auf taz-Nachfrage. Das zeige bereits die Notwendigkeit, Regelungen zu finden, die diese Lebenssituation junger Menschen auch in der Schule berücksichtigen. Um die wechselseitige Anerkennung des Abiturs zu sichern, müsse es jedoch eine bundesweite Absprache geben.

Auch Martin Stoevesandt, Vorstandssprecher des Zentral-Eltern-Beirats Bremen, begrüßt den Vorstoß der Universität: „Der Ansatz ist logisch und die Forderung nachvollziehbar.“ Aus juristischer Perspektive könne jedoch ein Gleichbehandlungsproblem entstehen, wenn Schü­le­r:in­nen eine Prüfung in ausländischer Muttersprache für das Abitur ablegen könnten, welche dann als zweite Fremdsprache gewertet würde.

Vogel ist trotzdem zuversichtlich. „Wir leben in einer mehrsprachigen Gesellschaft und es ist nicht mehr zeitgemäß, in der Schule nur noch von Fremd- und Herkunftssprachen zu sprechen.“ Der Vorschlag der Universität Bremen ist dabei eher ein Kompromiss. Eigentlich müsste sich etwas am Lernen und nicht nur an der Anerkennung ändern, ist Vogel überzeugt. „Im Grunde müsste man gewährleisten, dass alle Erstsprachen anerkannt werden.“ Dabei ist ihr klar, dass Unterricht in allen Sprachen kaum zu ermöglichen ist. Sie hält einen Mehrsprachenunterricht für eine mögliche Lösung. „So könnten die Schüler in einem binnendifferenzierten Unterricht ihre Sprachenkenntnisse weiterentwickeln und würden auch in der Schule in ihrer Erstsprache gefördert.“

Wie es gehen kann, zeigt zum Beispiel Hamburg. Dort werden Abiturprüfungen in elf Sprachen angeboten, darunter Türkisch, Arabisch, Farsi und Chinesisch. Eine Anerkennung aller Sprachen ist jedoch nicht absehbar. Daher scheint es vorerst dabei zu bleiben, dass es Sprachen gibt, die in der Schule und für das Abitur von größerem Nutzen sind als andere.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Es ist ja heute bereits so, zumindest in NRW, dass man durch eine erfolgreiche sog. Sprachfestststellungsprüfung in der Herkunftssprache die zweite Fremdsprache (also meist Französisch) als Zugangsvoraussetzung zum Besuch der Oberstufe ersetzten kann.



    Dann kann man also schon mal grundsätzlich die Berechtigung, auch Abitur machen.

    Das ist vielen Fällen sehr nützlich. Vor allem für neu Zugwanderte, die erst in der Sekundarstufe in das deutsche Bildungssystem einsteigen.



    Zudem ist es, wie ich finde, eine die Mehrsprachigkeit im allgemeinen und die Herkunftssprache im speziellen wertschätzende Lösung.

    Diese ermöglicht natürlich nur den Zugang zum Abitur. Wird dann z.B. Türkisch, Polnisch, Russisch oder Arabisch etc. an dem Gymnasium nicht angeboten, kann man die Sprache dann natürlich auch nicht in die Abiturprüfung selber nehmen. Ich glaube, das geht dann auch sowieso nur mit Französisch oder Latein. (!?)

    Man muss allerdings meines Wissens zumindest in NRW nicht zwingend mit zwei Sprachen in die Abiturprüfung gehen.

    Eine weitere Öffnung für die Herkunftssprachen über den reinen Zugang zum Abi hinaus wie in Hamburg fände ich aber gut. Allerdings wird eine Schule nie alle Sprachen anbieten können.

  • Es muss eine Auswahl getroffen werden. Nicht jede Sprache kann auch angeboten werden.

    Die zur verfügung stehenden zweiten Sprachen können natürlich von Schule zu Schule unterschiedlich sein je nach Nachfrage und Zusammensetzung der Schüler.

  • Ist es nicht so, dass Menschen, die zweisprachig aufwachsen, es leichter haben, eine zusätzliche Fremdsprache zu lernen? Und wie ist es denn mit all den Kindern, deren Eltern zu Hause ausschließlich deutsch sprechen: Werden deren Kinder dann nicht massiv benachteiligt, weil die wirklich eine fremde Sprache lernen müssen? Kann man nicht einfach einmal von allen Kinder Gleiches verlangen, ohne krampfhaft nach vermeintlicher Diskriminierung zu suchen? Das täte der Gesellschaft sicherlich gut.

    • @resto:

      Es geht nicht um Benachteiligung. Nicht jedes Kind das zweisprachig aufwächst ist auch sprachbegabt (meine Kleiner eher nicht). Für viele bedeutet das ENTWEDER die zweite Fremdsprach ODER die Muttersprache richtig lernen.

      Und mit letzerem meine ich schriftsprachlich. Nicht alles was da zu Hause und auf der Strasse an Arabisch, Türkisch,Vietnamesich, Russisch etc gesprochen wird würde an bei einem gepflegten Abendessen mit dem Geschäftpartner gern gehört werden.

  • Die Forderung ist völlig von der Realität und den Notwendigkeiten abgehoben. Es geht bei den in den Schulen angebotenen Fremdsprachen doch nicht um die Förderung der Sprachen von Einwanderern, sondern um die Qualifikation für die Notwendigkeiten bei Studium und Beruf.

    Immerhin ist das Abi für die meisten die Eintrittskarte für die Uni. Was soll man dort mit exotischen bei der Wissenschaft nicht relevanten Sprachen. Wer sich wissenschaftlich mit einer solchen Kultur und ihrer Sprache befassen will, muss sich eben um das Erlernen bemühen.

    Woher sollen denn die ganzen Lehrer kommen? Erst müsste einmal die Grundlage für die Ausbildung von Lehrern organisiert werden.

    Übrigens gibt es in Deutschland genügend Gymnasien, in denen Russisch, Chinesisch, Italienisch oder polnisch als Fremd- und Prüfungssprache angeboten wird. Sogar das der deutschen Sprache verwandte Holländisch wird angeboten.

    Der Bremerin werfe ich vor, die Sache nicht ausreichend bedacht zu haben. Ihre Forderung nach Gleichwertigkeit im Sinne eine Gleichgewichtung und einem Rechtsanspruch (!) auf Prüfungen in allen Sprachen ist fern jeder Durchführbarkeit und Wichtigkeit.

    Auch ich habe eine dieser aus meiner Sicht für die deutsche Realität unwichtige Sprache gelernt. Ich habe diese für meine persönlichen Interessen gelernt. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, dafür im Abi ein Recht auf eine Prüfungssprache einzufordern. .

    • @fvaderno:

      Die Forderung ist sehr realitätsnah.



      Zunächst mal muß man verstehen dass es hier um die ZWEITE Fremdsprache geht. Englisch als Prüfungssprache wird nicht in Frage gestellt.

      Mein Kindwächst zweisprachig Deutsch und Japanisch auf. Am Gymnasium heisst das jetzt



      - Deutsch (Vatersprache)



      - japanisch (Muttersprache)



      - Latein



      - English



      UND Spanisch oder Griechisch

      Auf letzteres könnte mein Kleiner auch Verzichten zu Gunsten seiner Muttersprache als Prüfungsfach im Abitur.



      Mehr wird gar nicht gefordert.

  • das wort 'migrationshintergrund' ...

    ist für mein gefühl eine üble wertung.

    meist von denen, die sich von solchem frei fühlen.

    abzuleiten, die erstsprache als prüfungsfremdsprache aufzunehmen, wo doch der lebensmittelpunkt in deutschland ist, halte ich für eine wissenschaftliche träumerei.

    • @adagiobarber:

      Mein Kind hat Migrationshintergrund und wächst zweisprachig auf.

      Der Begriff wird von Menschen mit eben solchem Migrationshintergrung als sehr passende Beschreibung empfunden. Er bedeutet schlicht sich mir einer zweiten Kultur und Heimat (und sei es nur im Kopf der Eltern) auseinandersetzen zu müssen.

      Dass dabei je nach Umständen (und nicht zu selten) auch Problem auftreten sollte nicht dazu verleiten den Begriff zu framen.