Forscherin über NS-Polizeirecht: „Terror folgte einem Reglement“
Ein Bremer Polizeichef sorgte für die Rechtsgrundlage, Menschen ohne Urteil ins KZ zu sperren. Nach dem Krieg machte er weiter Karriere.
![Ausschnitt von einem nationalsozialistischen Informationsblatt, das eine Übersicht der Wimpel zeigt, die KZ-Häftlinge je nach der ihnen zugewiesenen Gruppe tragen mussten Ausschnitt von einem nationalsozialistischen Informationsblatt, das eine Übersicht der Wimpel zeigt, die KZ-Häftlinge je nach der ihnen zugewiesenen Gruppe tragen mussten](https://taz.de/picture/4253829/14/Bundesarchiv_Bild_146-1993-051-07__Tafel_mit_KZ-Kennzeichen__Winkel_-1.jpeg)
taz: Frau Hörath, ist Präventiv-Strafrecht immer NS-Unrecht?
Julia Hörath: Eine Aufgabe von Polizeiarbeit ist immer die Gefahrenabwehr, ihr ist der Präventionsgedanke also inhärent. Das war schon vor dem Nationalsozialismus so. Was Sie hingegen ansprechen, ist der Paradigmenwechsel von einem Strafrecht, das sich auf die Vergeltung vergangenen Unrechts bezieht, zur Verhütung künftiger Taten. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts kontrovers diskutiert worden. Der Nationalsozialismus hat dann Änderungen im Strafrecht eingeführt, die in der Weimarer Republik nicht konsensfähig waren.
Welche?
Sehr wichtig ist die Sicherungsverwahrung. Die ist im November 1933 eingeführt worden, zugleich mit der polizeilichen Vorbeugungshaft. Rechtliche Voraussetzung der Vorbeugungshaft war die Reichstagsbrandverordnung vom Februar 1933. Sie ermöglichte es, unter Berufung auf die Gefahrenabwehr im Ausnahmezustand bestimmte Grundrechte außer Kraft zu setzen. Nur so wurde ein Freiheitsentzug ohne richterliches Urteil möglich.
Bei der Durchsetzung der Vorbeugungshaft nimmt laut Ihrem Aufsatz im aktuellen Vierteljahresheft für Zeitgeschichte Bremen eine Vorreiterrolle ein. Wieso?
Da muss ich etwas ausholen. Zunächst: Die Vorbeugungshaft wird 1933 eingeführt, weil man diejenigen Verbrecher erfassen will, die man gerade nicht überführen kann. Die wollte man präventiv im Namen des Gesellschaftsschutzes inhaftieren können.
Also imaginäre Verbrecher?
Nein, das kann man so nicht sagen: In Vorbeugungshaft genommen werden konnten nur sogenannte Berufsverbrecher. Die mussten in der Vergangenheit mindestens dreimal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden und ihr Verbrechen musste aus sogenannter „Gewinnsucht“ begangen sein. Es sind, gerade anfangs, Personen, die in einem langjährigen Konflikt mit dem Strafrecht stehen – und die man dann, aus Polizeisicht gesprochen, endlich wegsperren konnte.
ist historisch arbeitende Politologin und seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Ihre Dissertation über sogenannte „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ im KZ wurde mit dem Herbert-Steiner-Preis ausgezeichnet. Ihr Aufsatz über „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ im Reich und in Bremen 1933 bis 1938 erscheint in der aktuellen Ausgabe der „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“.
Von welchen Delikten sprechen wir?
Das waren häufig spezialisierte Eigentumsdelinquenten, denen man Gewinnsucht als Motiv unterstellen konnte, verbunden mit einem gewissen fachlichen Können...
... wie Geldschrankknacker...?
... oder Fassadenkletterer. Bremen wird Vorreiter, indem es die Vorbeugungshaft auf die Gruppe der Zuhälter ausdehnt. Gesellschaftlich war das zwar eine geächtete Gruppe, auf die man gerade deswegen herabblickte, weil sie – es geht dabei immer ums Arbeitsethos – ihren Gewinn nicht selbst erwirtschaftet, aber sie war nicht im Begriff vom Berufsverbrecher erfasst, schon weil die Strafen für Zuhälterei nicht hoch genug dafür gewesen wären.
Und das hat Bremen einfach so geändert?
Nein. Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, dass auch Terror und Willkür im Nationalsozialismus einem gewissen Reglement folgten. Das brauchte man nicht zuletzt für die Legitimierung gegenüber den ausführenden Organen. Man konnte die Zuhälter nicht einfach als Berufsverbrecher abstempeln und ins KZ stecken.
Aber Bremen hat’ s versucht?
Ja. Der Leiter der Bremer Kriminalpolizei, Conrad Parey, hat, unterstützt vom Kommissar Helmut von Dorpowski, den Handlungsspielraum in der Frühphase des Nationalsozialismus genutzt, um Zuhälter schon 1933 in Polizeihaft zu nehmen.
Was war Parey für ein Typ?
Parey ist ein in der Weimarer Republik sozialisierter Jurist. Er ist zunächst Richter und wird im Mai 1933 als Leiter der Bremer Kriminalpolizei eingesetzt. Seine am kriminologischen Diskurs in Kaiserreich und Weimarer Republik geschulten Aufsätze vermitteln den Eindruck, als sehe er sein Wirken in Bremen als Umsetzung damals diskutierter, aber im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren gescheiterter Gedanken. Es gab in der Polizei die Selbstwahrnehmung, dass die Polizei 1933 befreit worden wäre von den Fesseln des Rechtsstaats und endlich durchgreifen konnte im Dienste der Illusion, die Gesellschaft so von allem Übel befreien zu können.
Und Bremens Beitrag dazu?
Parey und von Dorpowski gelingt es, argumentativ zu begründen, warum Zuhälter doch in die Vorbeugungshaft mit einbezogen werden sollten. Rechtshistorisch wichtiger als diese Ausweitung auf eine neue Gruppe ist dabei ihre Ausweitung des Gefahrenbegriffs.
Warum ist das bedeutsam?
Zunächst gilt der Gefahrenbegriff der Reichstagsbrandverordnung, und der ist relativ eng: Er ist eigentlich auf die Abwehr kommunistischer Gewalttaten beschränkt. Was die Bremer nun machen, ist, in mehreren Aufsätzen in der kriminologischen Fachpresse zu begründen, warum die Zuhälter als Gefahr für die Volksgemeinschaft gelten sollen. Das ist der Kniff.
Weil ich dann jeden, der mir nicht passt, als gefährlich definieren kann?
Genau. Das kann man in den Erlassen und Rundschreiben auch zeigen, die dann ab 1937 ergehen: Das geht bis hin zur Ahndung von Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung durch Vorbeugungshaft, da gibt es einen Himmler-Erlass. Diese Ausweitung erfolgt dank der Begründung, die Parey und von Dorpowski liefern: dass es sich um „Schädlinge an der Volksgemeinschaft“ handele. Die staatsfeindliche Betätigung, die in der Reichstagsbrandverordnung Voraussetzung für die Schutzhaft ist, wird zum Sonderfall der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung umgedeutet, dem eine Gefährdung durch Verbrecher gleichzusetzen sei.
Ist dieser Kampf gegen Prostitution Bremen-spezifisch oder gibt es das in anderen Hafenstädten auch?
In der zeitgenössischen Wahrnehmung haben die Hafenstädte ein besonderes Problem mit Prostitution. Das war ein Horizont, vor dem man gehandelt hat. Und tatsächlich kann man ein ähnlich scharfes Vorgehen gegen das Rotlicht-Milieu in Hamburg beobachten, auch zeitlich sehr früh, noch bevor es reichsweite Regelungen dafür gab.
Und nach 1945 hat Herr Parey weiter Karriere gemacht?
Das hat er. Er wird in Stade Landgerichtspräsident und erhält ein Bundesverdienstkreuz. Das hängt damit zusammen, dass die vorbeugende Verbrechensbekämpfung, die Verfolgung von Berufsverbrechern und sogenannten Asozialen, eben nicht als nationalsozialistisches Unrecht anerkannt worden ist. Man hat sie als Polizeiarbeit mit etwas anderen Mitteln dargestellt. Man sieht da keinen Bruch – und bezieht sich auch positiv auf sie.
Werden die Betroffenen denn heute als Opfer wahrgenommen und wird an sie erinnert?
Wahrgenommen? Das möchte ich bezweifeln, auch wenn nach einem langen Hin und Her auf Initiative von Frank Nonnenmacher, Dagmar Lieske, Andreas Kranebitter, Sylvia Köchl und mir der Bundestag im Februar die sogenannten Asozialen und Berufsverbrecher als NS-Opfer anerkannt hat.
Warum war das so schwierig?
Die Kontinuitäten der Ausgrenzung funktionierten auf verschiedenen Ebenen: im kriminologischen Denken, in den Institutionen von Polizei und Justiz, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene, bis hinein in die Geschichtswissenschaft. Menschen, die im Nationalsozialismus als soziale Randgruppen verfolgt worden sind, zählten nach 1945 nicht plötzlich zu den ehrbaren Bürgern. Sie lebten weiterhin am Rande der Gesellschaft – und die Angehörigen leiden noch heute unter der Verfolgung ihrer Vorfahren. Diese Stigmatisierung der Eltern oder Großeltern ist für viele immer spürbar geblieben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!