Forscherin über Klima-Kommunikation: „Veränderung ist ansteckend“
Katharine Hayhoe ist Klimaforscherin, evangelikale Christin und Social-Media-Star. Im Interview verrät sie Tricks für Gespräche über die Klimakrise.
wochentaz: Frau Hayhoe, Sie leben im konservativen Texas und sind evangelikale Christin, gehören also zu einer der Gruppen in den USA, die am häufigsten den Klimawandel leugnet. Was haben Sie in Ihren Gesprächen mit Klimaleugnern gelernt?
Katharine Hayhoe: Als ich Mitte zwanzig war, bin ich in die USA gezogen und bin dort zum ersten Mal Menschen begegnet, die sich Christen nennen und nicht an den menschengemachten Klimawandel glauben. Für mich war das merkwürdig. In Kanada galt immer: Das Gras ist grün, der Himmel ist blau und die Menschen heizen den Planeten auf. Mich hat dieser Unterschied neugierig gemacht. Ich habe angefangen, Fragen zu stellen.
Wie haben die Menschen ihre Einstellung erklärt?
Da kamen viele wissenschaftlich oder religiös klingende Einwände. Es sei doch natürlich, dass sich die Erde durch die Sonne erwärme. Oder Gott sei letztendlich für alles verantwortlich und die Welt werde sowieso enden, also sei es egal, was wir Menschen machen.
Ganz schön fatalistisch.
Genau. Dabei heißt es in Genesis, dem ersten Buch des alten Testaments, dass wir Menschen die Verantwortung für jedes Lebewesen auf dieser Erde tragen. Das Interessante ist: Aufgeben im Angesicht von Weltuntergangsfantasien, das gab es auch schon vor 2.000 Jahren, als das Neue Testament geschrieben wurde. Die Ausreden sind also nicht neu. Und etwas vereinfacht ausgedrückt antwortete der Apostel Paulus diesen Menschen: Sucht euch einen Job! Eure Familien und die Gemeinschaft brauchen euch.
Die Wissenschaftlerin
Katharine Hayhoe, 51, ist Atmosphärenforscherin an der Technischen Universität Texas und leitende Wissenschaftlerin bei der NGO The Nature Conservancy. Sie hat als Autorin an drei nationalen Klimagutachten der USA mitgewirkt, mehr als 125 wissenschaftliche Arbeiten verfasst und vier Ehrendoktorwürden erhalten.
Die Frau
Als Botschafterin der World Evangelical Alliance setzt sich Hayhoe für christlich motivierten Klimaschutz ein. Sie lebt mit ihrem Mann, dem evangelikalen Pastor Andrew Farley, und ihrem Sohn in Texas.
Wenn es keine religiösen Gründe sind, warum sind evangelikale Christen dem Klimawandel gegenüber dann so skeptisch eingestellt?
Das Wort evangelikal ist in den USA mittlerweile zum Synonym für politisch konservativ, republikanisch geworden. Eigentlich bedeutet evangelikal schlicht, den eigenen Glauben auf die Bibel zu stützen. Das Verrückte ist: 40 Prozent derjenigen, die sich selbst evangelikale Christen nennen, gehen nur einmal im Jahr oder gar nicht in die Kirche. Sie bekommen ihre Informationen vor allem aus konservativen Medien wie Fox News, die stark polarisieren. Studien zeigen immer wieder, dass die Sicht von Menschen auf den Klimawandel viel stärker von Ideologie und politischer Orientierung bestimmt wird als von Bildung oder Wissen.
Am Ende geht es also nur um Politik? Ist das nicht etwas zu einfach?
Natürlich stecken dahinter komplexere Prozesse. Auf psychologischer Ebene sprechen wir in dem Bereich von „Solution Aversion“. Eine Abneigung gegenüber den Lösungen. Viele Menschen denken, dass die einzigen Möglichkeiten, den Klimawandel zu bekämpfen, schmerzhaft und unangenehm sind. Die Zerstörung der Wirtschaft. Die Aufgabe des eigenen Autos, der eigenen Freiheit. Oder Abtreibung – wirklich, das habe ich schon oft gehört.
Auch in Deutschland assoziieren viele Menschen Klimaschutz mit Verbot und Verlust. Was kann man dem entgegensetzen?
Wir müssen uns viel aktiver vorstellen, wie gut eine Welt wäre, in der wir aktiv etwas gegen die Klimakrise unternehmen. Eine Welt, in der Luftverschmutzung nicht jedes Jahr Millionen von Menschen tötet. In der alle Menschen Zugang zu sauberem Wasser haben. In der sie keine Angst vor Naturkatastrophen haben müssen. Deshalb brauchen wir in der Klimabewegung nicht nur Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten, sondern auch Künstler und Kreative. Wir müssen verstehen, dass der Klimawandel zwischen uns und dieser besseren Welt steht.
Aktivist:innen der Letzten Generation kleben sich für mehr Klimaschutz auf Straßen. Als Profi für Klimakommunikation: Ist das eine effektive Art, den Klimawandel anzusprechen?
Wir brauchen verschiedene Aktivismusformen. Mit den Methoden der Letzten Generation sind natürlich nicht alle einverstanden. Aber ich glaube, ihr Protest bewirkt etwas.
Was genau?
Ziviler Ungehorsam kann den öffentlichen Diskurs beeinflussen. Kartoffelbrei auf die Schutzscheibe eines Monets zu werfen bringt mehr Aufmerksamkeit, als eine wissenschaftliche Studie zu veröffentlichen. Wie viel Protest insgesamt bewirken kann, zeigen die Daten des Yale Program on Climate Communication: In Schweden und Deutschland wird mehr über das Klima gesprochen als in allen anderen Ländern. Für mich hängt das eindeutig damit zusammen, dass hier viele junge Menschen ihre Stimme erhoben haben.
Die Aktionen der Letzten Generation stoßen aber oft auf Unverständnis und Wut. Ist das nicht kontraproduktiv?
Jetzt kommen wir zu den Schwachstellen dieser Strategie. So wie viele Nachrichten und Gespräche über den Klimawandel wecken auch die Aktionen der Letzten Generation negative Emotionen in uns. Wut. Angst. Hilflosigkeit. Unangenehme Gefühle, denen wir lieber aus dem Weg gehen. Deshalb sprechen wir mit Freunden und Familie bis heute zu selten über das Klima.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Aber braucht es diese Angst nicht, damit wir den Klimawandel endlich ernst nehmen, endlich handeln?
Nachdem New York diesen Sommer von den Waldbränden in Kanada in orangefarbenen Rauch getaucht wurde, haben viele Menschen gesagt: Wenn das uns nicht zum Umsteuern bringt, dann wird nichts uns zum Umsteuern bringen. Und haben wir diesen Sommer eine große Veränderung in der Klimapolitik gesehen? Nein. Ich glaube nicht, dass noch mehr schlechte Nachrichten uns dabei helfen werden, in der Klimakrise entschlossener zu handeln.
Warum nicht?
In der Klimakrise lähmt und paralysiert uns Angst mehr, als dass sie uns aktiviert. Es gibt da ein Missverständnis: Viele von uns lesen in den Nachrichten von der Klimakrise, aber hören um sich herum kaum jemanden darüber sprechen. Deshalb denken wir, dass nur wir uns Sorgen machen, während der Großteil der Gesellschaft unbeschwert weiterlebt. In Wahrheit macht sich aber ein riesiger Teil der Bevölkerung Sorgen wegen des Klimawandels.
In Deutschland waren es 2021 laut einer Studie von More in Common 80 Prozent der Bevölkerung.
In den USA sind es rund 70 Prozent. Gleichzeitig fühlen sich 50 Prozent der Menschen bei dem Thema hilflos und nur 8 Prozent wirklich aktiviert. Unser Problem ist nicht der kleine Teil der Bevölkerung, der den Klimawandel leugnet, sondern der große Teil der Bevölkerung, der sich Sorgen macht, aber noch nicht aktiv handelt.
Wie müssen wir denn kommunizieren, um Menschen wirklich zum Handeln anzuregen?
Das habe ich mir die letzten zehn Jahre angeschaut. Als Erstes müssen wir unseren Kopf mit unserem Herzen verbinden.
Wie bitte?
In unserem Kopf sind all die Fakten, das Wissen. Aber oft ist das Wissen isoliert von dem, was uns wirklich wichtig ist. Wir müssen die Fakten mit den Orten und Menschen verbinden, die uns wichtig sind. Als Mutter sind mir meine Kinder wichtig, als Wintersportlerin die schneebedeckten Berge, als Christin ist es eine gerechte Welt. Wir müssen herausfinden, was unserem Gegenüber wichtig ist. Jede Person ist schon jetzt die perfekte Person, um sich gegen die Klimakrise zu engagieren. Sie weiß es nur noch nicht.
Und dann? Nur weil man sich Sorgen ums Klima macht, ist es ja noch nicht gerettet, oder?
Sorge allein reicht natürlich nicht. Wenn die Menschen nicht wissen, was sie selbst tun können, dann wird nichts passieren. Also müssen wir unsere Herzen auch mit unseren Händen verbinden. Wir müssen zeigen, was man tun kann. Und das ist oft viel mehr, als wir denken.
Sie haben in den USA die Gruppe Science Mums gegründet – warum?
Mütter machen sich natürlicherweise Sorgen um ihre Kinder. Und dementsprechend auch über die Welt, in der ihre Kinder aufwachsen werden. Also haben wir gemeinsam mit einer Non-Profit-Marketingfirma eine 10-Millionen-Dollar-Kampagne gestartet, die Eltern bei der Sorge um die Zukunft ihrer Kinder abholt und ihnen Wege zeigt, sich zu engagieren. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage: Wir müssen unseren Kopf mit unserem Herzen verbinden.
Ich fühle mich oft wie ein Spielverderber, wenn ich mit Freund:innen über die Klimakrise spreche. Wie kann ich das Thema konstruktiv ansprechen?
Wenn wir die Risiken der Klimakrise aufbringen, fühlt sich das für viele Menschen direkt nach einer Verurteilung an. Wenn mir jemand sagt, dass ich etwas falsch mache, dann habe ich keine Lust, das zu verändern. Um Veränderung anzustoßen, müssen wir stattdessen über smarte Lösungen sprechen. Lösungen, mit denen man eine authentischere Version seiner selbst werden kann. Also zum Beispiel ein noch besserer Vater, eine noch besserer Unternehmerin oder ein noch besserer Fußballfan.
Und wie sieht das dann aus?
Eine meiner Lieblingsanekdoten zu dem Thema kommt von einem befreundeten australischen Wissenschaftler, John Cook. Sein Vater ist ein eingefleischter Konservativer. Jahrelang hat sich John mit ihm über den Klimawandel gestritten. Er hat sogar eine Website erstellt, Skeptical Science, in der er die klimaleugnerischen Argumente seines Vaters auseinandergenommen hat.
Verrückt. Hat das geholfen?
Gar nicht. Bis John seinem Vater eine neue Initiative der Regierung gezeigt hat, mit der er vergünstigte Solarpaneele kaufen und den Strom dann verkaufen konnte. Plötzlich schickte Johns Vater ihm jeden Monat die Abrechnung seiner Solarpaneele und rechnete ihm vor, wie viel Gewinn er gemacht hatte. Und zwei Jahre später sagte er zu John, der Klimawandel sei ja echt ein ernstes Problem, er habe das ja schon immer gedacht. John konnte es gar nicht fassen.
Was hat Johns Vater am Ende überzeugt?
Ihm zu zeigen, dass er Teil der Lösung sein kann. Dass er ein Held sein kann anstatt nur ein Bösewicht. Wir müssen Menschen dabei helfen, sich als Teil einer besseren Zukunft zu sehen. Man kann sich auf viele verschiedene Weisen engagieren, man muss sich nicht auf die Straße kleben.
Die Frage
Was können wir persönlich gegen die Klimakrise tun? Katharine Hayhoe und 30 weitere Wissenschaftler:innen versuchen, diese Frage systematisch zu beantworten. Ihr Projekt entstand im Zuge des Films „Don’t Look Up“. Darin entdecken Astronom:innen, dass ein Asteroid auf die Erde zurast, können die Weltöffentlichkeit aber nicht von der Dringlichkeit des Handelns überzeugen: eine Parabel auf die Klimakrise. Die von Hayhoe und den Kolleg:innen entwickelte Aktionsplattform findet sich unter: dontlookup.count-us-in.com.
Die Antworten
Die Forscher:innen erklären sechs Wege möglichst effektiven Engagements, die nicht nur auf den individuellen CO2-Fußabdruck zielen. Die Vorschläge sind: 1. Darüber sprechen. 2. Einer Klimaaktionsgruppe beitreten. 3. Geld nachhaltig anlegen. 4. Sich an die Politik wenden. 5. Ideen am Arbeitsplatz und in der Schule einbringen. 6. Titelseiten zum Klima fordern. Zu jedem Bereich gibt es wissenschaftliche Belege.
Aber individuelle Konsumumstellungen, wie die von Cooks Vater, reichen doch nicht aus, um die Klimakrise zu bekämpfen?
Wenn ich gefragt werde, was wir brauchen, individuelle Veränderungen oder systemischen Wandel, dann sage ich: Ja. Systeme bestehen aus Menschen. Und individuelle Veränderung ist ansteckend. Solarpaneele sind das beste Beispiele. Wenn eine Person in einem Viertel Solarpaneele installiert, machen die Nachbarn das oft nach. Sie wissen dann, dass jemand mit ähnlichem Einkommen in einer ähnlichen Lage es geschafft hat. Und sie es dementsprechend auch machen können. Wir müssen über die Dinge, die wir tun, sprechen. Nur so erreichen wir mehr Menschen damit.
Das Frustrierende an Zeitungsartikeln zur Klimakrise ist ja oft, dass man nach der Lektüre weiterblättert und sich nichts ändert. Wenn die Leser:in nach diesem Interview 15 Minuten Zeit hätte: Was würden Sie ihr empfehlen zu tun?
Ich würde mir jetzt drei Fragen stellen. Was ist mir wichtig? Welche Auswirkungen hat die Klimakrise darauf? Und welche Lösungen gibt es dafür? Dann bin ich gut vorbereitet, um auf der Arbeit, in der Schule oder im Verein mit anderen Menschen zu sprechen, mich zusammenzutun und etwas zu bewegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen