piwik no script img

Forscher über Blockchains„Maschine bestellt Wartung selbst“

Blockchains gelten als Ökokatastrophe. Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut sagt, warum das so nicht stimmt und welche Chancen die Technik bietet.

In der thailändischen Hauptstadt Bangkok wird Solarstrom mit Hilfe von Blockchains lokal verkauft Foto: Diego Azubel/epa
Interview von Svenja Bergt

taz: Blockchains sind vor allem durch die Kryptowährung Bitcoin bekannt. Deren Strombedarf wird häufig mit dem von Ländern wie Argentinien oder den Niederlanden verglichen. Sie sagen: Blockchains gehen auch nachhaltig. Wie?

Stephan Ramesohl: Erst mal muss man dafür verstehen, was Blockchains eigentlich tun. Und zwar: Sie verketten Blöcke von Informationen so, dass sie nicht mehr nachträglich manipuliert werden können.

Im Fall von Bitcoin sind das die Transaktionen.

Genau. Die Frage ist also: Wie bekommt man diese Manipulations­sicherheit hin? Bei Bitcoin, also dem Urvater der Blockchains, ist das mit Rechenrätseln gelöst. Die sind so kompliziert und erzeugen einen so hohen Rechenaufwand, dass es in der Praxis nicht möglich ist, die Blockchain zu manipulieren.

Mit dem Nachteil, dass der Rechenaufwand den Stromverbrauch hochtreibt.

Ja. Allerdings ist Bitcoin die älteste Blockchain-Technologie. Mittlerweile gibt es Blockchains in der dritten oder vierten Generation. Und die funktionieren nicht mehr mit diesen komplizierten Rechenrätseln, sondern haben andere Wege des Manipulationsschutzes. Da gibt es unterschiedliche Konzepte, die aber eines gemeinsam haben: Der Energieverbrauch ist deutlich geringer.

Um welche Dimension?

Exakt lässt sich das nicht beziffern, aber die Zahlen, die wir haben, lassen darauf schließen, dass der Energieverbrauch fast um den Faktor 100 sinkt. Das ist schon ordentlich. Und es gibt noch zwei weitere Vorteile. Erstes: Man braucht für diese neueren Blockchain-Generationen nicht mehr die hochspezialisierte Hardware, die für das Erzeugen von Bitcoins notwendig ist. Da ist momentan das Problem, dass diese Hardware­komponenten wie Chips oder Grafikkarten sehr schnell überholt sind und dann Elektroschrott werden. Die neuen Blockchain-Generationen laufen dagegen auf ganz normalen Rechnern. Und zweitens: Sie sind deutlich schneller.

Wenn es diese neuen Konzepte gibt – warum ist Bitcoin dann immer noch ein Strom- und Hard­warefresser?

Das Problem ist: Man kann eine etablierte Blockchain wie Bitcoin nur schwer oder gar nicht umstellen. Die Blockchain Ethereum, die das gleiche Prinzip nutzt wie Bitcoin, arbeitet schon seit Jahren daran, bislang ohne Erfolg.

Das heißt, Bitcoin wird ein Stromfresser bleiben?

Ja, aber wir haben die Chancen, neue Anwendungen vom Start weg effizienter hinzukriegen. Und man sieht auch schon, dass neue Blockchains in den letzten Jahren vorwiegend auf neueren Technologien aufgesetzt werden. Das ist deshalb wichtig, weil die Nutzung von Blockchains in den kommenden Jahren immer weiter zunehmen wird.

Jetzt ist Blockchain auch so ein Buzzword. Es lassen sich Anwendungen mitunter besser verkaufen, wenn man was mit Blockchain reinpackt.

Das stimmt. Deshalb sollte die erste Frage immer sein: Brauche ich für das, was ich machen will, tatsächlich eine Blockchain? Oder reicht da nicht auch eine ganz normale Datenbank? Im Zweifel ist keine Blockchain besser als eine Blockchain.

Im Interview: Stephan Ramesohl

55, ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Digitale Transforma­tion in der Abteilung Kreislauf­wirtschaft am Wuppertal Institut.

Wann ergibt eine Blockchain Sinn?

Dann, wenn ich keine zentrale Instanz habe, der ich vertraue. Zum Beispiel: Bei Banküberweisungen oder Kreditkartenzahlungen haben wir die Banken und Finanzunternehmen, denen wir in dieser Hinsicht vertrauen, daher brauchen wir da keine Blockchain. Bei dezentralen Kryptowährungen gibt es aber diese zentralen vertrauenswürdigen Instanzen nicht, daher ist eine Blockchain hier sinnvoll eingesetzt.

Wie können Blockchains etwas tun für eine nachhaltigere Welt?

Da gibt es fünf Anwendungsbereiche. Erstens: Zahlungen. Und zwar nicht im Sinne von Kryptowährungen, sondern wenn es darum geht, ökologische Werte global handelbar zu machen. Das kann der Emissionshandel sein oder der Schutz der Mangrovenwälder. Das heißt, es ist ähnlich wie der Bitcoin eine Währung, aber eben eine Währung von ökologischen Leistungen.

Zweiter Bereich: Lieferketten. Da gibt es eine Reihe von offensichtlichen Anwendungsfällen, wie ökologisch und fair angebauter Kakao, Hölzer, andere landwirtschaftliche Produkte oder Kleidung in globalen Lieferketten, wo ich bestimmte soziale und ökologische Standards dokumentieren will. Das lässt sich sehr gut über Blockchains regeln. Der dritte Bereich sind dezentrale Transaktionen, wo ich automatisierte Handelssysteme ohne einen zentralen Akteur habe, der über alle Transaktionen Buch führt und die Korrektheit sicherstellt.

Zum Beispiel?

Etwa die Einspeisung von erneuerbaren Energien.

Das geht ja auch heute schon ohne Blockchain.

Ja, aber wir sprechen hier über Peer-to-peer-Handel. Also: Meine Solaranlage erwirtschaftet einen Stromüberschuss und den verkaufe ich Ihnen für Ihr Elektroauto. Wir kommen also ohne die zentrale Instanz – den Netzbetreiber oder Energieversorger – aus.

Und das passiert dann automatisch?

Das wäre dann sogar der vierte Bereich, wenn unsere Geräte das selbstständig miteinander aushandeln. Der reine Handel wäre dabei auch ohne Blockchain möglich. Aber die Blockchain brauchen wir, wenn wir nachher wissen wollen, welche Geräte da eigentlich was miteinander vereinbart haben. Und fünfter Bereich: die Dokumentation und Verifikation von Dokumenten. Zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit, bei Ausbildungen oder Zeugnissen. Wenn also mein Ausbildungsnachweis so in der Blockchain hinterlegt ist, dass ich, wenn ich migriere, nicht darauf angewiesen bin, dass irgendeine Behörde mir ein Stück Papier ausstellt.

Dass mein Elektroauto und Ihre Solaranlage miteinander verhandeln, klingt noch sehr nach Zukunftsmusik. Wann rechnen Sie mit tatsächlichen Anwendungen?

Bevor unsere privaten Gegenstände das tun, wird es mit Sicherheit noch was dauern. Aber das Prinzip sehen wir schon bei Industrieanlagen, die ihre Wartung selbst bestellen. Die Maschine registriert, dass sie einen Ölwechsel braucht, und bestellt diesen. Die Blockchain brauche ich, damit hinterher alle Beteiligten – Fabrikinhaber und Service-Dienstleister – das Gleiche dokumentiert haben.

Bei Lieferketten gibt es den Moment, wo eine Ware beispielsweise als ökologisch zertifiziert werden muss. Dieses Zertifikat landet dann in der Blockhain – auch wenn es möglicherweise gefälscht ist. Einen Schutz davor bietet die Technik nicht.

Absolut. Das ist aber bei jeder Art der Dokumentation der Fall. Die Blockchain kann etwa auch dokumentieren, dass der Sensor eines Kühlcontainers alle zehn Minuten zuverlässig gemeldet hat: –10 Grad. Was die Blockchain natürlich nicht sicherstellen kann: ob diese –10 Grad für den gesamten Container gegolten haben oder ob der Sensor in einer Kältekiste war und der Rest stand in der Sonne. Aber: die Digitalisierung hilft da an anderer Stelle weiter, nämlich durch die Kombination von Methoden und Datenanalysen. Man kann zusätzlich filmen oder Fotos auswerten. Betrug wird dann immer schwieriger.

All das sind zusätzliche Anwendungen, die wieder Strom brauchen und Elektroschrott produzieren …

Natürlich hat die Digitalisierung Umweltauswirkungen. Daher müssen wir sie konsequent nachhaltig gestalten. Das beginnt bei den Lebenszyklen von Smartphones und ist bei der ganzen datengetriebenen und damit energieintensiven Plattformökonomie noch lange nicht zu Ende. Da gibt es noch viele ungelöste Fragen.

Die digitalen Fabriken sind Schlüsselindustrien wie die Kohleminen und Stahlwerke des 19. und die Chemieanlagen des 20. Jahrhunderts. Und wie wir jedes Abwasserrohr der chemischen Industrie mit Sensoren ausstatten, müssen wir auch die digitale Welt besser verstehen und vermessen. Aber klar ist: Wir brauchen die Digitalisierung, um Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu erreichen.

Inwiefern?

Der Aufbau eines klimaschonenden und CO2-freien erneuerbaren Energiesystems braucht Digitalisierung. Wenn wir Informationen über Kreislaufwirtschaft über die gesamte Wertschöpfungskette mitführen und nutzen wollen, brauchen wir Digitalisierung. Wenn wir Verkehrssysteme und vor allen Dingen im Umweltverbund klimaschonende Alternativen zur Nutzung des privaten Pkw organisieren wollen, brauchen wir Digitalisierung.

Das ist vielleicht das beste Beispiel: Nur durch Digitalisierung werden Menschen mit ein paar Klicks eine Fahrkarte von Flensburg ins Allgäu buchen können und das E-Bike in Oberstdorf gleich mit. Die reale Alternative ist: Einsteigen und mit dem Auto die A 7 runter. Wir kriegen uns also, platt gesagt, nur durch Digitalisierung aus unseren Autos raus.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Für den Moment gilt mal, daß der Bitcoin ein Spielzeug einer priviligierten Kaste und in keinem Fall nachhaltig ist. Es verhält sich tatsächlich ähnlich wie bei Gold, und genau das ist keine gute Nachricht:

    Der Goldpreis ist gemessen an den verarbeiteten Reserven irrational hoch, weil es das sich selbst bewahrheitende Gerücht von Gold als Wertspeicher gibt. Aus irgendeinem Grund hat man das für Silber nicht entschieden. Das hat Konsequenzen: je teurer der Goldkurs ist, desto teurere (und umweltschädlichere) Verfahren zu seiner Gewinnung sind rentabel und werden angewandt. Silber, das viel billiger ist, wird nicht mit so teuren Verfahren abgebaut und im Ergebnis ist abgebautes Silber WENIGER verfügbar als abgebautes Gold. Man sieht, nicht die Abbaukosten bestimmen den Preis sondern umgekehrt der Marktwert bestimmt die (maximalen) Abbaukosten.

    Für den Bitcoin ist die Analogie des Minings auch wahr: je teurer der Preis des Bitcoins, desto mehr Geld/Energie kann und wird man auch in das Mining stecken um dabei Gewinn zu erwirtschaften. Also gibt es für den Bitcoin zwei mögliche Zukünfte: (1) er wird immer teurer und entsprechend frißt er alle unsere verfügbare Energie auf und führt natürlich dazu, daß Energie immer teurer wird und die Weltwirtschaft gezwungen wird, das Mining zu verbieten. Es würde dann möglicherweise einen Schwarzmarkt geben. Oder (2), der Bitcoin wird nicht immer teurer und irgendwann ist Mining nicht mehr rentabel und die Sicherheit, welche auf einer Vielzahl unabhängiger Mining-Instanzen beruht verschwindet, bis es kein Vertrauen mehr in diese « Währung » gibt und sie wertlos wird.

    Tatsächlich ist bereits eine große Konzentration in sogenannten Mining-Pools gegeben. Das Verbieten des Minings in Ländern, welche die Energie subventionieren, führt dann eher auch noch zu mehr Konzentration.

    M.E. ist der Bitcoin ein gescheitertes Projekt, aber wie eine Blase wird er von denen, die viel investiert haben, möglichst lange am Leben gehalten.

  • Da werde ich hellhörig:



    Wartung und Bezahlung nicht mehr nach Wartungszyklen, sondern nur, wenn es unbedingt sein muss! Wir kennen das:

    - S-Bahn Berlin zum Beispiel (zur Finanzierung des geplanten Börsengangs der DB wurden die Werkstätten geschlossen; zahlreiche Züge fielen über Jahre aus)



    - Beispiel: Fallpauschalen zur Privatisierung des Gesundheitswesens (medizinische "Reparatur", wenn es sein muss, zum Festpreis / aber die "Wartung" durch die Pflege wird soweit verkürzt und verbilligt wie irgend möglich)

    Der Staat soll also durch einen Roboter ersetzt werden (um Zertifikate z. B. Ausbildungsnachweise auszustellen, "Echtheit"/Governance zu garantieren), d. h. der Staat wird durch parastaatliche und oligarchische Akteure wie Konzerne oder Mafias ersetzt.

    Das Geschäftsmodell der Konzerne besteht im stetigen Kostensparen, also Qualitätsverschlechterung bei gleichzeitiger Absicherung ("risk management") vor dem Zusammenbruch ihrer Dienste und Produkte. Genau da wird die Blockchain für sie interessant: Wartung nur noch, wenn es unbedingt sein muss.

    Eine Blockchain-überwachte Armutswirtschaft ist ok, menschenunwürdiges Leben ist ok, solange die Rendite stimmt - aber Todesfälle sind schlecht fürs Geschäft.

  • Interessanter Artikel - allerdings ist die Headline in der Hinsicht irreführend, dass für die "selbstbestellende Waschmaschine" ganz andere Mechanismen gnutzt werden und grade keine Blockchain.

    Und BTW: Betrug wird schwieriger.



    Aber nicht nur schwieriger durchzuführen sondern ebenso schwieriger zu erkennen und schwieriger zu beweisen.

  • Und wider so viel Unverständnis darüber, was eine Blockchain ist.

    Eine Blockchain ist erstmal nur eine kryptographisch sichere append-only Datenstruktur (genaugenommen ein degenerierter Merkle Tree) und ein Konsensmechanismus. Alle Möglichkeiten den Konsens aller Beteiligten in einem zero-Trust system sicherzustellen basieren darauf, dass es eine bestimmte knappe Ressource gibt, von der keine teilnehmende Partei mehr als 50% besitzt. Im Falle von Bitcoin ist das Rechenleistung, andere benutzen zB Storagekapazität, ist aber am Ende auch egal was genau. In allen Fällen führt dies dazu, dass das größte Insensitive darin liegt so viel dieser Ressource zu akkumulieren wie möglich. Die Folge dessen ist ein Armsrace das gewaltige Mengen Energie und Hardware frisst.

    Schwarzgeld und Spekulationshypes sind so ziemlich die einzigen fälle, wo ein solches Spieltheoretisches Modell anwendbar ist. Und das sind keine Bereiche die wir irgendwie verbessern müssten.

    All die Probleme die hier angesprochen werden bedarfen keinen verteilten Konsensmechanismus und ließen sich entweder mit den selben Kryptosystemen lösen, die seit Jahrzehnten überall verwendung finden oder lassen sich schlicht nicht kryptographisch lösen. Klar sind Merkle Trees cool und in der Informatik benutzen wir sowas an zig Stellen, da ist auch nichts neues oder innovatives dran.

    Dazu kommt, dass es in der Praxis noch nie eine gute Idee war, Systeme zu bauen, in denen Daten im Nachhinein nicht korrigierbar sind. Alleine schon aus Haftungsgründen.

    In dem Bereich werden, wie leider so oft, seit Jahrzehnten gelöste Probleme als ‚neue Herausforderungen‘ gelabelt um Leuten teures Schlangenöl zu verkaufen und den Geldfluss in die laufenden Pyramidensysteme zu sichern.

    Und bevor jetzt wider irgendwer ausflippt, ja ich hab das sogar mal studiert und mich lange sowohl mit Kryptosystemen als auch dezentralen Protokollen beschäftigt.

    • @Notyourgirl:

      Blockchain-Voodoo, jetzt auch in der TAZ. Kann sich noch jemand an die vollmundige Ankündigung eines digitalen Impfausweise mit gleich fünf(!) Blockchains erinnern?

    • @Notyourgirl:

      +1

    • @Notyourgirl:

      made my day