Forscher Aden über Polizeibeauftragte: „Aktiv auf Polizeiopfer zugehen“
Die Ampelkoalition will einen Polizeibeauftragten auf Bundesebene einsetzen. In den Ländern laufe noch viel schief, sagt Polizeiforscher Hartmut Aden.
taz: Herr Aden, warum brauchen wir überhaupt unabhängige Polizeibeauftragte?
Hartmut Aden: Viele Menschen trauen sich nicht, Übergriffe und anderes Fehlverhalten von Polizist:innen anzuzeigen. Sie befürchten, dass die Polizei Vorwürfe gegen Kolleg:innen nicht unabhängig untersuchen wird. Wenn es dennoch zu Ermittlungsverfahren gegen Polizist:innen kommt, werden diese von der Staatsanwaltschaft fast immer eingestellt.
Und nun sollen stattdessen unabhängige Polizeibeauftragte in solchen Fälle ermitteln?
lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und forscht seit Jahrzehnten zu Polizeiarbeit.
Für die straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen Polizist:innen bleibt in Deutschland die Polizei selbst zuständig. Die Polizeibeauftragten können aber untersuchen, ob sich hinter den Vorwürfen strukturelle Probleme verbergen.
Wie könnten solche strukturellen Probleme aussehen?
Wenn es immer wieder zu ähnlichem Fehlverhalten kommt, könnte dies an einer unzureichenden Ausbildung liegen oder an einer problematischen Gesetzes- oder Weisungslage – oder daran, dass ein Fehlverhalten von den Vorgesetzten systematisch gedeckt wird.
Können Polizeibeauftragte in solchen Fällen parallel zur Polizei ermitteln?
In den meisten Bundesländern müssen die Polizeibeauftragten warten, bis die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren abgeschlossen hat. Das kann ein bis zwei Jahre dauern. Danach sind die Betroffenen aber oft demotiviert, den Fall noch einmal aufzurollen. Auch können sich Beteiligte oft nicht mehr genau an den Vorfall erinnern. Daher ist es gut, dass im geplanten Bundesgesetz grundsätzlich parallele Ermittlungen vorgesehen sind.
Haben Polizeibeauftragte überhaupt die nötigen Befugnisse?
In den Bundesländern sind die Befugnisse oft unzureichend. So kann die Polizeibeauftragte von Rheinland-Pfalz nur das Landes-Innenministerium um Stellungnahme bitten, aber nicht selbst ermitteln. In vielen Fällen kann sie nur versuchen, den Beschwerdeführer:innen das Handeln der Polizei zu erklären. So macht die Polizeibeauftragte letztlich Öffentlichkeitsarbeit für die Polizei.
Das ist im Bund zum Glück nicht zu befürchten. Der Bundesbeauftragte soll zum Beispiel selbst in die Akten der Polizei schauen können. Das geplante Bundesgesetz wird in dieser Hinsicht hoffentlich besser als die meisten Landesregelungen.
Wie viele Mitarbeiter:innen braucht der Bundes-Polizeibeauftragte?
Vermutlich wird man mit 10 bis 20 Mitarbeiter:innen anfangen und abwarten, wie viele Beschwerden kommen.
In den Ländern gibt es bisher relativ wenig Beschwerden von mutmaßlichen Polizeiopfern…
Stimmt. Das führt dann dazu, dass manche Polizeibeauftragte glauben, es gebe zum Beispiel keine strukturellen Probleme mit Rassismus bei der Polizei. Es ist aber eher umgekehrt: Die Polizeibeauftragten müssen auch aktiv auf potenzielle Betroffene zugehen, also zum Beispiel auf Migrant:innen, Drogenabhängige und Obdachlose. Die Beauftragten müssen sich und die Beschwerdemöglichkeit bekannt machen, auch in anderen Sprachen. Sonst beschweren sich immer nur Angehörige der weißen Mittelschicht, die wissen wie man eine Beschwerde schreibt.
Sollen Polizeibeauftragte auf einvernehmliche Lösungen hinwirken?
Das macht Sinn, wenn es um schlechte Kommunikation, Unhöflichkeit und mangelnden Respekt geht. Hier kann eine Aussprache und eine Entschuldigung der Polizei den Konflikt beenden. Solche Vorwürfe machen in den Bundesländern oft sogar die größte Gruppe der Beschwerden aus. Wenn es aber um illegales Verhalten der Polizei geht, müssen Polizeibeauftragte nicht vermitteln, sondern unabhängig untersuchen.
Ist Fehlverhalten der Polizei wirklich so häufig, dass dafür unabhängige Beauftragte installiert werden müssen?
In der Regel macht die Polizei gute Arbeit in schwierigen Situationen. Ihre Ausbildung wird auch immer besser. Wie häufig es dabei zu Fehlverhalten kommt, wissen wir nicht, denn das Dunkelfeld ist sehr groß, wie die regelmäßigen Berichte über Vorfälle vermuten lassen.
Auch Polizist:innen können sich bei den Polizeibeauftragten beschweren. Wie oft kommt das vor?
Erstaunlich häufig. In den Bundesländern stammt fast die Hälfte der Beschwerden von Polizeibeamt:innen, die sich zum Beispiel beschweren, weil sie nicht befördert wurden. Hier kümmern sich Polizeibeauftragte um die Sorgen der Polizist:innen ähnlich wie sich die Wehrbeauftragte des Bundestags um die Sorgen der Soldat:innen kümmert. Deshalb sind inzwischen auch einige Polizeigewerkschaften nicht mehr generell gegen Polizeibeauftragte.
Wie häufig weisen Polizist:innen als Whistleblower:innen auf Missstände hin, die nicht sie selbst betreffen?
Dass ein Polizist zum Beispiel auf Übergriffe von Kolleg:innen oder rechtsextreme Chatgruppen hinweist, ist die ganz große Ausnahme.
Der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch soll erster Bundes-Polizeibeauftragter werden. Er war früher selbst Polizist. Ist das gut?
Das hat sicher gewisse Vorteile, weil er Insiderkenntnisse hat und weil er von der Polizei vermutlich besser akzeptiert wird. Problematisch wäre, wenn er nach seiner Amtszeit als Polizeibeauftragter wieder zur Polizei zurückkehren will. Das könnte Zweifel an seiner Unabhängigkeit auslösen.
Wären Sie persönlich lieber Polizeipräsident oder Polizeibeauftragter?
Mir wurden beide Positionen bereits angeboten. Ich habe jeweils abgelehnt und bin lieber Polizeiforscher geblieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen