Forderung nach Zuzugstopp: Kommt bloß nicht nach Berlin

Der CDU-Politiker Christian Gräff will, dass weniger Leute nach Berlin ziehen. Deshalb redet er die Stadt runter. Ein Akt der Verzweiflung.

Christian Gräff gestikuliert

Christian Gräff is 'n echta Berlina und dit is ihm wichtig Foto: dpa

Ist Berlin zu voll, sind die Wohnungen zu rar und zu teuer, die Kitas überfüllt, die Straßen zu eng? Sollte die Stadt also am besten eine Art Zuzugsstopp verhängen? Der Berliner CDU-Politiker Christian Gräff hat die Debatte entfacht, als er im Rundfunk RBB eine Art Berlin-Warnung aussprach: „Wir müssen denen, die hierher kommen sagen: Macht euch keine falschen Erwartungen. Wir haben die Infrastruktur nicht, ihr könnt hier nicht herziehen!“

Sich selbst hässlich zu machen, damit man in Ruhe gelassen wird, ist ein krasser Akt der Verzweiflung. Und der Hysterie. Jeder Zugereiste aus einer asiatischen Metropole würde milde lächeln, wenn man Berlin als „überfüllt“ bezeichnete. Unzureichende Infrastruktur? In Mumbai oder Bangkok kennt man andere Aggregatszustände von Menschenmassen in Straßen und Häusern. Allerdings leben in Berlin geflüchtete Familien zu fünft in zwei Hostelzimmern, und das jahrelang. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Deutschen sind Territorialwesen. Auch in München gibt es Hasskommentare in den Leserbriefspalten, die einen Zuzugsstopp für die bayrische Landeshauptstadt fordern. Irgendwann muss es doch mal genug sein! Kommt doch nicht alle hierher, was wollt Ihr eigentlich in der Stadt?

Dabei ist doch klar, was alle wollen: Das Vitalversprechen, dass das Leben tobt in den Metropolen, gerade weil es so voll ist, weil die vielen Menschen so unterschiedlich sind, weil man soviele Möglichkeiten hat im Konsum, in der Liebe, in der Arbeit. If you can make it here, you can make it anywhere!

Da sein, wo die Anderen sind

In den 80er Jahren gab es unter Studis in West-Berlin den Mythos, dass man nur nach New York ziehen müsse, um ein tolleres Leben zu haben, eine interessantere Persönlichkeit zu entwickeln als die Daheimgebliebenen. Insofern machen es einem die Metropolen einfach: Man muss nur da sein, wo auch die Anderen sind.

Aber: Haben Alteingesessene mehr Rechte, hier zu sein? Wer sind eigentlich die Guten, wer die Bösen?

Sollen im Ausland lebende Investoren in Berlin keine Eigentumswohnungen kaufen dürfen? Sollen Besserverdiener nicht mehr herziehen dürfen, weil sie die in Eigentum umgewandelten Mietwohnungen kaufen, aus denen RentnerInnen vertrieben wurden? Aber was ist zum Beispiel mit den Krankenhäusern, den Unternehmen, die dringend hochqualifizierte Zuzügler brauchen?

Hohe Mieten als Zuzugsstopp

Junge Briten, die in Berlin einen internationalen Studiengang beginnen und eine Miete von 900 Euro für ein Zimmer zahlen, weil sie das für ein Schnäppchen halten – sind die gut, weil sie die Stadt bunter machen? Oder sind sie schlecht, weil sie die Preise versauen?

Überhaupt die Ausländer: Die Berliner Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg hat jetzt gefordert, die Tourismus-Werbung für die Stadt herunterzufahren. Airbnb, lärmende Rollkoffer, biertrinkende EU-Backpacker auf den Straßen scheinen für manche ein Riesenproblem zu sein. Obwohl der ein oder andere Alteingesessene gut verdient mit dem Tourismus, man frage die Gastronomie in Kreuzberg.

In Wahrheit gibt es ihn längst, den Zuzugsstopp. Das macht der Markt von ganz alleine

In Wahrheit gibt es ihn längst, den Zuzugsstopp. Das macht der Markt von ganz alleine. Wer sich keine Wohnung in der Stadt leisten kann, der zieht spätestens in Zeiten der Familiengründung nach Brandenburg und pendelt jeden Tag zweieinhalb oder drei Stunden zum Job. Da kann man viel Leben verpassen. Im Stau. In der Bahn, wenn man keinen Sitzplatz findet und nicht lesen und arbeiten kann.

10.000 Euro Wegzugprämie

Gräff ist nach dem Shitstorm in den Medien über das vermeintliche Zuzugsverbot alsbald zurück gerudert. Er hat im Tagesspiegel die rot-rot-grüne Landesregierung angegriffen, an allem schuld zu sein: Sie bremse das Wachstum, so dass man niemandem raten könne, herzuziehen. Also alles wie immer in der Politik, das Hin- und Herschieben von Verantwortung.

Warum nicht eine „Wegzugprämie“ ausloben? 10.000 Euro für einen Wegzug aus Berlin in eine Kleinstadt eigener Wahl, zum Beispiel. Im Ruhrgebiet, in der Oberpfalz gibt es Regionen, die im Kommen sind. Mehr Quadratmeter, weniger Euro. Wer Persönlichkeit hat, braucht die Metropole nicht. Auch New York ist übrigens schon lange wieder out.

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