Foodblogs für Anfänger: Der Sound der Rezepte
Schon vom Essen zu lesen kann Genuss sein, sagt die Foodbloggerin Giulia Scarpaleggia. Unsere Autorin hat bei ihr gelernt, Rezepte richtig zu schreiben.
Es gibt schöne Literatur, etwa Poesie und Belletristik, und es gibt Gebrauchsliteratur wie journalistische Texte, PR oder Ratgeber. „Wegwerfliteratur“ nenne ich sie. Aber was um alles in der Welt ist ein Kochbuch?
Ist es Gebrauchsliteratur, die nicht weggeworfen wird? Und was hat es mit dem Rezepteschreiben auf sich? In vielen Küchen liegt eine Kladde, in der die Kochenden Notizen zu ihren liebsten Rezepten machen. Heißt das, alle können Kochbuchautor*innen sein, wie alle auch Künstler*innen sein können, wenn man Joseph Beuys fragte?
Geht es nach Giulia Scarpaleggia, sollte das Schreiben von Rezepten mehr sein als nur eine schnelle Notiz in einem Heft. Für sie sind die aufgeschriebenen Rezepte eine „Möglichkeit, in Kommunikation mit anderen zu kommen“ und zudem „eine Chance, das Leben anderer Menschen zu berühren“. Rezepte, in Scarpaleggias Sinne, brauchen ein Publikum.
Das sind natürlich die, die das Gekochte essen. Aber Scarpaleggia hat noch andere Rezeptrezipient*innen im Sinn. Solche, die bereits beim Lesen das beschriebene Gericht vor sich sehen, es allein auf Grund der Aufzeichnungen riechen und schmecken. Um so mit Worten zu verführen, sei Können erforderlich, Präzision, Einfühlungsvermögen und Fantasie. Nicht nur die Fotos sollen Lust aufs Nachkochen machen, auch die Geschichte, die hinter einem Gericht steckt. Wie entstand das Gericht? Welche Erinnerungen sind damit verbunden? Denn Essen spiegelt Kulturgeschichte, Herkunft, örtliche Gegebenheiten, Klima und Traditionen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Rezepte mit der Welt teilen
Giulia Scarpaleggia ist Italienerin, genauer, aus der Toskana, sie schreibt Kochbücher und hat einen Foodblog: „Juls’ Kitchen“. Und sie hat den Onlinekurs „Kulinarisches Schreiben: Heimische Rezepte mit der Welt teilen“ entwickelt. Man kann ihn auf der Plattform domestika.org buchen.
Domestika – der Name klingt, als sollten sich vor allem Leute, die im Haushalt tätig sind, angesprochen fühlen – nennt sich „eine Gemeinschaft für kreative Köpfe“. Wer will das nicht sein?
Der Kurs umfasst zehn kurze Videolektionen. Am Ende soll man so weit geschult sein, dass ein eigenes Rezept auf der Plattform hochgeladen werden kann.
Zuerst stellt sich Scarpaleggia vor und erzählt, wie sie zum Foodbloggen kam. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil sie Italienerin ist und ihr gutes Essen im Blut liegt. Dann berichtet sie, von wem sie beeinflusst wurde. Auch das ist klar: Von Italien, von den Menschen dort, den Märkten, den Gemüseverkäufer*innen. Auch ihren Großmüttern, betont sie am Telefon. Scarpaleggia ist eine Verfechterin der einfachen Küche.
Der Höhepunkt des Kurses ist für mich jene Lektion, in der sie die „Philosophie“ des Rezepteschreibens erklärt. Sie ist die Essenz dessen, was es braucht, um ein gutes Rezept, einen guten Gebrauchstext also, zu schreiben. In 9 Minuten und 31 Sekunden schafft sie das.
Rezepte brauchen einen eigenen Sound
‚Was ist ein Rezept?‘, fragt sie und gibt sogleich die Antwort. Für sie sei es etwas zwischen Poesie, Wissenschaft und politischem Aktivismus. Poesie, weil man den Klang der Worte genießen kann und weil ein Bild im Kopf entsteht. Wissenschaft, weil man eine Methode hat und Dinge, die man dafür braucht. Und politisch ist es, weil es die Lebenswirklichkeiten eines Landes spiegelt. Und ich denke: Das ist all das, was eine Zeitungsreportage auch leisten sollte,
Um das zu erreichen, brauchen die Autor*innen von Rezepten einen Sound, eine eigene Stimme, eine eigene Sprache, fährt Scarpaleggia fort. Die erlange man zuallererst, indem man viel lese, Kochbücher, Onlinerezepte, Foodblogs, dabei herausfinde, was einem anspricht und was nicht – und warum.
Wenn es um die „eigene Sprache“ selbst geht, fordert sie in erster Linie, präzise zu sein und Adjektive zu vermeiden – die schwächten den Text, machten ihn langweilig. „Weniger ist mehr.“ Auch bei den Verben gilt Klarheit. Besser das Aktiv benutzen statt das Passiv. Und unbedingt zu vermeiden seien generische Begriffe wie „lecker“, „absolut“, „perfekt“, weil sie nichts zum Inhalt beitrügen. Wichtig sei ohnehin, alle fünf Sinne anzusprechen. Nicht nur den Geschmack, auch den Geruch, die Textur, selbst die Geräusche des Kochens. Was das Sehen angehe, schlägt sie vor, Metaphern zu verwenden, um die Wahrnehmung zu erweitern.
Und während sie all das sagt, stelle ich mir vor, dass sie nicht vom „Rezepteschreiben“ spricht, sondern vom „Reportagenschreiben“, und hänge an ihren Lippen.
Zumal sie dann noch überlegt, für wen man eigentlich schreibt. Sie sieht dabei zwei Gruppen: jene, die ein Rezept (bei mir: einen Artikel) eins zu eins lesen, und jene, denen das Rezept eine Vorlage zum Improvisieren (bei mir: zum Weiterdenken) ist. Egal aber, mit wem man es zu tun habe, meint sie, man müsse überzeugend sein. „Die besten Rezepte vermitteln Erkenntnisse, die auch in anderen Rezepten verwendet werden können.“ Und ich höre: „Die besten Reportagen vermitteln Erkenntnisse, die auch unter anderen Umständen Gültigkeit haben.“
Für jeden ihrer Sätze, für ihre Präzision und Klugheit bewundere ich sie.
In den restlichen Lektionen geht es an die praktische Umsetzung des Gelernten. Und zum Schluss ans Eingemachte: an ein hochgeladenes Rezept von mir. Ich habe mich für einen Apfelstrudel entschieden. Weil ich gerade so viele wurmstichige Äpfel verarbeiten muss. Aber ob die, die das Rezept lesen, es lesend schon schmecken, das leicht säuerlich Süße umhüllt von einem hauchdünnen Brotteig, ist eine offene Frage. Als ich mit Giulia Scarpaleggia telefoniere, sprechen wir über die fünf Sinne, die ich noch nicht stark genug angesprochen haben. Bei den Zutaten sei ich auch unpräzise, meint sie. An den Text muss ich also noch mal ran.
Das Rezept:
Mein Apfelstrudel
Im späten Sommer, wenn die ersten Äpfel reif werden, beginnt bei mir die Apfelstrudelsaison. Denn da die Äpfel in meinem Garten wachsen dürfen, wie sie wollen und nicht mit Pestiziden behandelt werden, profitiere nicht nur ich von den Früchten, sondern auch viele Insekten. Ich bin auch jedes Mal überrascht, dass Kellerasseln ihre Kinderstube in meinen Äpfeln haben, Ohrenzwicker ebensoo, Wespen und Vögel nagen daran herum und natürlich war der Apfelwickler schon vorher am Werk. Die wurmigen Äpfel aber werfe ich nicht weg, sondern verwerte die guten Teile. Wurmige Äpfel sind allerdings nicht lange haltbar. Sie müssen sofort verwendet werden. Aber ich kann sie unmöglich alle gleich essen. Apfelkompott ist eine Variante für sofortige Verarbeitung. Meine Erfahrung jedoch: Apfelstrudel kommt viel besser an.
Dafür mache ich einen einfachen Brotteig. Der allerdings muss hauchdünn ausgerollt werden, das erfordert etwas Fingerfertigkeit. Hat man den Trick einmal raus, ist der Apfelstrudel leicht und bis aufs Äpfelschälen auch schnell gemacht. Ich mache immer etwas mehr Teig als für den Strudel notwendig. Aus dem restlichen Teig mache ich Knäckebrot.
Für zwei Strudel und ein Backblech voll Knäckebrot brauchen Sie: - circa 2,5 Kilo Äpfel. (Sollten Sie nur mit einwandfreien Äpfeln arbeiten, reichen auch zwei Kilo.) Am Ende sollten Sie etwa 1,5 Kilo Apfelstücke haben. - zwei Handvoll Rosinen (Nach Belieben auch mehr.) - drei Handvoll Zucker (Bei sauren Äpfeln vier Handvoll Zucker.) - Saft und Schale von zwei Zitronen - Optional: einen Teelöffel Zimt - Optional: eine Handvoll grob gehackte Mandeln oder Nüsse, idealerweise wurden diese vorher auf dem Backblech geröstet. Das erhöht das Aroma. - Backpapier
Für den Teig brauchen Sie: - 200 Gramm Weizen- oder Dinkelmehl - 1 Prise Salz - 40 ml Öl - 40 ml der Flüssigkeit, die sich bei den Äpfeln über Nacht gebildet hat - 40 ml lauwarmes Wasser
Zum Servieren: - Puderzucker und Sahne
Die Füllung:
Zuerst schälen Sie die Äpfel und schneiden das verwertbare Fruchtfleisch heraus. Mit Zitronensaft, abgeriebener Zitronenschale, den Rosinen, dem unter gehobenen Zucker und den gehackten Nüssen stellen Sie die Äpfel für mindestens 12 Stunden beiseite, so dass sich Saft bildet.
Der Zucker entzieht den Äpfeln Flüssigkeit, so dass die Äpfel beim Backen weniger Saft abgeben und den Teig nicht so stark aufweichen können. Ein Teil des Saftes wird als Flüssigkeit im Teig verwendet. Der Rest wird mit Mineralwasser verdünnt und mit Minze abgerundet zu einem erfrischendes Getränk.
Der Teig:
Haben die Äpfel genug Saft gezogen, machen Sie den Teig. Dazu kneten Sie die Zutaten in einer Schüssel bis ein geschmeidiger Teig entsteht, der weder an den Wänden der Schüssel klebt noch an Ihren Händen. Falls er zu fest ist, noch etwas lauwarmes Wasser zugeben. Falls er zu feucht ist, etwas mehr Mehl nehmen. Lassen Sie den Teig eine halbe Stunde ruhen.
Für einen Strudel brauchen Sie etwa 120 Gramm Teig. Sie haben also mehr Teig als Sie benötigen. Aus dem überschüssigen Teig formen Sie kleine Kugeln mit zwei bis drei Zentimeter Durchmesser und rollen diese auf einem bemehlten Tisch in dünne Fladen von circa einem Millimeter Dicke aus. Diese werden auf ein Blatt Backpapier gelegt und auf dem Ofenrost bei etwa 200 Grad Celsius 10 Minuten gebacken. Sie sollen eine hellbraune Farbe haben.
Das Knäckebrot schmeckt frisch am besten. Will man es ein paar Tage aufheben, sollte es in eine Blechdose getan werden.
Der Strudel:
Rollen Sie etwa 120 Gramm des Teiges auf einer bemehlten Unterlage ebenfalls hauchdünn in eine ovale Form aus, die circa 40 Zentimeter lang ist. Hauchdünn heißt, kaum dicker als zwei Millimeter.
Heben Sie den Teig an und legen Sie ihn auf das Backtrennpapier. Entlang der Mittelachse platzieren Sie die Hälfte der abgetropften Äpfel. Dann schlagen Sie den Teig über die Füllung und drehen die Ecken des Backpapiers ein. So klebt auslaufender Saft nicht auf dem Backblech fest. Dann legen Sie den Strudel auf das Blech. Das wiederholen Sie auch mit dem zweiten Teil des Teiges und legen den zweiten Strudel neben den ersten, schieben die beiden in den Backofen und lassen sie bei 200 Grad Celsius 45 Minuten backen.
Auch hier sollte der Teig nach der Backzeit golden schimmern und oben fest sein wie das Knäckebrot.
Nach kurzem Abkühlen den Strudel mit Puderzucker bestäuben und mit Sahne servieren.
Ich weiß, es klingt kompliziert. Aber je öfters sie Apfelstrudel backen, desto leichter geht es Ihnen von der Hand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid