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Folgen des KohleausstiegsDie G-Frage

Bislang entstehen 60 Prozent des emissionsarmen Baustoffs Gips als Nebenprodukt in Kohlekraftwerken. Was füllt die Lücke nach deren Abschalten?

Naturgips ist wegen der Biotopzerstörung keine gute Alternative: Gipsbruch am Lichtenstein im Harz Foto: Swen Pförtner/dpa

Freiburg taz | Die Wechselwirkungen in einer Industriegesellschaft sind komplex. So wird der aus Klimaschutzgründen dringend notwendige Kohleausstieg den europäischen Gipsmarkt grundlegend verändern. Naturschützer treibt die Sorge, dass nun vermehrt Naturgips abgebaut wird, denn das würde neue Probleme für den Artenschutz schaffen. Tatsächlich könnte das Aufbrechen etablierter Produktionswege aber auch eine Chance sein.

Gips ist chemisch gesehen Calciumsulfat-Dihydrat und fällt als sogenannter REA- (Rauchgasentschwefelungsanlagen-)Gips in großen Mengen als Nebenprodukt in Kohlekraftwerken an. Solche Entschwefelungen sind in Großanlagen seit 1983 als Konsequenz aus der Debatte über den sauren Regen verpflichtend vorgeschrieben. Aktuell decken sie 60 Prozent des Gipsbedarfs in Deutschland.

Der dort produzierte Baustoff sei von „hoher Reinheit“, heißt es beim Bundesverband Gips. REA-Gips ist „ein direkt verwendbarer Rohstoff mit großer Bedeutung zur Versorgung der Gipsindustrie“. Rund 5 Millionen Tonnen davon entstehen jährlich in Deutschlands Braunkohlekraftwerken, weitere 1,5 Millionen Tonnen in Steinkohlekraftwerken.

Was passiert, wenn diese Mengen künftig fehlen? Das Umweltbundesamt (UBA) warnte bereits 2019 vor einer „zunehmend problematischen“ Rohstoffversorgung. Schließlich soll der Gebäudebestand in Deutschland in großem Stil saniert werden, womit der Bedarf an gipshaltigen Baustoffen noch schneller zunehmen dürfte.

Öko-Baustoff Gips

Denn Gips wird auch und gerade beim nachhaltigen Bauen gern eingesetzt, gilt er doch aufgrund der geringeren Emissionen bei seiner Gewinnung und Verarbeitung als ökologisch vorteilhaft. Gips verursache „deutlich weniger CO2 als Zement oder gebrannter Kalk“, so die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. „Tendenziell noch besser“ seien lediglich Lehmbaustoffe.

In der Gipsbranche geht man davon aus, dass der Kohleausstieg den Abbau von Naturgips wieder in den Fokus rücken wird. Somit sind ökologische Konflikte programmiert – möglicherweise, aber nicht unbedingt auch in Deutschland. Jürgen Sutter, Ressourcenexperte am Öko-Institut, ist davon überzeugt, dass der Abbau von Naturgips hierzulande „aus Naturschutzgründen kaum in großem Umfang weiter ausdehnbar“ ist. Die Gipsvorkommen in Deutschland lägen überwiegend in schützenswerten Naturräumen, etwa im Harz. Also wird wohl Importware das Loch stopfen müssen – wahlweise als Naturgips oder als REA-Gips.

Das UBA ist davon überzeugt, dass auch ein umfangreicheres Recycling von Gipsabfällen einen „Beitrag zur Dämpfung von möglichen zukünftigen Versorgungsproblemen“ leisten könnte. Aber hier besteht in Deutschland ein gewaltiger Nachholbedarf. Noch werden Gipsabfälle vor allem auf Deponien entsorgt; nur 10 Prozent werden recycelt. Und das, obwohl eine Wiederverwertung auch in anderer Hinsicht sinnvoll wäre: Gips im Bauschutt schränkt dessen Nutzungsmöglichkeiten aufgrund des Schwefelgehalts erheblich ein.

Vorbild Skandinavien, Problem Tschechien

Einige europäische Länder sind beim Gipsrecycling schon weiter. Skandinavien erreicht nach Zahlen des UBA bereits eine Wiederverwertungsquote von 30 Prozent. Das liegt auch an den dort sehr hohen Preisen für die Deponierung. Die deutsche Umweltbehörde sieht darin ein Vorbild für die hiesige Praxis: Steigende Annahmepreise auf Deponien könnten sich „sehr positiv auf das Gipsrecycling auswirken“.

Eine weitere Ursache der niedrigen Recyclingquote in Deutschland ist, dass alte Gipskartonplatten derzeit nach Mydlovary in Tschechien exportiert werden, wo sie zur Verfüllung von Schlammteichen der ehemaligen Uranerzaufbereitung verwendet werden. Dem deutschen Markt würden damit „signifikante Mengen an recyclingfähigem Material entzogen“, sagt Umweltwissenschaftler Sutter. Dabei seien die Gipsplatten gar nicht geeignet zur Sanierung dieser Altlast; es bedürfe daher „dringend eines regulatorischen Eingriffs auf EU-Ebene“.

So könnte der Kohleausstieg in Deutschland den Anstoß geben, endlich die Stoffströme in der Gipswirtschaft zu überdenken und zu optimieren – ein Schritt, der angesichts des günstigen REA-Gipses zuletzt offenbar verzichtbar erschien.

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8 Kommentare

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  • Nicht nur Gips wird in Kohlekraftwerken gewonnen. Ein weiteres wichtiges Nebenprodukt der Rauchgasentschwefelung ist Elementarschwefel als Dünger. Ohne saueren Regen ist dieser essentiell für den Anbau von Proteinhaltigem Gemüse.

    Gipsplatten lassen sich im Ausbau sehr gut durch OSB oder Holzfaserplatten ersetzen. Nachwachsende Rohstoffe sind grundsätzlich umweltfreundlicher und nachhaltiger.

    • @Robert Schadl:

      es gibt inzw. genügend Bauern die beweisen, es geht ganz hervorragend ohne künstlichen Dünger.

      Ich glaube nicht das man die gewonnenen Erkenntnisse vom Ackerboden nicht auch im Gemüseanbau anwenden kann

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Gipsvorkommen gibt es genug. Allerdings sind die nicht so rein, wie der REA-Gips. Eine Frage der Kosten.

  • Wie kann ein Baustoff, dessen Produktion ein laufendes Kohlekraftwerk voraussetzt als CO2-neutral gelten?



    Eine Korrektur dieses Paradoxons löst das Problem vielleicht auch schon

  • Die absoluten Zahlen lassen aber nichts gutes erwarten:

    Pro Jahr zur Zeit 6-7 Mio to REA Gips.



    Pro Jahr fallen (Zahlen sind etwas veraltet) ca 0,6 Mio to gipshaltiger Bauschutt an, davon 0,3 Mio to recylbar.

    Dh bevor nicht die ganzen Trockenbauwände der Neubauten der letzten 20 Jahre anfallen, wird nicht genug Gips vorhanden sein.

    • @fly:

      Es wird wohl darauf hinauslaufen das Material im großen Stil zu importieren. Kann mir kaum vorstellen dass in Deutschland ein Tagebau neu genehmigt werden würde.



      Dadurch lassen aber nur andere die "Drecksarbeit" machen. Ob das für die Umwelt insgesamt betrachtet besser ist wage ich zu bezweifeln.

      • @CrushedIce:

        Aber sicher lassen wir hier in Deutschland andere die Drecksarbeit machen: Das Duale System Deutschland funktioniert nur mit Müllexporten nach Indien, Indonesien und auf den afrikanischen Kontinent. Teile unseres radioaktiven Abfalls lassen wir in Sibirien verklappen. Die Rohstoffe für unser Kommunikations- und Unterhaltungselektronik kratzen Menschen wiederum in Afrika aus der Erde. Dafür überlassen wir denen dann unseren teils giftigen Auto- und Elektro-Schrott. Menschen mit staatlich geförderten Elektro-Autos können noch was dazuverdienen, indem Sie Ihre nicht genutzten "Emissionsrechte" gegen Geld in Fonds geben, die diese wiederum an Länder und Firmen woanders in der Welt verhökern, die eben wiederum für unseren Wohlstand mehr Dreck machen müssen. Usw., usw.



        Wann hören wir auf, uns selbst und die nachfogenden Generationen zu belügen?

        • 4G
          47202 (Profil gelöscht)
          @Christian Götz:

          Sie haben völlig recht!



          Es liegt am System!