Einzigartige Landschaft bedroht: Hintertürchen für die Gipsindustrie

Im Streit um den Gipsabbau im Südharz schienen Umweltschützer einen Sieg errungen zu haben. Doch der hat seine Tücken.

Gipsfelsen in einem Buchenwald

Seltener Lebensraum: Gipskarst mit Buchenwald Foto: Elke Blanke

HAMBURG taz | Im Kampf um die Gipskarstlandschaft im südlichen Harz haben Umweltschützer einen Erfolg errungen, der allerdings einen gewaltigen Haken hat. Zwar will die schwarz-rote Regierung in Niedersachsen die Vorranggebiete für den Gipsabbau nicht mehr wie zunächst vorgesehen vergrößern. Dafür möchte sie allerdings in Zukunft auch außerhalb solcher Vorranggebiete Abbauanträge ermöglichen.

Die Regelung steht im zweiten Entwurf des Landesraumordnungsprogramms, für den am Montag der vergangenen Woche die Frist für Einwendungen ablief. Der Umweltverband BUND kritisiert, dass damit eine Hintertür für zusätzliche Abbaugebiete geöffnet werde. Der betroffene Landkreis Göttingen befürchtet, dass ihm mit der Erweiterung der Antragsmöglichkeiten die Konflikte zwischen Naturschützern und Gipsindustrie auf die Schulter geladen werden.

Der Gipskarst, bei dem durch Auswaschung bizarre Klüfte und Höhlen entstehen, ist eine einzigartige Landschaft, die beim niedersächsischen Osterode auch noch durch einen Orchideen-Buchenwald veredelt wird. Das Bundesamt für Naturschutz zählt das Gebiet zu den 18 Hotspots der biologischen Vielfalt in Deutschland. Als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet gehört es zum europäischen Schutzgebietsnetz „Natura 2000“. Zu ihrem Unglück ist diese Landschaft auch für die Gipsindustrie hoch attraktiv: Der Abbau von Naturgips ist billig und im Harz hat er mancherorts eine besondere Qualität, wie sie etwa von Zahntechnikern gebraucht wird.

Dass die Landesregierung die Abbaumöglichkeiten erweitern möchte, hängt mit dem Kohleausstieg zusammen. Von den zehn Millionen Tonnen Gips, die 2018 in Deutschland verarbeitet wurden, waren 40 Prozent Naturgips; 60 Prozent stammten aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen von Kohlekraftwerken (REA-Gips). Mit dem in Deutschland beschlossenen Kohleausstieg wird diese Gipsquelle bis 2038 wegfallen – bis auf den REA-Gips, der dann noch auf Halde liegen wird.

Touristische Zukunft als Biosphärengebiet

Der 2019 geschlossene Kohlekompromiss zwischen Bund und Ländern sieht vor, die Wertschöpfungsketten der Gipsindustrie zu erhalten. Dazu seien „Maßnahmen zu ergreifen, die den fortschreitenden Wegfall an REA-Gips durch eine zusätzliche umweltverträgliche Gewinnung von Naturgips ausgleichen“.

Der BUND möchte das verhindern und fordert, bis 2045 müsse der Abbau von Naturgips beendet werden. Um zu zeigen, dass das möglich ist, hat er ein Gutachten anfertigen lassen, das Alternativen zeigt: Ersatzmaterial aus Holz oder Lehm, Recyclinggips und Phosphorgips.

Nach der ersten Auslegungsrunde des Landesraumordnungsprogramms schien die Landesregierung dem Druck der Umweltverbände nachgegeben zu haben. „Land nimmt aktuelle Abbaupläne im Südharz zurück“, betitelte der BUND eine Pressemitteilung im vergangenen September.

„Mit den massiven Protesten des BUND Niedersachsen, seinen Aktiven und Partnern vor Ort konnte ein wichtiger Teilerfolg für den Schutz der wertvollen Gipskarstlandschaft im Südharz erreicht werden“, kommentierte Axel Ebeler, der stellvertretende Landesvorsitzende. „Nun muss der endgültige Ausstieg aus dem Gipsabbau folgen.“ Es sei an der Zeit, der Südharzer Gipskarstlandschaft eine touristische Zukunft als Biosphärengebiet zu geben, sagte Friedhart Knolle, der Gipskarstexperte des BUND.

Über Alternativen spricht auch die Gipsindustrie

Doch die Auslegung des zweiten Entwurfs bot aus Knolles Sicht eine böse Überraschung. Denn künftig soll ein Abbau außerhalb der vom Landesraumordnungsprogramm vorgegebenen Vorranggebiete nicht mehr ausgeschlossen werden. Der BUND lehnt das ab und fordert, dass auch künftig keine zusätzlichen Abbauflächen zugelassen werden. „Es gab einen Brief des Ministerpräsidenten, in dem uns zugesichert wurde, dass der Status Quo erhalten bleibt“, sagt BUND-Experte Knolle. Die Abbaugebiete, denen die Umweltverbände zugestimmt hätten, seien bereits „opulent“.

Auch der Landkreis Göttingen ist unglücklich mit dem neuen Entwurf: Der Kreistag begrüßte im Januar einstimmig, dass die „Bedenken und Vorbehalte zur Erweiterung der Vorranggebiete für den Rohstoff Gips“ ihren Niederschlag gefunden hätten und deren Ausweisung zurückgenommen wurde.

Anders sei das mit der Aufhebung der „Ausschlusswirkung“, denn die bedeutete, dass außerhalb der Vorranggebiete bisher auf keinen Fall Gips abgebaut werden durfte. Damit werde „die Auseinandersetzung zwischen den Belangen der Rohstoffindustrie und den Belangen des Umweltschutzes in Zukunft auf eine andere Planungs- und Entscheidungsebene verlagert“.

Die Aufhebung der Ausschlusswirkung sei im Kompromiss zum Kohleausstieg vereinbart worden, sagt Roman Mölling, Sprecher des Bundesverbandes Gipsindustrie. „Das ist für uns eine logische Konsequenz.“ Über Alternativen zu dem REA-Gips aus Rauchgasfiltern spreche die Gipsindustrie zwar auch. Aus ihrer Sicht reichten sie aber nicht aus, um diese Lücke zu füllen.

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