Folgen des Koalitionsbruchs: Demokraten sind nicht doof – hoffentlich
SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP waren sich einig, das Verfassungsgericht vor politischen Angriffen zu schützen. Gilt das auch nach dem Koalitionsbruch?
Mit einem Appell haben sich acht Jurist:innenverbände, darunter der Deutsche Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche Richterbund, an alle demokratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag gewandt. Sie drängen darauf, die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts zu stärken und im Grundgesetz abzusichern. „Das gehört zu den vordringlichsten Aufgaben bis zum Jahresende“, heißt es in der Erklärung. Die Fachleute halten es für unverantwortlich, wenn ein besserer Schutz des Karlsruher Gerichts vor gezielten Eingriffen oder Blockaden am Streit in der Ampel scheitern würde.
Die Struktur des höchsten Gerichts ist bisher nur im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt. Das heißt: Die Zahl der Richter:innen, deren Amtszeit, die Altersgrenze, selbst die Voraussetzungen für das Richter:innenamt können mit einfacher Mehrheit geändert werden. Probleme, die schon lange gesehen werden, sagt Ulrich Karpenstein, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins. Schon seit mehr als fünfzig Jahren weisen Juristen auf die Gefahr politischer Angriffe auf die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts hin. Auch die Erfahrungen in Polen und Ungarn haben gezeigt, wie leicht antidemokratische Kräfte mit einfacher Mehrheit Verfassungsgerichte auf Linie bringen können.
Im Prinzip einig
Um die Hüterin der Demokratie vor solchen Übergriffen zu schützen, liegen seit September zwei Gesetzesentwürfe vor: Nach monatelangen Verhandlungen hatten sich die Ampel-Fraktionen und die Union geeinigt und die Vorschläge gemeinsam eingebracht. Wesentliche Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts sollen im Grundgesetz festgeschrieben werden, außerdem soll für den Fall einer Blockade bei der Richterwahl ein Ersatzwahlmechanismus eingeführt werden. Im Oktober wurden die Entwürfe in erster Lesung beraten. Die AfD wetterte gegen die geplante Verfassungsänderung, die Linken wollen sie mittragen.
Nun soll in dieser Woche die Anhörung von Sachverständigen im Rechtsausschuss stattfinden. Läuft es nach Plan, könnte danach das Parlament abstimmen, nur die Zustimmung des Bundesrats wäre noch erforderlich. Doch die Frage ist, ob diese Änderung des Grundgesetzes zu den wichtigen Vorhaben gehört, die vor der Auflösung des Parlaments noch beschlossen werden sollen.
Prinzipiell ist man sich einig, ein strittiger Punkt ist nur die Forderung der Länder, in das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, nach der künftige Änderungen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Die bisherigen Gesetzentwürfe sehen das nicht vor. Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) hofft auf eine Einigung: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn es in gelänge, das Vorhaben zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts noch vor Ende der aktuellen Legislaturperiode abzuschließen“, erklärt er gegenüber der taz.
Die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz hält sich bedeckt: „Wir haben einen ausgewogenen Vorschlag für mögliche Gesetzesänderungen vorgelegt. Nun müssen wir zunächst das Ergebnis der anstehenden Anhörung abwarten.“ Von „Priorität Eins Plus“ spricht dagegen Till Steffen von Bündnis 90/Die Grünen: „Wenn es wirklich ein Vorhaben gibt, das man noch umsetzen muss, dann ist es das.“ Ob die demokratischen Kräfte in der nächsten Legislaturperiode noch über die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit verfügten, sei ungewiss.
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