Folgen der Stadtflucht: Stille Dörfer, laute Dörfer
Können Dörfer gentrifiziert werden? Dieser Frage ging eine Debatte in Berlin-Kreuzberg nach. Sie zeigte, dass die Lust aufs Land erst begonnen hat.
Um es vorwegzusagen: Die im Programm angekündigte stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Gerswalde fehlte an diesem Abend im Kreuzberger Impact Hub am Mehringplatz. Also diejenige, die hätte sagen können, wie der Hype um „Berlins 13. Bezirk“ oder das „Hipsterdorf in der Uckermark“ bei denen ankommt, die schon vor den Hipstern da waren.
Wie es in Gerswalde, vor allem im Sommer, ausschaut, hatte allerdings zuvor schon eine Gemeindevertreterin gegenüber dem Tagesspiegel verdeutlicht: Auf der Dorfstraße sei ihr der Regisseur Wim Wenders entgegengekommen und habe gefragt, ob es hier noch ein Haus zu kaufen gebe.
„Hipsterdörfer und Yuppisierung in Brandenburg“ lautete der auch Städtern verständliche Titel der Veranstaltung, zu der am Montagabend über hundert Menschen gekommen waren. Dabei kreiste die Diskussion vor allem um die Frage, ob die neue Wanderung aufs Dorf eine Win-win-Situation ist für die, die wandern, und auch für die, die schon da sind. Profitieren also, trotz aller Konflikte, von denen immer wieder die Rede ist, Neuankömmlinge und Alteingesessene gleichermaßen? Oder gibt es tatsächlich nach der Verdrängung in Berlin auch eine „Gentrifizierung der Dörfer“?
Die Sehnsucht der Städter
Einig waren sich zunächst alle, dass es eine neue Bewegung raus aufs Land gibt. „Es wird teuer und eng in der Stadt, und es gibt den Drang nach draußen“, sagt Annette Katharina Ochs. „Da ist viel Sehnsucht der Städter nach dem Land mit im Spiel.“
Ochs lebt seit 15 Jahren in der Uckermark, hat das UM-Festival ins Leben gerufen und den Verein Happy Locals gegründet. Für Ochs, die auch den ländlichen Raum im Sauerland erforscht hat, hat die Brandenburger Situation vor allem mit Berlin zu tun. „Im Sauerland gibt es auch junge Leute auf den Dörfern, das sind aber keine Hipster, sondern Leute, die da verwurzelt sind.“
Auch Grit Körmer vom Regionalmanagement Märkische Seen sagt: „Ich bekomme mit, dass immer mehr Leute rausziehen.“ Und das betreffe längst nicht mehr nur das Umland, sondern auch die berlinfernen Regionen. Gerswalde etwa liegt zwischen Templin und Prenzlau. Bis Berlin sind es genau einhundert Kilometer. Eine Stunde und fünfzehn Minuten dauert die Fahrt mit dem Auto über die A 11. Eine adäquate Anbindung an öffentliche Verkehrsmitteln gibt es nicht.
Auch deshalb verlor das Amt Gerswalde laut einer Strukturdatenanalyse der Regionalen Planungsstelle von 2007 bis 2016 22 Prozent seiner Bewohner. Das Dorf Gerswalde selbst verzeichnet dagegen einen Zuwanderungsgewinn, vor allem aus Berlin. Ein wachsendes Dorf in einer leerlaufenden Region: ein Trost für die Uckermark?
Nur Fremde am Dorfbadestrand
Jan Lindenberg plädiert für ein genaues Hinschauen. Vor einiger Zeit hat sich der Designer in Gerswalde niedergelassen, zuvor lebte er in Tokio. In der Uckermark betreibt er nun eine Produktionsfirma für Film und eine Druckerei. Zudem lehrt er an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde Regionalmanagement. „Wichtig ist, dass man sich dauerhaft niederlässt, das kommt dann auch gut an“, sagt Lindenberg. Den Trend, ein Haus zu kaufen und nur am Wochenende aufs Land zu kommen, nennt Lindenberg eine „Pop-up-Gentrifizierung“.
Auch Annette Katharina Ochs weiß zum Thema Gentrifizierung auf dem Land eine Beobachtung beizutragen. „Immer mehr Berliner kaufen Häuser. Manche kaufen aber zwei oder drei Häuser, und die, die sie nicht brauchen, vermieten sie als Ferienhäuser. Das führt dazu, dass am Dorfbadestrand nur noch Fremde sind. Das ist dann eindeutig zu viel.“ Von Dörfern, die angesichts der Zweit- und Drittwohnsitze immer stiller werden, ist dann in der Uckermark die Rede.
Gentrifizierung als zunehmende Stille. Das zumindest haben Berlin und die Uckermark gemeinsam. In Berlin werden die, die Lärm machen, von denen verdrängt, die ihre Ruhe haben wollen. Auf dem Land wiederum bedeuten die, die am Wochenende Erholung suchen, an den Werktagen Ödnis, einen Verlust an dörflichem Leben. Eine Win-win-Situation sieht anders aus.
Aber es gibt sie tatsächlich, die Alteingesessenen und Neuankömmlinge, die an einem Strang ziehen. In Müncheberg baut Carolin Schönwald eine alte Feuerwache zu einem Theater um. Die gebürtige Münchebergerin hat in Berlin studiert, um nach dem Studium sofort wieder in ihre Heimat, wie sie es selbstverständlich nennt, zurückzukehren.
Nächstes Treffen in Brandenburg
Für die, die dageblieben sind, ist sie eine Rückkehrerin. Aber sie ist eben auch eine, die das Know-how einer Kulturmanagerin aus Berlin mitbringt, die Projekte anschiebt und weiß, wo das Geld liegt. Die etwas bewirkt, wovon alle profitieren. So wie im Familiencafé in Buckow, dem zweiten Projekt von Schönwald.
Im Publikum fragt am Ende einer, wie viele der Anwesenden gerne aufs Land ziehen wollen. Fast alle heben den Arm. Manche von ihnen hätten gerne gewusst, wie sie da empfangen werden. Aber immerhin: Das nächste Treffen dieser Art soll nicht mehr in Kreuzberg, sondern in Brandenburg stattfinden.
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