Flutkatastrophe in Spanien: Massendemonstration gegen Krisenmanagement
Nach den Überschwemmungen sind mehr als 100.000 Menschen auf die Straße gegangen. Sie fordern den Rücktritt von Regionalpräsident Carlos Mazón.
Die Demonstrierenden in Valencia zogen vom Rathaus der Stadt zum Sitz der Nationalregierung, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Mit dem Ruf „Mörder“ machten sie ihrer Wut über die Behörden Luft. Die Kundgebung fand in einer gespannten Atmosphäre statt. Es kam zu mehreren Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und der Polizei, wie der AFP-Reporter beobachtete.
Die Empörung der Menschen über das Krisenmanagement in den rund 80 Städten und Gemeinden der Region richtet sich insbesondere gegen den Regierungschef der Region Valencia, Carlos Mazón von der konservativen Volkspartei PP. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, viel zu spät auf die Warnung der spanischen Wetterbehörde Aemet reagiert zu haben.
Außerdem soll Mazón noch nach dem Einsetzen des heftigen Regens stundenlang abwesend gewesen sein. Der 50-Jährige hatte sich spanischen Medien zufolge damit verteidigt, dass er in einem Restaurant in Valencia ein „Arbeitsessen“ mit einem Journalisten gehabt habe.
Notfallbeauftragte soll Alarmsystem nicht gekannt haben
Einige Menschen in den betroffenen Gebieten berichteten, dass die Warnnachrichten erst auf ihren Handys eingegangen seien, als das Hochwasser bereits zahlreiche Autos mit sich gerissen hatte. Die Notfallbeauftragte der Region, Salomé Pradas, hatte am Donnerstag zugegeben, dass sie das Alarmsystem nicht gekannt habe – zog ihre Äußerung aber später zurück.
Aber auch Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez wurde von den Protestteilnehmern kritisiert. Mazón und Sánchez haben sich gegenseitig vorgeworfen, die Überschwemmungen infolge massiver Regenfälle Ende Oktober unterschätzt und die Rettungs- und Hilfseinsätze schlecht koordiniert zu haben. PP-Sprecher Miguel Tellado warf Sánchez vor, die Unterstützung für die Region Valencia aus politischem Kalkül absichtlich verschleppt zu haben.
Die 30-jährige Demonstrantin Ana de la Rosa kritisierte „politischen Krieg, als nicht der Moment dafür war, weil die Bürger Hilfe brauchten und diese nicht bekamen“. Damit hätten sich die Behörden der „fahrlässigen Tötung“ schuldig gemacht.
Der 73-jährige Julián García warf Mazóns Regionalregierung vor, von der Zentralregierung in Madrid nicht die Unterstützung erbeten zu haben, die nach der Katastrophe nötig gewesen sei. Der Regionalpräsident müsse daher zurücktreten. Auch auf einem Transparent an der Spitze des Protestzugs sowie auf vielen selbst gebastelten Plakaten standen Rücktrittsforderungen an Mazón zu lesen. In der spanischen Hauptstadt Madrid, die nicht zur Region Valencia gehört, forderten hunderte Demonstrierende ebenfalls Mazóns Amtsverzicht.
Rücktrittsforderungen an Regionalpräsident
Der Zentralregierung in Madrid warfen die Demonstrierenden in Valencia vor, dass bis zum Eintreffen ihrer Hilfe in den Hochwassergebieten zu viel Zeit vergangen sei. So hätten vielerorts die Menschen selbst die Sache in die Hand genommen.
Zahlreiche Menschen aus nicht oder weniger stark betroffenen Orten machten sich auf eigene Faust auf den Weg in die Katastrophengebiete, um Lebensmittel zu bringen und bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Daran erinnerten die Demonstranten am Samstag, indem sie die derzeit immer wieder zu hörende Zeile „Nur das Volk rettet das Volk“ sangen.
Der Osten und Süden Spaniens waren Ende Oktober von heftigen Regenfällen heimgesucht worden, mancherorts gab es binnen 24 Stunden so viel Niederschlag wie sonst in einem ganzen Jahr. Zahlreiche Straßen verwandelten sich so in reißende Flüsse und spülten Autos mitsamt ihren Insassen fort. Nach vorläufigen Angaben starben mindestens 220 Menschen, davon 212 in der Region Valencia. Die Suche nach Dutzenden Vermissten sowie die Aufräumarbeiten in den mit Schlamm überzogenen Orten dauern an.
Am Sonntag vergangener Woche hatten bereits der spanische König Felipe VI. und seine Frau Letizia die Wut der Menschen zu spüren bekommen. Bei einem Besuch im Katastrophengebiet wurde das Königspaar von aufgebrachten Bürgern angebrüllt und mit Schlamm beworfen, der Besuch wurde schließlich vorzeitig abgebrochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour