Flussausbau für den Klimaschutz: Baggern, Normen, Stauen

Binnenschifffahrt gilt als klimafreundlich. Um mehr Verkehr auf deutsche Flüsse zu bekommen, werden sie umgebaut. Das hat oft einen hohen Preis.

Bagger an Aktion an enem Flussufer

Zwischen der Schleuse Straubing und der Eisenbahnbrücke Bogen wird die Donau ausgebaggert Foto: Armin Weigel/dpa

BERLIN taz | Hinter Straubing ist die Donau auf etwa 70 Kilometern noch nicht in ein genormtes Korsett gezwängt, es gibt Überschwemmungsflächen, Altarme und fast natürliche Ufer. Noch. Denn seit 2020 läuft der Donauausbau. Zwischen Straubing und Vilshofen sollen die Schifffahrtsverhältnisse verbessert werden. Sogenannte Buhnen, kleine Dämme quer zur Fließrichtung, werden in den Fluss gebaut, Ufer befestigt, die Sohle wird ausgebaggert. 600 Millionen Euro sind für den ersten Bauabschnitt veranschlagt, die Kosten insgesamt sollen sich auf mehr als eine Milliarde Euro belaufen.

Auch die Elbe darf nicht bleiben, wie sie ist. Containerschiffe werden immer größer. Da muss der Fluss eben angepasst werden, wenn die Schiffe den Hamburger Hafen erreichen sollen. Die jüngste Vertiefung – die achte – soll in diesem Jahr beendet werden, rund 800 Millionen Euro hat das gekostet. Auch weiter oben droht dem Fluss Ungemach: Derzeit verhandeln Deutschland und Tschechien ein neues Regierungsabkommen zur Schiffbarkeit. In Tschechien ist die Elbe bis Usti bereits mit Staustufen kanalisiert, bei Děčín soll nun eine neue gebaut werden. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist bereits abgeschlossen.

Dass die Flüsse schiffbarer werden sollen, wird auch mit Klimaschutz begründet. Eine auf dem Fluss transportierte Tonne Fracht verursacht für sich zunächst weniger CO2, als wenn sie auf der Straße transportiert würde. „In der Gesamtbetrachtung schneidet die Wasserstraße aber schlechter ab, wenn sie dafür ausgebaut werden muss“, sagt Steffi Lemke, bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt und Mitglied der Parlamentariergruppe „frei fließende Flüsse“. In dieser haben sich Abgeordnete der Union, der SPD, Linkspartei, FDP und Grünen zusammengeschlossen, um parteiübergreifend zu agieren. „Dort, wo die Flüsse ausgebaut wurden, zahlen wir heute einen hohen Preis“, sagt Lemke. Allein für die Renaturierung der Havel werden 30 Millionen Euro bis 2024 fällig, „vom Schaden für die Natur ganz zu schweigen“.

Jetzt soll die Oder drankommen. „Die Bundeswasserstraßenverwaltung hat eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung für den Ausbau eingeleitet“, sagt Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks Unteres Odertal, die polnische Seite hat den Ausbau bereits für „umweltverträglich“ erklärt. Das Land Brandenburg hat dagegen Widerspruch eingelegt, „die polnischen Behörden haben die Folgen des Ausbaus der Oder nur auf der polnischen Seite betrachtet“, sagt Treichel. Eine Antwort aus Polen steht noch aus.

Öko kein definiertes Ziel

Tatsächlich war es die deutsche Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe, die 2014 im Auftrag der polnischen und deutschen Schifffahrtsverwaltungen ein sogenanntes Stromregulierungskonzept erarbeitete. „Eine Verbesserung des ökologischen Potenzials der Grenzoder“ war „kein definiertes Ziel“, heißt es darin. Vielmehr soll der Fluss für die Schifffahrt vertieft werden, um fast das ganze Jahr über 1,80 Meter Wassertiefe aufzuweisen.

Dafür müsse es neue Buhnen geben, mit einer „Neigung von 1:10, beidseitig“ – das heißt hier: Steinwälle sollen wie Stachel vom Ufer in den Fluss ragen, um ihn an den Rändern zu bremsen und in der Mitte zu beschleunigen. Ein Korsett, das die Oder schneller fließen und sich tiefer eingraben lässt, damit sie möglichst ganzjährig schiffbar bleibt. „Auf polnischer Seite plant man, im Herbst 2021 mit der Umsetzung von Baumaßnahmen zu beginnen“, teilt die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt mit: „Hierzu liegt bereits die Genehmigung vor und das Vergabeverfahren hierzu läuft.“

„Wenn Polen seine Pläne umsetzt, dann wird das den Nationalpark dauerhaft schwer schädigen“, sagt Nationalparkleiter Treichel. Fließe die Oder tiefer, werde das letzte Wasser aus den Auen gezogen, die dann vertrocknen und vernichtet werden. Das Untere Odertal ist Deutschlands einziger Auennationalpark.

Doch nicht nur im Nationalpark soll die 162 Kilometer lange Grenzoder ausgebaut werden, auch bei Frankfurt, bei ­Küstrin und südlich von Schwedt. „Die Buhneninstandsetzung in Reitwein ist bereits fertiggestellt“, erklärt die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt. Nach dem Oderhochwasser 1997 hatte die Weltbank Polen umfangreiche Mittel zum Hochwasserschutz zugesprochen, die nun endlich verbaut werden sollen. „Jeder Euro ist gut investiert“, sagt Kapitän Leszek Kiełtyka aus Stettin, fünf Schubkähne und zwei Motorfrachtschiffe gehören seiner Firma. Seit 40 Jahren befährt er die Oder und sieht im Ausbau die Zukunft seines Berufsstandes. Nach dem Ausbau könnten gut 28 Millionen Tonnen Fracht im Jahr auf dem Fluss transportiert werden, nahezu doppelt so viel wie jetzt.

Milliarden für die Schiffbarkeit

Grundlage für die Pläne ist ein deutsch-polnisches Regierungsabkommen von 2015. „Der Ausbau verstößt gegen europäisches Naturschutzrecht“, sagt Lemke. Aber die deutsche Regierung versuche sich um den Oderausbau „irgendwie rumzumogeln“. Tatsächlich könnte nur ein neuer Vertrag den Oderausbau noch verhindern. Doch die deutsch-polnischen Beziehungen sind angespannt, die regierende PiS-Partei gilt als schwieriger Verhandlungspartner.

Außerdem gibt es neuerdings einen Staatsvertrag zwischen Tschechien und Polen: Geplant ist ein Oder-Elbe-Donau-Kanal, der die Ostsee mit dem Schwarzen Meer verbinden soll. Das tschechische Verkehrsministerium legte Ende 2018 eine Machbarkeitsstudie vor, nach der das Gesamtprojekt fast 600 Milliarden Kronen (22 Milliarden Euro) kostet, Ende 2020 stellte die Regierung von Premierminister Andrej Babiš die ersten 15 Milliarden Kronen (550 Millionen Euro) zur Verfügung, mit der die Oder vom tschechischen Os­trava bis zur polnischen Grenze schiffbar gemacht werden soll.

Tatsachen schaffen, um daraus Notwendigkeiten abzuleiten: Solch ein Vorgehen ist typisch für die Flussausbauer. „In den 90er Jahren wurde der Hafen Halle mit 60 Millionen Euro ausgebaut“, sagt Lemke. Dabei können schon mittlere Binnenschiffe Halle gar nicht erreichen. Die letzte der sechs Saalestaustufen war nämlich im Zweiten Weltkrieg nicht mehr gebaut worden. Der DDR fehlten die Mittel und nach der Wende lag die Baustelle im Biosphärenreservat Mittelelbe.

Zwar versuchten die Ausbaufans trotzdem immer wieder, die Staustufe durchzusetzen; sogar ein 100 Millionen Euro teurer Seitenkanal schaffte es in den aktuellen Bundesverkehrswegeplan 2030. Mit ihrem Eintritt in die Landesregierung Sachsen-Anhalts setzten die Bündnisgrünen vor fünf Jahren dem Kapitel aber ein Ende. Die Stadt Halle musste Jahrzehnte die Millionenverluste ihrer Hafen GmbH tragen bevor sie 2018 abge­wickelt wurde. Heute ist das Hafenbecken an einen Fischzüchter verpachtet.

Die Auslöschung des Stints

Doch nicht nur ökonomisch sind die Flussbaupläne ein Wagnis, auch ökologisch sind sie gefährlich. Vor der letzten Runde der Elbvertiefung bei Hamburg hatten Umweltschützer gewarnt, der Mündungstrichter werde verschlicken. „Das hatte das Bundesamt 2017 ausgeschlossen, aber genauso ist es jetzt gekommen“, sagt der grüne niedersächsische Umweltpolitiker Stefan Wenzel.

Viele Elbfischer hätten wichtige Fanggründe verloren, der Stint, einst wichtigster Fisch, sei im Naturschutzgebiet Elbe und Inseln nahezu ausgelöscht. „Die gesamte Be- und Entwässerung des Marschlandes, insbesondere des Obstanbaugebietes ‚Altes Land‘ ist in Gefahr“, so Wenzel, die Deichverbände würden Alarm schlagen. „Jetzt soll der Schlick der aktuellen Vertiefungskampagne in der Nordsee bei Cuxhaven verklappt werden.“ Wenzel hält das für rechtswidrig.

Zudem setzt der Klimawandel den Flüssen immer stärker zu, Weser, Elbe und auch der Rhein führten in den letzten Jahren oft so wenig Wasser, dass die Schifffahrt zum Erliegen kam. Die Schwarze Elster, ein 179 Kilometer langer Nebenfluss der Elbe, trocknete 2018 in Brandenburg genauso aus, wie die Dreisam vor Freiburg im Breisgau. Deshalb wird vielerorts viel Geld investiert, um Wasser wieder länger in der Landschaft zu halten. Beispielsweise an der Spree, ihr Ausbau vor mehr als 100 Jahren wird an vielen Stellen rückgängig gemacht, die Altarme werden wieder zum normalen Flussbett.

Nach dem Bundesverkehrswegeplan 2030 sollen 24,5 Milliarden Euro in die deutschen Wasserstraßen verbaut werden: knapp 400 Millionen Euro etwa in die Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe, 48 Millionen in die Flussvertiefung des Mains zwischen Wipfeld und Limbach, mehr als 36 Millionen in die Vertiefung der Außenems, 10 Millionen in die Anpassung der Mittelweser. Ob die Pläne umgesetzt werden, wird auch von dem Ausgang der nächsten Bundestagswahl abhängen.

Seit Anfang Juni gilt ein neues „Gesetz zum wasserwirtschaftlichen Ausbau der Bundeswasserstraßen“. Es verpflichtet die Behörde, beim Flussausbau die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zu berücksichtigen. Mehr Ökologie also. Hans-Heinrich Witte, der Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt, erklärt:

„Das neue Gesetz ermöglicht uns, die Bundeswasserstraßen aus einer Hand umweltfreundlich weiterzuentwickeln. Bei all unseren Projekten spielt der Umweltschutz eine bedeutende Rolle. Wir stellen uns nicht nur auf die Folgen des Klimawandels ein, sondern tragen durch umweltfreundliche Antriebe und Technologien wesentlich zum Umweltschutz bei. Ausbauprojekte wie z. B. die Abladeoptimierung des Mittelrheins gewährleisten auch bei Niedrigwasser bessere Transportbedingungen.“

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