Flugzeugabsturz in Indien: Ursache weiterhin unklar
Nach dem Crash der Air India-Maschine AI 171 steigt die Zahl der Todesopfer auf knapp 280. Die Identifizierung der Verstorbenen wird fortgesetzt.

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Details über die Opfer des Flugs AI 171 werden bekannt. Die Geschichte des jungen Familienvaters Arjun Patolia, der nach den letzten Riten für seine verstorbene Frau in deren Heimat-Bundesstaat Gujarat nicht mehr zu seinen Kindern nach Großbritannien zurückkehren wird, ging durch die internationalen Medien.
Wenig bekannt ist noch über die Kollateralschadenfolgen. Dabei ist die Zahl der Toten laut Times of India auf 279 gestiegen. Unter ihnen befinden sich mindestens 30 Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Aufpralls der Maschine auf dem Campus des BJ Medical College aufhielten. Etwa 100 Studierende saßen gerade beim Mittagessen, als das vollgetankte Flugzeug in eine Mensa krachte: Es starben Mediziner, deren Angehörige und Studierende.
„Plötzlich wurde alles grau“, berichtete der Augenzeuge Hozefa Ujjaini der taz. Dichter Rauch stieg in den Himmel, als die Maschine beim Aufprall in Feuer aufging. Die Boeing 787-8 Dreamliner war auf dem Weg nach London, als sie rund 30 Sekunden nach dem Abheben abstürzte. Sie erreichte kaum 200 Meter Höhe.
Flugschreiber gefunden
Obwohl inzwischen beide Flugschreiber gefunden wurden, wird weiterhin über die Unfallursache spekuliert. Am Sonntag sei der Stimmrekorder geborgen worden, nachdem am Freitag das Aufzeichnungsgerät für Flughöhe, Geschwindigkeit und Kurs entdeckt worden war. Die Aufklärung wird von Teams aus den USA und Großbritannien unterstützt. In den vergangenen Tagen gab es sowohl dort als auch in Indien Trauerbekundungen.
Unter den Passagieren befanden sich sieben Personen mit portugiesischer, eine mit kanadischer und 53 mit britischer Staatsangehörigkeit. Der einzige Überlebende unter ihnen ist der Brite Vishwashkumar Ramesh, er entkam durch einen Sprung aus dem Notausgang. „Ich habe es geschafft, mich abzuschnallen, mein Bein durch die Öffnung zu schieben und herauszukriechen“, sagte er dem staatlichen indischen Sender DD News.
Kritik an US-Hersteller Boeing
Am Montag traf ein Team von Boeing vor Ort ein. Die Identifizierung der Verstorbenen hält an. Viele Körper sind stark entstellt oder verbrannt. Bisher konnten mindestens 92 Personen identifiziert und in 47 Fällen sterbliche Überreste an Angehörige übergeben werden.
Indiens Premierminister Narendra Modi, der aus dem betroffenen Bundesstaat Gujarat stammt, besuchte am Tag danach die Unfallstelle und sprach mit Verletzten. Es gab zahlreiche internationale Beileidsbekundungen.
„Air India trauert über den tragischen Verlust von 241 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord von Flug AI 171“, heißt es in einem öffentlichen Statement der Fluggesellschaft. Das Unternehmen versprach Betreuung der Familien und Entschädigung für Hinterbliebene von insgesamt rund 125.000 Euro.
Das Modell Dreamliner galt als „robust“, doch nun machen sich neue Zweifel breit. „Boeing hatte in den letzten zehn Jahren wiederholt mit Sicherheitsbedenken zu kämpfen“, sagt Augenzeuge Ujjaini der taz. Er bezieht sich auf Medienberichte. Nach dem Unfall fiel die Boeing-Aktie zunächst. Am Montag kehrte eine Air India-Maschine des Typs Dreamliner auf dem Weg von Hongkong nach Delhi als Vorsichtsmaßnahme zum Startflughafen zurück, nachdem der Pilot einen technischen Zwischenfall in der Luft vermutet hatte.
Der erste Absturz einer Boeing 787
Der Dreamliner ist seit 2011 in Betrieb. Weltweit nutzen internationale Fluggesellschaften mehr als 1.100 dieser Maschinen, die nach Angaben von Boeing in den vergangenen zehn Jahren mehr als 875 Millionen Passagiere befördert haben. Es war der erste tödliche Absturz einer 787. Doch im Laufe der Jahre soll es immer wieder zu Problemen gekommen sein. Ein früherer Mitarbeiter forderte im vergangenen Jahr bei einer Anhörung in Washington, alle 787 Dreamliner aus dem Verkehr zu ziehen. Boeing wies die Vorwürfe zurück.
Derzeit werden mehrere Aspekte von Behörden und der Fluglinie untersucht: Probleme im Zusammenhang mit dem Triebwerksschub, den Landeklappen und die Frage, warum das Fahrwerk beim Start und beim anschließenden Absturz offen blieb.
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