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Fluglärm-Bürgerinis verlassen DialogAustritt mit einem lauten Knall

Hamburger Bürgerinis gegen Fluglärm verlassen eine Runde mit Vertretern von Flughafen und Behörden, weil es im Kampf gegen Nachtflüge keine Erfolge gibt.

Bringt Jobs, ist für die Anwohner aber die Pest: Flugverkehr über Hamburg Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Die Entscheidung ist ein kalkulierter Eklat. Am Mittwoch hat der Umweltverband BIG Fluglärm die Hamburger Allianz für den Fluglärmschutz verlassen. „Wir haben festgestellt, dass wir nicht länger Teil eines Formats sein wollen, wo mehr geredet als gehandelt wird“, sagt der BIG-Vorsitzende Martin Mosel. Zehn Jahre Gespräche hinter verschlossenen Türen hätten wenig gebracht. Jetzt sei es an der Zeit, Konsequenzen zu ziehen.

Die Allianz war auf Wunsch der Bürgerschaft gegründet worden, um zwischen Interessen des innerstädtischen Flughafens, der Wirtschaft und der lärmgeplagten Anwohner zu vermitteln und die Umsetzung des Lärmschutzes am Flughafen zu begleiten. An ihren Beratungen sollen alle betroffenen Interessengruppen teilnehmen – vom Flughafen und den Fluggesellschaften über die Wirtschaft, Kommunen und Behörden bis zu den Anwohnerinitiativen. Ziel der Allianz ist es, „gemeinsam getragene Vorschläge zu erarbeiten, wie Fluglärmbelastungen verringert werden können“.

Eben das ist aus Sicht des BIG, einem Dachverband von vier Lärmschutzinitiativen, nicht in ausreichendem Maße geschehen. Die Initiativen stören sich vor allem daran, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Nachtflüge zwischen 23 und 24 Uhr stark gestiegen ist und das Vor-Corona-Niveau erreicht hat – obwohl der gesamte Flugbetrieb erst bei 80 Prozent des Vorkrisenniveaus steht. Aus Sicht der BIG ist es höchste Zeit, diese Entwicklung zu stoppen.

Viele Verspätungen

Ein Hebel wäre die „Verspätungsregelung“, die es Flugzeugen im Linien- und Pauschalreiseverkehr erlaubt, zwischen 23 und 24 zu starten und zu landen, „wenn die Verspätung nachweislich unabweisbar war“. Laut dem Bericht der Fluglärmschutzbeauftragten des Senats gab es 2023 dafür verschiedene Ursachen: Personalknappheit bei der Sicherheitskontrolle, Streiks bei der Flugsicherung, den Ukraine-Krieg, mehr militärische Flüge, aber auch das Wetter.

Die Begründungen der Fluggesellschaften werden nachträglich geprüft. Falls sie sich als nicht stichhaltig erweisen, gibt es ein Bußgeld. Von elf Ordnungswidrigkeitenverfahren 2023 wurden der Fluglärmschutzbeauftragten zufolge zehn eingestellt und im gesamten Jahr 10.000 Euro Bußgeld verhängt.

Mosel vom BIG wollen die Begründungen nicht einleuchten. Der Ukraine-Krieg tobe ja schon drei Jahre und dass der Klimawandel Wetterextreme mit sich bringe, sei auch keine Neuigkeit. „Darauf muss man sich doch einstellen können“, findet Mosel. „Viele der Verspätungen sind schlicht Schlendrian“, vermutet er.

Wohlwollende Diskussionen ohne Konsequenz

Die Fluglärminitiativen ärgert, dass die Diskussion in der Allianz für den Fluglärmschutz über die Verspätungsregelung folgenlos geblieben sei. So habe ein juristisches Gutachten darauf hingewiesen, dass die Kriterien für eine Inanspruchnahme der Verspätungsregelung zu unbestimmt formuliert seien. Das sei in dem Gremium zwar fachlich wohlwollend diskutiert worden – jedoch ohne institutionelle Konsequenz.

„Wir haben zusammen mit Politik und Verwaltung festgestellt, dass es Reformbedarf gibt“, sagt Mosel, „und dann passiert einfach nichts“. Stattdessen sei die Verspätungsregelung von der Tagesordnung genommen worden.

In einer Allianz mitzuarbeiten, die keine politischen Ergebnisse zeitigt, ist aus Sicht der Initiativen keine Bürgerbeteiligung, sondern ein Hemmschuh. „Wie oft haben wir versucht, Vertreter der Alllianz für eine Podiumsdiskussion zu gewinnen“, sagt Mosel. Regelmäßig seien solche Anfragen unter Verweis auf die Allianz abgelehnt worden.

Flughafen schafft Jobs

„Wenn Gespräche vertraulich sind, dann müssen sie im Ergebnis auch zu Ambitionen im politischen Raum führen“, findet Mosel. Der Austritt aus der Allianz verschaffe dem BIG nun wieder mehr Spielraum für zivilgesellschaftlichen Protest.

Das gilt nicht zuletzt mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und den Grünen, wo zum Flugverkehr noch nichts verlautbart wurde. Allerdings hatten sich einige Politiker im Wahlkampf positioniert. Sie fände es „falsch, die Betriebszeiten anzufassen und weiter einzuschränken“, sagte Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) laut dem Hamburger Abendblatt im Januar. Die Stadt habe ein großes Interesse daran, dass der Flughafen leistungsfähig bleibe. Zudem sei er ein großer Arbeitgeber.

Der Flughafen, der zur Hälfte der Stadt gehört, unterfütterte das vergangene Woche mit einer Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), nach der jeder Job am Flughafen zwei Arbeitsplätze in der Region sichere. Das entspreche 11.000 Beschäftigten in der Region. Sie erwirtschafteten mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr.

Senator ist für Startverbot ab 23 Uhr

Auf den Austritt der Fluglärmschutzinitiativen reagierte der Flughafen irritiert, schließlich sei für kommende Woche die nächste Sitzung geplant. „Es ist schwer nachvollziehbar, warum die Initiativen um Herrn Mosel, der die Agenda für diesen Termin mit erstellt hat, ohne jede Vorankündigung ihre Mitarbeit beenden“, sagt Kommunikationschef Johannes Scharnberg. Der Airport werde den Dialog mit den verbliebenden Teilnehmern gerne fortführen.

Noch im Wahlkampf hatte sich der scheidende Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) auf die Seite der Initiativen geschlagen. Er wies darauf hin, dass nach Zählung der Umweltbehörde die Flüge mit Verspätungsregelung im vergangenen Jahr zahlreicher waren als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019. „Es zeigt sich, dass die bestehende Regelung die Anwohnenden nicht effizient vor nächtlichem Fluglärm schützt“, stellte Kerstan fest.

Der Senator plädierte dafür Starts nach 23 Uhr zu verbieten: „Diese sind immer vermeidbar.“ Landungen dagegen müssten in unvermeidbaren Fällen weiter möglich sein. „Es wird die Aufgabe des nächsten Senates sein, sowohl für eine neue Regelung zu sorgen als auch eine Definition für unvermeidbare Gründe zu entwickeln“, erklärte Kerstan.

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