Flugexperte über Ryanair-Arbeitskampf: „Die schlechtesten Konditionen“

Auch die Kund*innen haben Schuld an der Situation, sagt Flugexperte Gerald Wissel. Die Niedrigstpreise bei Ryanair sind auf Dauer nicht tragfähig.

Ein Flieger am Himmel

Kund*innen kann man nicht erziehen, sagt Gerald Wissel Foto: reuters

taz: Herr Wissel, leitet der Arbeitskampf bei Ryanair das Ende der Billigflieger ein?

Gerald Wissel: Nein. Zwar ist aus meiner Sicht das jetzige sehr niedrige Preisniveau insbesondere bei Ryanair auf Dauer nicht tragfähig, aber es wird auch im Flugverkehr neben teuren Segmenten mit mehr Service und Komfort auch immer günstige Segmente mit wenig Komfort und Service – also für jeden Geldbeutel etwas – geben.

Früher haben Piloten super verdient. Was ist mit der Branche geschehen?

Erstens hat eine enorme Zunahme des Wettbewerbs stattgefunden. Durch die Deregulierung und Privatisierung der Branche in Europa seit den 1990er Jahren sind Monopole weggefallen. Seitdem gibt es viel mehr Fluglinien. Zweitens haben insbesondere Gesellschaften wie Ryanair den etablierten Unternehmen die Augen geöffnet und gezeigt, dass man auch günstiger fliegen kann. Ryanair und andere haben eine ganze Branche dazu gebracht, stärker auf die Kosten zu schauen und effizienter zu arbeiten. Sie haben definitiv ein Umdenken angestoßen, welches allen Kunden zugute gekommen ist. Drittens führt auch die Nachfrage der Kunden nach immer günstigeren Tickets zu einem Druck auf das Preisniveau, welches sich in letzter Konsequenz auch in den Gehältern niederschlägt.

Wieso ist es überhaupt möglich, zum Taxipreis durch Europa zu fliegen?

Das funktioniert nicht kostendeckend. Allein die Gebühren für die Abfertigung sind teilweise schon höher als der Ticketpreis. Das sind zwar vereinzelte Lockvogelangebote, die allerdings zu Begehrlichkeiten bei Kunden führen, dass Fliegen grundsätzlich so billig ist. Um einen Flug kostendeckend operieren zu können, müssen andere Passagiere ein Vielfaches von dem Lockvogelpreisen bezahlen, was allerdings nicht wahrgenommen wird. Ryanair trägt hier meines Erachtens eine große Mitschuld, hat daraufhin alle möglichen – zum Teil auch fragwürdigen – Optimierungspotenziale ausgeschöpft und stellt nun fest, dass insbesondere bei der Belegschaft Grenzen erreicht beziehungsweise überschritten sind.

Gerade bei Ryanair werden Beschäftigte schlecht behandelt.

Keine Branchenlösung

Für die Beschäftigten von Fluglinien gibt es keinen Branchentarifvertrag wie im Einzelhandel, der Metallindustrie oder in anderen Wirtschaftszweigen. Die Gewerkschaften müssen deshalb mit den einzelnen Airlines verhandeln – wenn die sich darauf einlassen. Ryanair ist eine der gewerkschaftsfeindlichsten Fluglinien der Welt und spricht erst seit Kurzem mit Organisationen wie der Pilotenvertretung Cockpit, der Flugbegleitergewerkschaft Ufo und Verdi.

Streikvorläufer

In einigen Ländern hat es in diesem Jahr bereits Streiks von Ryanair-Beschäftigten gegeben. Anfang April hatte zum Beispiel die portugiesische Gewerkschaft SNPVAC ihre Mitglieder zu einem dreitägigen Ausstand aufgerufen. Das hatte zu erheblichen Flugausfällen geführt. Vor rund zwei Wochen hatte ein 48-stündiger Streik der Flugbegleiter in Belgien, Spanien und Portugal für Hunderte Flugausfälle gesorgt. Bei einem Ausstand in Irland war nur eine zweistellige Zahl von Flügen ausgefallen. (akr)

Definitiv hatte Ryanair im Branchenvergleich die niedrigsten Gehälter und auch schlechtesten Konditionen. Allerdings gibt es gesetzliche Rahmenbedingungen, wie die Gewährung von Ruhezeiten, die Ryanair bis zur maximalen Grenze ausgeschöpft hat. Zudem hatte Ryanair anfänglich und in einigen Staaten noch heute das Modell der Ich-AG bei Piloten genutzt, um noch weiter die Kosten zu reduzieren. In Deutschland stand dieses Modell allerdings von Beginn an unter dem Verdacht der Scheinselbstständigkeit, so dass Ryanair die Piloten fest anstellen musste. Dieses führten dann zu der Gründung von Gewerkschaften und schlussendlich zu Arbeitskämpfen, wie wir sie auch bei anderen Fluggesellschaften immer wieder erleben.

Warum erst jetzt?

Das frage ich mich ehrlich gesagt auch. Klar ist die Bereitschaft zum Streik grundsätzlich geringer, wenn es einen Überhang an Piloten am Markt gibt und Fluggesellschaften quasi aus dem Vollen schöpfen können. Auch darf man nicht verkennen, dass gerade junge Piloten frisch von der Ausbildung Flugstunden benötigen, um ihre Chancen auf Einstellung zu verbessern. Da akzeptiert man eben auch die Konditionen von Ryanair für eine gewisse Zeit. Aber es gibt auch heute noch eine Reihe an Mitarbeitern an Bord und Boden, die sich mit dem Unternehmen identifizieren und den Reiz am Fliegen und der Luftfahrt in den Vordergrund stellen. Weiterhin hatte Ryanair lange Zeit Mitarbeiter auch dadurch gewonnen und gebunden, indem es sich bewusst als Außenseiter und Rebell in einer Branche dargestellt hat, die den Etablierten die Stirn bietet. Aber auch dieser Effekt verliert mit zunehmendem Wachstum und Anonymität seine Bedeutung.

Die Fluggastzahlen steigen. Warum ist die Branche trotzdem in der Krise?

Fakt ist, dass die Fluggastzahlen weiter steigen. Aber wir haben viel zu viel Kapazität, insbesondere in der Hochsaison, im Markt. Auf der einen Seite haben wir einen enormen Preisdruck, der ruinös ist und bei dem jeder mitgehen muss …

… also sind die Kunden schuld?

Kundenschelte ist schlecht, man kann Kunden nicht erziehen. Aber es ist wie bei anderen Themen auch: Nachfrage nach den billigsten Tickets zieht ein Angebot nach sich, welches unweigerlich Abstriche an allen möglichen Ecken machen muss. Wer besseren Service, weniger Verspätungen, zufriedenere Mitarbeiter an Bord und Boden haben möchte, muss dafür eben auch bezahlen.

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