Die Krise der Billigairlines: Die Luft wird immer dünner

Der Streik der Ryanair-Piloten zeigt: Am Ende leiden Beschäftigte und Passagiere unter dem gnadenlosen Konkurrenzkampf in der Luftfahrt.

Streikende Ryanair-Mitarbeiter

Am Freitag bleiben die Ryanair-Maschinen am Boden – es wird gestreikt Foto: dpa

Es war die bislang erfolgreichste Aktion von Beschäftigten des Billigfliegers Ryanair. Am Freitag strich die Airline 396 Flüge in Europa, davon 250 in Deutschland. Zuvor hatte die Pilotengewerkschaft Cockpit zum Streik aufgerufen.

Für die Passagiere hatte diese Ankündigung immerhin einen geringfügigen Vorteil: Sie konnten sich früh darauf einstellen, dass ihr Flug am Freitag nicht geht. Das ist nicht selbstverständlich, oft erfahren Fluggäste erst sehr kurzfristig von der Streichung ihrer Maschine.

Die Ryanair-Piloten streiten für mehr Geld und weniger Flugstunden bei einem Arbeitgeber, der für seinen beinharten Kurs gegenüber Beschäftigten und für seine Ticketniedrigpreise berüchtigt ist. Wie andere Fluggesellschaften trägt Ryanair den Konkurrenzkampf in der Branche auf dem Rücken der Beschäftigten aus.

Jeden Tag starten und landen in Deutschland im Schnitt 4.400 Maschinen. Flugausfälle sind zum Massenphänomen geworden. Bis Ende Juli annullierten Ryanair und andere Linien nach Angaben des Flugrechteportals EU-Claim in diesem Jahr 19.631 Flüge von, nach und in Deutschland. Im ganzen Jahr 2017 waren es 21.918. Oft schieben die Airlines das Wetter oder Streiks vor – aber schuld sind auch die Gesellschaften, weil sie zu knapp kalkulieren. Hinzu kommen Tausende Verspätungen und immer wieder Pannen. Erst kürzlich mussten in Frankfurt, München sowie Bremen Terminals gesperrt werden, weil bei den Sicherheitskontrollen Reisende versehentlich nicht geprüft wurden.

„Es ist ein Drama“

„Es ist ein Drama, was sich im Luftverkehrsmarkt abspielt“, sagt Christine Behle, für die Luftfahrt zuständiges Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Verdi. Als das Münchener Terminal gesperrt wurde, waren zwei Mitarbeiterinnen für 3.000 Reisende zuständig. „Die Kosten in der Branche werden so gedrückt, dass für den Service immer weniger bleibt“, sagt Behle. Und der größte Kostendrücker in der Branche ist die irische Fluglinie Ryanair. „Durch Ryanair wächst der Druck auf die anderen Airlines“, sagt sie. „Das ist ein Riesenproblem.“

Ryanair verkauft Tickets ab 39 Euro und macht einen Gewinn von 1,4 Milliarden Euro, rechnet Janis Schmitt, Sprecher von Cockpit, vor. Die Piloten von Ryanair wehren sich dagegen, dass diese Diskrepanz von Unternehmensgewinnen und Dumpingpreisen auf ihre Kosten ermöglicht wird. Laut Cockpit-Angaben verdienen sie im Schnitt rund 77.000 Euro brutto im Jahr, bei Konkurrenten wie Eurowings oder Tuifly sind es 100.000 Euro. Ryanair gibt an, Piloten könnten bis zu 190.000 Euro bekommen. Die Einkommen zu vergleichen ist schwierig, weil es keinen Branchentarifvertrag gibt. Die Einkom­mens­tabellen sind kompliziert, etwa wegen der Zuschläge.

Christine Behle, Verdi

„Durch Ryanair wächst der Druck auf die anderen Airlines. Die Kosten in der Branche werden so gedrückt, dass für den Service immer weniger bleibt“

Die Gewerkschaft des Kabinenpersonals, die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo), erklärt sich solidarisch mit den Piloten, auch wenn ihre Mitglieder sehr viel weniger verdienen: Maximal 25.000 bis 30.000 Euro im Jahr sind es bei einer Vollzeitstelle inklusive der gesamten Zulagen – einige Tausend Euro weniger als bei anderen Airlines. „Die Arbeitsbedingungen bei Ryanair sind wesentlich härter, auch weil es keine tariflichen und betrieblichen Regelungen gibt“, sagt Ufo-Vorstand Christoph Drescher. Der Urlaub wird Beschäftigten kurzfristig und mitunter willkürlich zugeteilt, sie können einfach versetzt werden, und vor allem ist nicht klar, ob das deutsche oder das – ungünstigere – irische Arbeitsrecht gilt.

Billigflieger wie Ryanair haben dafür gesorgt, dass sich fast jeder eine Flugreise leisten kann. Bis in die 1990er Jahre regelten bilaterale Verträge zwischen Ländern internationale Routen, Sicherheitsvorschriften und Tarife. Dann wurde der Markt liberalisiert, und neue Anbieter drängten auf den Markt, die Preise fielen. Die Zahl der Passagiere ist rasant gestiegen und wird auch in Zukunft wachsen – aber nicht so stark, wie die Airlines aufrüsten.

Es wird ein Überangebot geben

Nach einer Analyse der Unternehmensberatung Oliver Wyman wächst die Flotte in Europa bis 2022 um 600 Maschinen auf dann 5.700 Stück. Und diese Flieger können mehr Passagiere mitnehmen als die Maschinen heute. „Das Luftfahrtgeschäft in Europa ist von Marktirrationalitäten geprägt“, sagt Björn Maul, Partner bei Oliver Wyman. Nach Berechnungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation bauen Ryan­air, Lufthansa, EasyJet und die Konkurrenten die Kapazitäten für Passiere fast doppelt so stark aus, wie die Nachfrage nach Tickets in den nächsten Jahren steigen wird. Das heißt: Es wird ein Überangebot geben.

Die Folge ist ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Das hierzulande bekannteste Opfer: Air Berlin. Vor fast genau einem Jahr meldete die nach der Lufthansa zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Insolvenz an. Air Berlin ist am extremen Expansionskurs seiner Manager gescheitert. Als die Fluglinie in den Sommerferien 2017 zahlungsunfähig wurde, schlugen sich die Konkurrenten um die Reste. Attraktiv waren vor allem die vielen Start-und-Lande-Rechte. Denn davon gibt es nur eine begrenzte Zahl.

Den Zuschlag bekamen die Lufthansa-Tochter Eurowings, die britische Linie EasyJet und über die österreichische Laudamotion indirekt auch Ryanair. Allerdings verlief die Übernahme der Reste von Air Berlin keineswegs reibungslos. Auch das ist ein Grund für die massiven Flugausfälle.

Air Berlin hatte immerhin vernünftige Löhne gezahlt, das sagen selbst die Gewerkschaften. Die Mehrzahl der 8.000 Beschäftigten hat neue Jobs bekommen, allerdings zu schlechteren Bedingungen. „Hart war die Insolvenz vor allem für die Flugbegleiterinnen“, sagt Christine Behle von Verdi. Die Lufthansa wollte ursprünglich 3.000 von ihnen übernehmen, aber stellte nur wenige Hundert an. EasyJet hat rund 500 Flugbegleiterinnen von Air Berlin übernommen – zu fast den gleichen Bedingungen.

Das war ein Glücksfall. Denn in der Luftfahrtbranche gilt das Senioritätsprinzip. Das heißt, das Gehalt hängt auch von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab. Erfahrene Flugbegleiterinnen werden jedoch von neuen Arbeitgebern als Berufsanfängerinnen eingestuft. Die Folge sind erhebliche Lohnverluste. „Einige haben Einbußen von bis zu 40 Prozent“, sagt Behle. Schon vor Jahren wurden bei allen Airlines Tarifverträge abgeschlossen, die für Neubeschäftigte Abstriche vorsehen. Das gilt selbst für die Lufthansa.

Überlebenskampf

Die Schlacht der Airlines um Kunden wird noch härter werden. 2017 sind neben Air Berlin auch die europäischen Fluglinien Alitalia und Monarch Airlines pleitegegangen. Etliche Unternehmen befinden sich in einem Überlebenskampf, auch wenn sie noch Gewinne machen. Doch gleichzeitig müssen sie immer wieder in teure neue Maschinen investieren. Viele Airlines werden verschwinden oder aufgekauft, eine Marktkonsolidierung findet statt.

In den USA teilen sich fünf große Airlines 85 Prozent des Marktes, bei insgesamt 48 Fluglinien. In Europa gibt es noch 139 Fluglinien. Die fünf größten – Lufthansa, Ryanair, EasyJet, die Air France/KLM-Gruppe und die International Airline Group – erwirtschaften 66 Prozent des Umsatzes. „Die Low-Cost-Anbieter treiben den Markt“, sagt Klaus-Dieter Scheurle vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Nach der Insolvenz von Air Berlin sind die Preise zwar gestiegen, aber nur vorübergehend. Jetzt sind die Tickets wieder billig. „Das ist gut für die Verbraucher, zeigt aber, das wir einen sehr harten Wettbewerb haben“, sagt er.

Dabei hat der Konkurrenzkampf auch für Verbraucher durchaus negative Seiten. Zu beobachten ist das täglich an den Flughäfen, der Kostendruck hat Folgen, selbst im Normalbetrieb: Die Fluglinien halten kaum noch Reserven vor, es gibt keine Zeitpuffer mehr. Wenn stets das gesamte Personal im Einsatz ist und alle Flieger in der Luft sind, führt jede Verzögerung, jeder kleine Zwischenfall zu einer Kaskade von weiteren Störungen.

Dabei ist die gravierendste Störung, an deren Verursachung die Flugbranche stark beteiligt ist, nicht im Ticket eingepreist. Fliegen kann nur zu Taxipreisen angeboten werden, weil die extrem hohen Folgekosten nicht einkalkuliert sind. Es gibt keine angemessene Klimaabgabe. Die Abgase tragen erheblich zur Erd­erwärmung bei, dennoch wurde die Luftfahrtbranche aus den Klimaabkommen von Kioto und Paris ausgeklammert.

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