Flüchtlingsunterbringung in den Kommunen: Nur noch Alarmstufe Gelb
Hildesheimer Migrationsforscher haben Kommunen zur Belastung durch die Aufnahme von Geflüchteten befragt. Die geben nur zaghaft Entwarnung.
In den vergangenen Jahren war es das Topthema unter Kommunalpolitikern: die Überlastung der Kommunen bei der Aufnahme, der Unterbringung und Integration von Geflüchteten. Nun sinken die Zahlen der Asylsuchenden und damit auch die Zuweisungen an die Kommunen. Entspannt sich dadurch auch die Lage in den Kommunen?
Das versucht der Mediendienst Integration zusammen mit dem Hildesheimer Migrationsforscher Boris Kühn in regelmäßigen Befragungen herauszufinden. Die gute Nachricht ist: Nur noch 11 Prozent der rund 900 Kommunen in der gesamten Republik, die an der Befragung teilgenommen haben, sehen sich im „Notfallmodus“ oder stufen sich als total überlastet ein.
Aber immer noch beschreiben mehr als 70 Prozent die Lage als „herausfordernd, aber noch machbar“. Nur rund 16 Prozent haben die Antwortmöglichkeit „ohne größere Schwierigkeiten“ angekreuzt. Das schlägt sich auch in der Art der Unterbringung nieder: Notunterkünfte und Sammelunterkünfte werden weniger genutzt, ein Großteil der Geflüchteten wird in eigenen Wohnungen untergebracht.
Das stößt allerdings an Grenzen, wo der Wohnungsmarkt ohnehin schwierig ist: Von einer „Auszugskrise“ berichten vor allem Städte, in denen Geflüchtete in kommunalen Einrichtungen festsitzen, weil es unmöglich ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Einige Gemeinden berichten auch von einer steigenden Obdachlosigkeit unter Geflüchteten, etwa infolge von Zwangsräumungen.
Ausländerämter und andere Sektoren weiter überlastet
Puffer oder zusätzliche Kapazitäten für eventuell wieder steigende Zuweisungszahlen vorzuhalten, gelingt deshalb nur wenigen Gemeinden. Das liegt auch an der Haushaltslage, weil die Kosten für derart vorgehaltenen Wohnraum nicht erstattet werden.
Darüber hinaus verlagern sich die Belastungen in andere Sektoren. Ausländerämter gehören zu den kommunalen Einrichtungen, die nach wie vor im Krisenmodus operieren – vor allem in den großen Städten. Hier sehen sich 60 Prozent der Städte im Notfallmodus, 40 Prozent der mittelgroßen Städte und 30 Prozent der Landkreise.
Das, sagt Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag, liege natürlich auch am hochkomplexen Ausländerrecht, das zurzeit ständigen Änderungen unterworfen sei – wobei kaum noch Zeit bleibt, die Veränderungen sorgsam in die Praxis zu überführen. Zusammen mit der Stimmungslage macht das den Arbeitsbereich für Verwaltungsmitarbeiter nicht unbedingt attraktiver.
Was die Bezahlkarte bringt, bleibt umstritten
Auch in den Bereichen Jobcenter, Kita und Schule ist die Lage nach wie vor nicht wirklich entspannt. Hier sind die Integrationsprozesse eben erheblich langwieriger als bei der bloßen Unterbringung.
Die Einführung der heiß umstrittenen Bezahlkarte wird in den Kommunen sehr unterschiedlich bewertet. Das fängt schon mit dem Tempo der Einführung an: Flächendeckend wurde sie vor allem dort eingeführt, wo das Bundesland dies vorgeschrieben hat, beispielsweise in Niedersachsen und Bayern. In anderen Bundesländern, in denen die Kommunen selbst entscheiden dürfen, wie Nordrhein-Westfalen, sieht das anders aus.
Auf die gesamte Republik bezogen haben vor allem die Landkreise die Einführung umgesetzt, während die kreisfreien Städte hinterherhinken oder verzichtet haben, schreiben die Forscher.
Das liegt zum Teil aber sicherlich auch daran, dass mit der Einführung erst einmal ein Mehraufwand verbunden ist. Ob die Bezahlkarte hinterher Verwaltungsaufwand spart oder nicht, wird ebenfalls unterschiedlich bewertet.
Kurioserweise gibt es zahlenmäßig genauso viele Kommunen, die sagen, ihr Verwaltungsaufwand habe sich stark oder ein wenig reduziert (11,4 beziehungsweise 32,9 Prozent) wie Kommunen, die sagen, ihr Verwaltungsaufwand habe sich stark oder ein wenig erhöht (10,8 und 31,8 Prozent).
Je mehr Restriktionen, desto höher der Aufwand
Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Beschränkungen unterschiedlich streng gehandhabt werden. Das reicht von unterschiedlichen Bargeld-Limits (zwischen 50 und 130 Euro) über die Möglichkeit, Überweisungen zu tätigen, bis hin zu regionalen Beschränkungen. Je mehr Restriktionen ein Land setzt, desto höher wird der Verwaltungsaufwand in den Kreisen, die diese umsetzen müssen.
Einzelne Kommunen heben positiv hervor, dass die Karte im Falle des Untertauchens einer Person sofort gesperrt werden kann. Andere verweisen jedoch auf Probleme, da auf Flohmärkten, in Gebrauchtwarenmärkten und sozialen Kaufhäusern häufig keine Kartenzahlung möglich ist.
Ob die Einführung der Bezahlkarte die Anzahl der freiwilligen Ausreisen erhöht hat, wie manche gehofft haben, haben die Forscher nicht abgefragt: Dazu lägen in der Regel ohnehin keine Daten vor, erklärten sie.
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