Flüchtlingsunterbringung in Europa: Die Angst vor dem Winter
Europäische NGOS warnen vor mehr Toten unter den Flüchtlingen im Winter. Deutsche Kommunen wollen Flüchtlinge nicht getrennt unterbringen.
Kopp forderte eine gemeinsame europäische Anstrengung, um für den Winter gewappnet zu sein – mit „menschenwürdigen Aufnahmezentren“ und medizinischer Versorgung. Die Politik habe bereits den ganzen Sommer verspielt. „Wir müssen den Menschen vor dem Winter diese Odyssee, diesen Elendstreck ersparen.“
„Das Wetter wird das Leid vergrößern"“, ist auch Babar Baloch vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR überzeugt. Baloch war die vergangenen Wochen auf dem Balkan unterwegs, in Ungarn, Serbien, Kroatien, wo die UNHCR-Helfer Decken und Kunststofffolien verteilen. „Wenn Familien draußen schlafen müssen, werden Kinder krank werden.“ Er forderte unmittelbare Unterstützung von der Politik. „Wir brauchen jetzt einen Masterplan.“
Besonders auf dem Mittelmeer-Weg nach Europa fürchten Flüchtlingshelfer mehr Todesopfer. Das Meer wird mit jedem Tag stürmischer, die Wellen höher. Kopp von Pro Asyl warnt vor mehr Bootskatastrophen im Mittelmeer und in der Ägäis. „Es werden mehr Menschen in den Fluten verschwinden“, sagte er. „Weil das Meer nun unruhiger wird, werden wir eine ganze Menge Menschen verlieren“, sagte die UNHCR-Mitarbeiterin Nadine Cornier in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.
Der Winter stellt auch die deutsche Politik vor große Herausforderungen. Tausende Flüchtlinge leben weiterhin in Zeltunterkünften. „Momentan ist Deutschland nicht gewappnet“, sagte Kopp. „Wir sind spät dran.“ Auf kommunaler und Landesebene müsse alles versucht werden, um Wohnraum zu schaffen.
„Wir fordern Bund, Länder und Gemeinden auf, angesichts sinkender Temperaturen für feste Wohnunterkünfte zu sorgen“, sagt der Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Dieter Schütz. Das DRK betreibe derzeit mehr als 300 Notunterkünfte für 86 000 Flüchtlinge – darunter auch einige Zeltcamps. „Wir halten Zeltunterkünfte nur für eine Notlösung“, sagt Schütz. „Die Gefahr besteht, dass sich die Flüchtlinge Krankheiten zuziehen.“
Gegen getrennte Unterbringung
Die Kommunen in Deutschland lehnen eine getrennte Unterbringung von Flüchtlingen nach Religion und Herkunft ab. „In der derzeitigen Situation, in der die Kommunen für die Unterbringung und Versorgung einer immens hohen Zahl an Flüchtlingen sorgen müssen, ist eine getrennte Unterbringung nicht realisierbar“, sagte Städtebund-Geschäftsführer Gerd Landsberg dem „Handelsblatt“ (Mittwochausgabe). „Vielerorts ist die Belastungsgrenze für die Mitarbeiter der Verwaltungen, die Hilfsdienste und die ehrenamtlichen Mitarbeiter nicht nur erreicht, sondern bereits überschritten.“
Es brauche vielmehr Leitlinien in verschiedenen Sprachen. „Allen Flüchtlingen sollte klar sein, dass gewalttätige Übergriffe in den Unterkünften nicht toleriert werden.“ Zudem sei mehr geschultes Sicherheitspersonal nötig, um Gewalt bereits im Keim zu ersticken. Auch sei eine deutliche Beschleunigung der Asylverfahren geboten, um die Verweildauer in den Einrichtungen zu verkürzen und die Menschen schnell in Arbeit zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“