Flüchtlingsunterbringung in Berlin: Nur eine absolute Notlösung
Das Problem ist nicht, einen minimalen Anteil des geschützen Tempelhofer Feldes für Unterkünfte zu nutzen. Das Problem ist die Ballung von Menschen.
3 ,72 Prozent des Tempelhofer Felds. Ein Fünfundzwanzigstel also. So groß – oder: so klein – ist jener Anteil am geschützten Tempelhofer Exflugfeld, auf dem künftig Unterkünfte für Flüchtlinge stehen könnten. In eineinhalb Wochen will der Senat erneut darüber beraten und – so jedenfalls der Plan – den Entwurf einer entsprechenden Gesetzesänderung beschließen, nachdem das diesen Dienstag nicht klappte.
Ob die Änderung tatsächlich kommt, liegt zwar noch am Abgeordnetenhaus, das sich ab Mitte November damit befassen soll. Dort wird aber vor allem CDU-Fraktionschef Dirk Stettner auf einen schnellen Beschluss durch die schwarz-rote Koalition drängen. Er forderte schon Anfang Juni als Erster der führenden Politiker, das Tempelhofer Feld für Flüchtlinge zu nutzen.
Nun könnte man unterstellen, dass da im Hinterkopf auch der Wunsch bei CDU und Teilen der SPD mitspielt, den Rand des Feldes grundsätzlich zu bebauen: Wenn sich in der Öffentlichkeit erst mal festsetzt, dass Feld nicht bloß für Freizeit steht, könnte das die Stimmungslage beeinflussen.
Schließlich, das sagen die Koalitionäre ja immer wieder zu, soll es eine 2014 noch an einem Volksentscheid gescheiterte Randbebaung nur nach einer erneuten Abstimmung geben. Wie die allerdings aussehen soll, wenn es kein klassischer Volksentscheid als Ende eines Volksbegehrens sein soll, ist dabei offen.
Das allerdings hieße, die Flüchtlinge für dieses Ziel zu instrumentalisieren – und darum stimmen hoffentlich die Beteuerungen bei CDU und SPD, dass solche Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehren.
BUND ist unter Bedingungen einverstanden
3,72 Prozent des Felds für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen und das nur auf eine begrenzte Zeit, ist praktisch kein Problem: Es schränkt weder Skater, noch Radfahrer noch sonstige Feldnutzer ein. Und selbst der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält die Nutzung von versiegelten Flächen auf dem Tempelhofer Feld südlich und östlich des Vorfeldes für akzeptabel. Voraussetzung ist allerdings laut BUND: „Es darf sich nur um mobile Bauten handeln, die der kurzfristigen Unterbringung von Zufluchtsuchenden dienen.“ Außerdem müsse gelten: „Diese Nutzung darf nur befristet sein.“
Das wirkliche Problem der Feldnutzung ist ein ganz anderes: Es konzentriert noch mehr Flüchtlinge an einem großen Standort, so wie auch am anderen Exflughafen in Tegel. CDU-Fraktionschef Stettner sieht das selbst auch so. „Massenunterkünfte sind die schlechteste Lösung – abgesehen von keiner Lösung“, sagte er schon im Juni.
Eine andere Lösung gibt es aber aus seiner Sicht nicht. Die könnte sowieso nur aus alternativen, kleineren Standorten für Unterkünfte bestehen. Denn freie Wohnungen sind nicht vorhanden, und alle landeseigenen Flüchtlingsunterkünfte voll. Und bis Jahresende erwartet der Senat bis zu 10.000 weitere Flüchtlinge
Schon im Sommer sagte Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch zu Stettners Vorstoß, Flüchtlinge auf dem Feld unterzubringen: „Es gibt überall im Stadtgebiet genug bereits versiegelte Flächen, auf denen rasch Leichtbauhallen errichtet werden können.“ Sie erwarte mehr Ambition und Anstrengung der neuen Task Force bei der Unterbringung.
Die Suche nach Alternativen muss weiter gehen
Ihre Erwartungen waren und sind berechtigt: Großunterkünfte dürfen nur die letzte Möglichkeit sein. Sie sorgen für all die Probleme im Zusammenleben einander fremder Menschen, die jede solche Anballung mit sich bringt – Probleme, die der Senat dann wieder lösen müsste. Es ist anzunehmen, dass sich keine Landesregierung jedwelcher Couleur solche Probleme freiwillig aufbürdet. Darum liegt es nahe, dass der Senat allzu gern kleinere Flächen nutzen würde.
Wenn es aber diese von Jarasch beschriebenen Grundstücke in ausreichender Zahl gäbe, hätte doch eine Fraktion, Initiative oder Partei schon längst jede Liste damit vorgelegt. Die Wahrheit dürfte sein, dass die wenigsten laut „Hier!“ rufen, wenn sie in ihrer direkten Nachbarschaft eine solche geeignete Fläche erkennen. Das Not-in-my-backyard-Prinzip gilt eben nicht nur bei klassischer Wohnbebauung.
Am zeitweisen Ausbau von großen Flüchtlingsunterkünften zu noch größeren scheint deshalb derzeit kein Weg vorbei zu führen. „Wenn ich jetzt nicht auf Großunterkünfte setze, schicke ich die Menschen unter die Brücke“, hat Regierungschef Kai Wegner (CDU) vor kurzem in einem Gespräch mit Journalisten gesagt. Auch wenn das sprachlich sehr zugespitzt war, dürfte er damit recht haben.
Eines aber darf nicht passieren: Dass durch die Entscheidung pro Änderung des Schutzgesetzes fürs Tempelhofer Feld nun sämtliche Versuche erlahmen, die Flüchtlinge anderswo und weit weniger geballt unterzubringen. Oberste Devise muss jetzt sein: Versorgen und weiter nach Alternativen suchen.
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