piwik no script img

Flüchtlingsunterbringung in BerlinNur eine absolute Notlösung

Kommentar von Stefan Alberti

Das Problem ist nicht, einen minimalen Anteil des geschützen Tempelhofer Feldes für Unterkünfte zu nutzen. Das Problem ist die Ballung von Menschen.

Schon jetzt stehen als Folge einer ersten Änderung des Schutzgesetzes Flüchtlingscontainer am Feld Foto: dpa

3 ,72 Prozent des Tempelhofer Felds. Ein Fünfundzwanzigstel also. So groß – oder: so klein – ist jener Anteil am geschützten Tempelhofer Exflugfeld, auf dem künftig Unterkünfte für Flüchtlinge stehen könnten. In eineinhalb Wochen will der Senat erneut darüber beraten und – so jedenfalls der Plan – den Entwurf einer entsprechenden Gesetzesänderung beschließen, nachdem das diesen Dienstag nicht klappte.

Ob die Änderung tatsächlich kommt, liegt zwar noch am Abgeordnetenhaus, das sich ab Mitte November damit befassen soll. Dort wird aber vor allem CDU-Fraktionschef Dirk Stettner auf einen schnellen Beschluss durch die schwarz-rote Koalition drängen. Er forderte schon Anfang Juni als Erster der führenden Politiker, das Tempelhofer Feld für Flüchtlinge zu nutzen.

Nun könnte man unterstellen, dass da im Hinterkopf auch der Wunsch bei CDU und Teilen der SPD mitspielt, den Rand des Feldes grundsätzlich zu bebauen: Wenn sich in der Öffentlichkeit erst mal festsetzt, dass Feld nicht bloß für Freizeit steht, könnte das die Stimmungslage beeinflussen.

Schließlich, das sagen die Koalitionäre ja immer wieder zu, soll es eine 2014 noch an einem Volksentscheid gescheiterte Randbebaung nur nach einer erneuten Abstimmung geben. Wie die allerdings aussehen soll, wenn es kein klassischer Volksentscheid als Ende eines Volksbegehrens sein soll, ist dabei offen.

Das allerdings hieße, die Flüchtlinge für dieses Ziel zu instrumentalisieren – und darum stimmen hoffentlich die Beteuerungen bei CDU und SPD, dass solche Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehren.

BUND ist unter Bedingungen einverstanden

3,72 Prozent des Felds für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen und das nur auf eine begrenzte Zeit, ist praktisch kein Problem: Es schränkt weder Skater, noch Radfahrer noch sonstige Feldnutzer ein. Und selbst der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält die Nutzung von versiegelten Flächen auf dem Tempelhofer Feld südlich und östlich des Vorfeldes für akzeptabel. Voraussetzung ist allerdings laut BUND: „Es darf sich nur um mobile Bauten handeln, die der kurzfristigen Unterbringung von Zufluchtsuchenden dienen.“ Außerdem müsse gelten: „Diese Nutzung darf nur befristet sein.“

Das wirkliche Problem der Feldnutzung ist ein ganz anderes: Es konzentriert noch mehr Flüchtlinge an einem großen Standort, so wie auch am anderen Exflughafen in Tegel. CDU-Fraktionschef Stettner sieht das selbst auch so. „Massenunterkünfte sind die schlechteste Lösung – abgesehen von keiner Lösung“, sagte er schon im Juni.

Eine andere Lösung gibt es aber aus seiner Sicht nicht. Die könnte sowieso nur aus alternativen, kleineren Standorten für Unterkünfte bestehen. Denn freie Wohnungen sind nicht vorhanden, und alle landeseigenen Flüchtlingsunterkünfte voll. Und bis Jahresende erwartet der Senat bis zu 10.000 weitere Flüchtlinge

Schon im Sommer sagte Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch zu Stettners Vorstoß, Flüchtlinge auf dem Feld unterzubringen: „Es gibt überall im Stadtgebiet genug bereits versiegelte Flächen, auf denen rasch Leichtbauhallen errichtet werden können.“ Sie erwarte mehr Ambition und Anstrengung der neuen Task Force bei der Unterbringung.

Die Suche nach Alternativen muss weiter gehen

Ihre Erwartungen waren und sind berechtigt: Großunterkünfte dürfen nur die letzte Möglichkeit sein. Sie sorgen für all die Probleme im Zusammenleben einander fremder Menschen, die jede solche Anballung mit sich bringt – Probleme, die der Senat dann wieder lösen müsste. Es ist anzunehmen, dass sich keine Landesregierung jedwelcher Couleur solche Probleme freiwillig aufbürdet. Darum liegt es nahe, dass der Senat allzu gern kleinere Flächen nutzen würde.

Wenn es aber diese von Jarasch beschriebenen Grundstücke in ausreichender Zahl gäbe, hätte doch eine Fraktion, Initiative oder Partei schon längst jede Liste damit vorgelegt. Die Wahrheit dürfte sein, dass die wenigsten laut „Hier!“ rufen, wenn sie in ihrer direkten Nachbarschaft eine solche geeignete Fläche erkennen. Das Not-in-my-backyard-Prinzip gilt eben nicht nur bei klassischer Wohnbebauung.

Am zeitweisen Ausbau von großen Flüchtlingsunterkünften zu noch größeren scheint deshalb derzeit kein Weg vorbei zu führen. „Wenn ich jetzt nicht auf Großunterkünfte setze, schicke ich die Menschen unter die Brücke“, hat Regierungschef Kai Wegner (CDU) vor kurzem in einem Gespräch mit Journalisten gesagt. Auch wenn das sprachlich sehr zugespitzt war, dürfte er damit recht haben.

Eines aber darf nicht passieren: Dass durch die Entscheidung pro Änderung des Schutzgesetzes fürs Tempelhofer Feld nun sämtliche Versuche erlahmen, die Flüchtlinge anderswo und weit weniger geballt unterzubringen. Oberste Devise muss jetzt sein: Versorgen und weiter nach Alternativen suchen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • "Oberste Devise muss jetzt sein: Versorgen und weiter nach Alternativen suchen." Ja, das ist zusammenfassend natürlich richtig.

    Genauso richtig ist die fast noch wichtigere Devise: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben". Der Satz ist nicht von mir, sondern von Bundeskanzler Scholz im neuesten Spiegel-Interview. Wer sich nicht auf Schutzgründe berufen könne und keine Bleibeperspektive habe, müsse gehen, sagt er da auch. Es ist genau dieses Prinzip, das über etliche Jahre vernachlässigt wurde und überhaupt erst zur Situation geführt hat, in der jetzt viele Kommunen bzw. hier konkret die Hauptstadt ist, und auf Notlösungen wie das Tempelhofer Feld zurückgreifen muss.

  • "Nur eine Notlösung". Und im nächsten Jahr gibt es nicht die nächste? Ehrlich wäre es, wenn die Politik zugeben würde, dass eine temporäre Unterbringung für die meisten Flüchtlinge zur Dauerlösung wird, weil Füchtlinge kaum eine Chance auf eine Sozialwohnung haben.



    Container-Ghettos für Flüchtlinge sind längst die bundesweite Dauerlösung, doch was tut Politik dagegen? Die soziale Wohnungsbaupolitik ist angesichts dieser Problematik vollkommen gescheitert.

  • Wenn im Umfeld Kitas, Schulen, Versorgungseinrichtungen, medizinische Betreuung mit entwickelt werden, ist das vermittelbar.

    Bei Nachverdichtungen in Wohnbezirken gibt es bei der geplanten Bebauung von begrünten Innenhöfen, ausschließlich massiven Wohnungsbau. Die notwendige Infrastruktur wird gebraucht, dafür gibt es weder Platz noch Personal.