piwik no script img

Flüchtlingsunterbringung in BerlinBloß kein Zurück zu Turnhallen

In Berlin werden, wie auch anderswo, die Betten in den Erstaufnahmeeinrichtungen knapp. Von einer „Krise“ wie 2015 will aber niemand sprechen.

Es wird eng: Unterkünfte für Geflüchtete im ehemaligen Flughafen Tegel Berlin Foto: Hannes P Albert/dpa

Berlin taz | In Berlin schlägt das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Alarm, die Unterbringungskapazitäten seien erschöpft. Aus der Senatsverwaltung für Integration hieß es am Dienstag: Sämtliche Flüchtlingsunterkünfte sind bis auf den letzten Platz belegt. Bis Mitte September sind so viele Geflüchtete nach Berlin gekommen, wie ursprünglich bis zum Jahresende prognostiziert waren. Das sind zudem 40 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum im Jahr 2022.

Im August zogen die Zuzugszahlen noch einmal an. Unter den 1.900 Asylbewerbern, die allein im August neu nach Deutschland kamen, stellen SyrerInnen und AfghanInnen die größten Gruppen. In den vergangenen Wochen kam aber auch eine sehr große Zahl von KurdInnen aus der Türkei. Die Zahl der neuen UkrainerInnen, die untergebracht werden müssen, stagniert auf hohem Niveau von etwa 1.000 Personen pro Monat.

Berlin ist damit nicht alleine: Nordrhein-Westfalen meldete Ende August bereits, man müsse Geflüchtete künftig auch wieder in Turnhallen unterbringen. Auch der Städte- und Gemeindebund forderte bereits mehr Erstaufnahmeeinrichtungen auch mit Unterstützung des Bundes. Laut Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge kamen von Januar bis August 2023 77 Prozent mehr AsylbewerberInnen als im Vorjahreszeitraum.

In Berlin sind die Zugangszahlen vergleichbar mit denen von 2015, als Hunderte Geflüchtete vor dem Lageso – dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, das damals noch für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig war – campierten, die nicht untergebracht werden konnten.

Turnhallen sollen nicht belegt werden

Das Wort „Flüchtlingskrise“ will in der Berliner Verwaltung dieses Mal niemand in den Mund nehmen. Alle Menschen sollen ein Bett erhalten, wenn auch oft in prekären Massenunterkünften in den früheren Flughäfen Tegel und Tempelhof. Und: Turnhallen sollen nicht belegt werden. Nach dem Willen des rot-schwarzen Senats soll das auch so bleiben. Doch was tun, wenn es keinen Platz mehr gibt? Bis Jahresende klafft schon jetzt eine Lücke von 4.500 Betten.

Kirchen könnten nun zu den neuen Turnhallen werden: In diesen Tagen will Berlin beginnen, eine Kirche mit neu ankommenden Asylbewerbern zu belegen. Zudem sollen in den vorhandenen Unterkünfte mehr Menschen untergebracht werden. So werden nach Senatsangaben in den nächsten Tagen zwei Großzelte im früheren Flughafen Tegel mit Betten bestückt. Auf dem Flughafengelände wohnen bereits 3.800 Menschen beengt in Zehnpersonenkabinen. Die meisten stammen aus der Ukraine.

Auch auf dem früheren Flughafengelände Tempelhof sollen neue Kapazitäten erschlossen werden. Bisher sind zwei Hangars und ein Parkplatz mit Wohncontainern bestückt. Ein weiterer Parkplatz soll folgen, ob auch ein weiterer Hangar, ist noch nicht entschieden. Zudem will der Senat 1.500 Plätze in Hotels und Hostels für Flüchtlinge anmieten, erklärt Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD).

Höherwertige Unterkünfte für Flüchtlinge sind zwar in Bau, doch sie werden nicht im selben Tempo fertig, wie der Bedarf steigt. Im vergangenen Jahr entstanden 10.000 Plätze in Schnellbauten, sogenannten modularen Unterkünften. Dieses Jahr sind es 6.000. Neue Grundstücke dafür sind im Stadtstaat Berlin knapp.

Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat kritisiert den Hang zu „Sammellagern“, in denen die BewohnerInnen keine Privatsphäre haben und ihr Essen nicht selbst kochen können. Er fordert die Abschaffung der Bundesgesetze, die Flüchtlinge zwingen, in einem bestimmten Bundesland in Heimen zu leben, auch wenn sie in einem anderen Bundesland bei Verwandten unterkommen könnten. „Absolut kontraproduktiv sind zudem die geplanten drastischen Mittelkürzungen auf Bundesebene“ für Beratung und Integration von Flüchtlingen, sagt Classen der taz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Sprachverbote für das Wort "Flüchtlingskrise" helfen nicht wirklich weiter, wenn seit Monaten die Kommunen darauf hinweisen, dass eine vertretbare Unterbringung und Versorgung nicht mehr sichergestellt ist. Wie immer man das nennen will, es ist und bleibt eine Krise, nichts anderes.



    Und dass die Innenminsterin das Thema seit Monaten weitgehend ignoriert, da es nicht in ihren Wahlkampf passt, macht die Situation auch nicht besser. Es ist auch nicht human, allen Hilfe anzubieten, und sie dann nicht wirklich leisten zu können.



    Und mit der kurzfristigen Anmeitung von Hostels trägt man nur dazu bei, die extrem angespannte Wohnsituation von StudentInnen noch weiter zu verschärfen. Ein echtes Konzept ist auch da nicht zu erkennen. Und wer auf die Idee gekommen ist, Kirchen anstatt Turnhallen zu verwenden, nur um nicht von Krise sprechen zu müssen, hat wohl nicht überlegt, dass es in Kirchen meistens keine Sanitäranlagen gibt, die zumindest ein Mindestmaß an Hygiene erlauben. Erschreckend, dass man seit 2015 offensichtlich nichts dazu gelernt hat, ausser der Vermeidung des Begriffs Flüchtlingskrise.