Flüchtlingsumverteilung in der EU: Von Griechenland nach Luxemburg
Das Umsiedlungsprogramm der EU von Süd- nach Westeuropa hat begonnen. Vor Lesbos ertrinken schon wieder Menschen auf der Flucht.
Zum Start der Umverteilungsaktion gab es im Flughafen von Athen eine eine kleine Feier. Daran nahmen neben dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der für die Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos sowie der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn teil, wie das griechische Fernsehen berichtete.
Tsipras sagte an die Adresse der Flüchtlinge gewandt: „Heute haben Sie die Möglichkeit, eine Reise in die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu machen.“ Das sei nur der Anfang und nicht die Lösung. Es sei die gemeinsame Verantwortung der Europäer, das Drama der Flüchtlinge in der Ägäis zu beenden, das für Europa „beschämend“ sei. Tsipras schlug erneut die Bildung von Registrierzentren in der Türkei vor. Von dort könnten dann die Menschen in Europa umverteilt werden ohne die gefährliche Reise über die Ägäis unternehmen zu müssen.
„Es dürfte eigentlich kein Problem sein, unter 570 Millionen Einwohnern in der EU diese Menschen verteilen zu können“, sagte Schulz. Er bedankte sich bei den Griechen, die den Flüchtlingen trotz einer der schlimmsten Finanzkrisen ihrer Geschichte helfen würden.
60 Tote in vier Tagen
Das Umsiedlungsprogramm war im September von einigen EU-Ländern beschlossen worden. Es sieht die Umverteilung von knapp 160 000 Schutzsuchenden aus Italien und Griechenland nach Nord- und Westeuropa vor. Den Anfang machten vor einem Monat 19 Eritreer, die von Rom nach Schweden geflogen wurden. Bisher wurden nach Angaben der EU-Kommission aber nur 86 Flüchtlinge umverteilt.
Am Dienstagabend waren vor Lesbos erneut fünf Flüchtlinge nach dem Kentern eines Bootes ertrunken – darunter auch zwei Kinder. Wie die Küstenwache weiter mitteilte, wurden etwa 40 Menschen gerettet. Binnen vier Tagen kamen in der Ägäis mindestens 60 Menschen um.
Vor allem auf der griechischen Insel Lesbos herrschen zurzeit schlimme Zustände. Wegen eines seit Montag andauernden Streiks der Seeleute fielen am Mittwoch – am dritten Tag in Folge – alle Fährüberfahrten aus. Deshalb konnten keine Flüchtlinge von den Inseln zum Festland gebracht werden. Schätzungen von örtlichen Medien nach warteten allein im Hafen von Mytilini auf Lesbos mehr als 6000 Menschen auf die Überfahrt nach Piräus. Am späten Dienstagabend kam es zu Demonstrationen verzweifelter Migranten, die nach Westeuropa weiterwollen. „Athen, Athen!“, skandierten sie und forderten, aus Lesbos abgeholt zu werden, wie das griechische Fernsehen zeigte.
Die Gewerkschaft der Seeleute weigerte sich nach Medienberichten trotz Aufrufen der Behörden und humanitärer Organisationen, eine Ausnahme zu machen und Fähren nur für Flüchtlinge zum Festland fahren zu lassen. Der Streik gegen Rentenkürzungen soll bis Samstag dauern.
Frontex-Chef: „Notfalls inhaftieren“
Der Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex erwartet einen weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen in der EU. Fabrice Leggeri forderte zudem die EU-Staaten in einem Interview der Bild auf, irreguläre Zuwanderer ohne Anspruch auf Asyl „notfalls zu inhaftieren“, um ihre Rückführung in die Heimatländer zu gewährleisten.
Seine Agentur habe in diesem Jahr schon „mehr als 800 000 irreguläre Grenzübertritte“ an den EU-Grenzen registriert, sagte Leggeri. Aber noch immer machten sich viele Menschen aus Krisenregionen Richtung EU auf den Weg. Der Höhepunkt des Flüchtlingszustroms sei „noch nicht überschritten“.
Leggeri forderte die EU-Staaten auf, Zuwanderer ohne Anspruch auf Asyl schnell in die Heimatländer abzuschieben. „Wer irregulär eingereist ist und kein Recht auf Asyl hat, muss schnell in seine Heimat zurückgeführt werden.“ Dazu seien Einrichtungen nötig, „in denen sie notfalls inhaftiert werden müssten“. Nach EU-Recht sei es möglich, irreguläre Zuwanderer für bis zu 18 Monate in Haft zu nehmen, um die Rückführung zu organisieren.
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